Bettina Luis über „Wackelkontakt“

Bettina Luis über „Wackelkontakt“

Wolf Haas:

Wackelkontakt

Vorab: Ich gehöre zu den Haas-Fans. Oft aber erlebe ich unverständliches Kopfschütteln bei Menschen, wenn ich nur seinen Namen nenne. Wolf Haas spaltet die Leserschaft in ein kompromissloses JA oder NEIN. Ein Dazwischen gibt es offensichtlich nicht. Doch der Österreicher hat längst die Kommissar Brenner-Spuren verlassen und bewiesen, dass er nicht nur des Hochdeutschen durchaus mächtig ist. Konsequent schräg und spannend bleibt er thematisch aber allemal: Schräg, kreativ und knallhart lächelnd. Voll Wunder eben – bis zum letzten Satz!

Sein neuester Roman „Wackelkontakt“: Er schafft „Synapsensalat“ im Kopf schon beim Betrachten des schrill gelben Covers und der elektrisierend flirrenden Buchstaben im Titel.

Zum Inhalt: Hier lesen Menschen über Menschen, die lesen und sie lesen dieselbe Geschichte, sie lesen sie aufeinander zulesend. Gleichzeitig werden Identitäten an- und ausgeschaltet. Zwei Handlungsstränge flackern abwechselnd in immer unberechenbar kürzer werdenden Abständen auf. Ein „Stromschlag“ ist nur konsequent. OFF-ON … Und ich weiß nicht mehr, wo vorne und hinten ist, oben und unten, gestern und heute … So, wie der niederländische Künstler M.C. Escher in seinen Grafiken und Skulpturen seine Betrachter mit seinen perspektivischen Unmöglichkeiten (führen jene Treppen hinauf oder hinunter?) und optischen Täuschungen (wie viele Vögel zähle ich?) provoziert und schier verrückt werden lässt.

Franz Escher (Namensgleichheit nicht zufällig) ist Trauerredner. Wenn er nicht puzzelt, liest er – während er auf einen Elektriker wartet – ein Buch über einen Mafioso, der als Kronzeuge in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird und mit neuer Identität sein neues Leben, sein neues Glück lebt. Doch schon Lohengrin wusste ja, dass unerwünschtes Fragen nach der Herkunft Glück in Unglück verwandelt. Und niemand ist sicher, wenn erwach(s)ende Kinder nach ihren Wurzeln suchen… Elektrisierend wird „Wackelkontakt“ nun aber dadurch, dass der Mafioso – und später seine Tochter- ein Buch lesen, in dem ein Trauerredner auf einen Elektriker wartet und ein Buch liest, in dem ein Mafioso, der als Kronzeuge… u.s.w.

Und plötzlich liegt der endlich eingetroffene Elektriker tot am Boden: Stromschlag! Escher hat versehentlich die Sicherungen von OFF auf ON geschaltet…!? Und dann stehen da noch etliche andere „geladene Stromabnehmer“ in zunehmend ungesichert flackerndem Licht.

„Spannung ON“ bis zum letzten Satz!!!

Wolf Haas: „Wackelkontakt“, Verlag Hanser 2025, 238 Seiten, ISBN 9783446282728, Preis: 25,00 Euro.


Petra Nietsch über „Wir finden Mörder“

Petra Nietsch über „Wir finden Mörder“

Richard Osman:

Wir finden Mörder

Der erste Roman, den ich in 2025 gelesen habe, hat gleich gute Chancen mein Buch des Jahres zu werden. In jedem Fall kommt er auf die Nominierungsliste.

Crime und Comedy passen für mich eigentlich nicht zusammen, denn meist kommt eines von beiden zu kurz, aber Richard Osman, der bereits mit „Der Donnerstagsmordclub“ zum Bestseller-Autor geworden ist, ist es meisterhaft gelungen, beides miteinander zu verknüpfen.

Beim Lesen musste ich immer wieder laut lachen, so sehr habe ich mich amüsiert. Wortspiele und Situationskomik werden von Osman punktgenau gesetzt. Die Story ist von Beginn an spannend und enthält so viele überraschende Wendungen, dass einem manchmal schon fast schwindelig wird.

Das dreiköpfige Ermittler-Team könnte kaum unterschiedlicher sein. Da ist zum einen Rosie D’Antonio, die berühmte Krimiautorin, die über 60 Millionen Bücher verkauft hat, steinreich ist und von der niemand genau weiß, wie alt sie eigentlich ist. Amy Wheeler ist dagegen jung, arbeitet als Personenschützerin, hatte offensichtlich eine schwere Kindheit und ist mit einem Mann verheiratet, der ebenfalls beruflich durch die ganze Welt reist, so dass sie sich kaum sehen.

Dritter im Bunde ist Steve Wheeler, Amy’s Schwiegervater, Witwer und Polizist im Ruhestand. Er lebt in einem kleinen Dorf in England und liebt seine tägliche Routine. Gemeinsam versuchen sie drei Morde aufzuklären, einem Geldwäscher auf die Spur zu kommen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie selber am Leben bleiben.

Alle Charaktere sind von Osman hervorragend gezeichnet. Ich hatte immer Bilder vor meinem geistigen Auge. Sie sind liebenswert, haben Ängste und Sorgen, Hoffnungen, Wünsche und Ziele, sie sind also eigentlich normale Menschen so wie Du und Ich.

