Bodo Kirchhoff: Seit er sein Leben mit einem Tier teilt

Louis Arthur Schongauer heißt der ‚ewige‘ Nebendarsteller in Hollywoodfilmen, einst durchaus gern engagiert. Sein Markenzeichen: Kleinste Rollen als zumeist unsympathischer Deutscher im Nationalsozialismus oder kleiner Westernheld. Eine einzige Hauptrolle in einem Film gab es – der wurde nie öffentlich gezeigt.
Nun ist er alt, in ein paar Tagen wird er 75 Jahre. Stets gegenwärtig: seine geliebte Frau Magda, eine begnadete Fotografin. Sie ertrank im Meer. Ein paar Jahre ist das her und damals zog er sich mit Ascha, seiner Hündin, in eine kleine Hütte, steil oberhalb des Gardasees, aus dem Leben zurück.
Dort, im italienischen Klima, lebt er mit und in seinen Erinnerungen: Es sind die schönen, aber auch die traumatischen. Und er wartet im Gestern und Heute – aber eigentlich auf nichts mehr.
Unerwartet fordern ihn eines Tages vier weitere Frauengestalten zur grundsätzlichen Reflexion über seine Beziehungen zu Frauen heraus:
Almut, Journalistin, Mitte Vierzig, überrascht ihn mit ihrem Wunsch, ein Interview führen zu wollen. Er will, will nicht, sagt trotzdem zu. Erinnerungen an Attraktion und Begehren stellen sich bald ein. Leben drängt sich auf. Will er? Darf er?
Frida, Mitte Zwanzig, Reise-Bloggerin – ihr Wohnmobil versagt in der steilen Zufahrt zum Haus. Schongauer „empfängt“ sie als wütender Westernheld, nur die Hündin liebt Frida von Beginn an. Später wird es ihm schwerfallen, sie beide ziehen zu lassen – wie ein Vater seine Töchter ungern loslässt.
Lilly Roth, Fridas ungeliebte exzentrische Mutter mit eigener Fernsehshow, wirkt wie ein Störsender in den zarten Beziehungswellen.
Im Hintergrund immer Lynn, Mitte Zwanzig, kreative Bühnenbildnerin. Sie war Schongauers kapriziöse Liebe in seiner Hollywoodzeit – sie erschoss sich dereinst vor seinen Augen. Seine Mitverantwortung hierbei treibt ihn immer noch um. Sie wird ihn erneut überraschen.
Was ist dies Amor,
das durch die Augen ins Herz dringt
und dort auf kleinem Raum zu wachsen scheint?
Und sich anschickt, alles zu überschwemmen?
Che cosa è questo, Amore,
c’al core entra per gli occhi,
per poco spazio dentro per che cresca?
E s’avvien che trabocchi?
(Michelangelo)
Kirchhoff stellt dieses Zitat symbolisch seinem Roman voran. Mit Sturzregen und Überschwemmungen entwickelt er vor dem Hintergrund Schongauers Beziehungen wie ein Psychogramm in kleinsten Schritten und minutiösen Beobachtungen.
Alles auf kleinstem Raum. Man unterhält sich an einem Tisch, in einem kleinen Boot, auf einer Couch oder vor dem Wohnmobil. Wechselnde Dialoge werden immer wieder durch innere Monologe gebrochen oder ergänzt.
Diese Genauigkeit in Betrachtungen und Gesprächen mutet an wie ein Kammerspiel. Mich erinnerte der Roman beim Lesen aber vor allem an die großen französischen Filme von Truffaut, Godard, Chabrol, u.a. Ich las ihn und fühlte mich wie im Kino!
Und so wenig ich es mag, wenn Filme unterbrochen werden, so ungern mochte ich diesen Roman aus der Hand legen. Die FAZ nennt dieses Buch einen „Pageturner“. Das passt!
Fazit: Wirklich lesenswert! (Eigentlich sehenswert!)
(P.S.: Schongauers Beziehung zu Ascha – titelgebendes Tier und ja ebenfalls ein weibliches Wesen – hätte m.E. vom Autor „aus der Nebenrolle befreit“ gehört!? Oder war es Absicht?)