Ein High-Five für diesen wundervollen Roman.

Richard Osman: „Wir finden Mörder“, List Paul Verlag, 432 Seiten, ISBN 9783471360675, Preis: 22,99 Euro.


Heike Zumbruch über „Jahr der Wunder“

Heike Zumbruch über „Jahr der Wunder“

Louise Erdrich:

Jahr der Wunder

Zu Beginn des Jahres 2025 möchte ich Ihnen meine erstaunlichste Entdeckung des Jahres 2024 vorstellen. Ein „Indianerbuch“, aber nicht aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, diese Geschichte spielt in Minneapolis im 21. Jahrhundert. Die Ich-Erzählerin Tookie erlebt ihr Jahr der Wunder 2020, nicht trotz, sondern gerade auch wegen der Einschränkungen durch die Pandemie.

Die Autorin betreibt in Minneapolis eine Buchhandlung mit dem Schwerpunkt auf „Indigenen Autoren“, denen sie mehr Aufmerksamkeit wünscht, ist sie doch selbst Ojibwe Native. In so einer Buchhandlung arbeitet auch Tookie, ebenfalls mit indigenen Wurzeln, und erlebt dort wundersames, erschreckendes und doch auch wunderbares. Als ihre große und Halt gebende Liebe Pollux lebensgefährlich an Covid-19 erkrankt, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen, ihrer eigenen Wurzellosigkeit und ihrer Abstammung.

Dieses Buch ist nur schwer einzuordnen. Es ist ein Buch über das Lesen, über Buchhandlungen, über Familie und Traditionen, über Aktuelles und Wurzeln. Die klugen Gedanken fasst Louise Erdrich in einer beinahe leichten Sprache. Der Text liest sich flüssig und beinahe nüchtern. Die Geschichte ist erschreckend, herzzerreißend, traurig, heiter, aktuell und bezaubernd.

Ich habe viel gelernt über „native americans“ in der heutigen Gesellschaft der USA. Wie sie heute leben, wie sie noch immer ihre Stammeszugehörigkeit pflegen, ihre Rituale abhalten und die Unsichtbarkeit in der weißen Bevölkerung ertragen.

Das Ende bleibt offen, fragile Gleichgewichte, ungelöste Fragen lassen den Leser weiterdenken. Die Bücherliste im Anhang zeigt, wie lebenswichtig Lesen sein kann.

„The Sentence“ – „Das Urteil“ ist der Originaltitel und bezieht sich auf Tookies Gerichtsurteil: 60 Jahre Haft!

Louise Erdrich: „Jahr der Wunder“, Aufbau Verlage GmbH, 464 Seiten, ISBN 9783351039806, Preis: 26,00 Euro.


Michael Fenkl über „Eberhard von Bodenhausen“

Michael Fenkl über „Eberhard von Bodenhausen“

Hans-Reinhard Meißner:

Eberhard von Bodenhausen

Rezensent: Michael Fenkl

Zunächst: Das ist keine Lektüre für Zwischendurch. zum Vorübergehen. Vielmehr bedarf es ausreichender Geduld, sich dem Protagonisten und seiner Zeit zu nähern.

Wer war dieser Eberhard von Bodenhausen?

Ein Adliger von vielen, ein Gutsbesitzer auf Degenershausen, am Rande des Harzes unweit der Burg Falkenstein oder doch mehr, nämlich ein Freund der Kunst und der Kunstförderung, ein Bankier und ein Industrieller (Direktor) bei KRUPP und, so wird vielfältig kolportiert, auch noch ein möglicher Reichskanzler in den Wirren der Jahre 1917/1918?

Er ist, er will, alles sein, alles können müssen; letztlich ein rastlos Suchender, ein vom Leben Getriebener. Wer sich als Leser auf diese Rastlosigkeit einlässt, der fühlt mit dem Protagonisten mit, der erlebt quasi selbst die Höhen und Tiefen im Leben des Eberhard von Bodenhausen.

Hier setzt nun das mühevolle Verdienst des Autors an, diese Persönlichkeit, so etwas gab es damals wirklich noch, in ihrer kaum zu beschreibenden Vielfältigkeit für eine Moment der Vergessenheit zu entreißen. Diese Vielfältigkeit hat aber auch Konstante, die Freude an der Kunst und die Förderung der Künste, der Künstler. So verbindet sich eine jahrelange Freundschaft Bodenhausens mit Henry van de Velde, mit Harry Graf Kessler und keinesfalls zu vergessen mit Hugo von Hofmannsthal.

All das drückt aber auch den persönlichen Zwiespalt in Bodenhausens Leben aus, den Zwiespalt zwischen dem Herz, das der Kunst zuneigt und dem Verstand, der die Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit als unabdingbar anerkennen muss. Letzteres nicht nur zur Versorgung seiner Familie sondern auch zu seiner Selbstdarstellung als Angehöriger des Adels.

Diese Erwerbstätigkeit ist es dann aber auch, die Bodenhausen gesundheitlich sehr belastet, so dass eine eventuelle Berufung zum Reichskanzler unter den bekannten Umständen der Herrschaft der sogenannten 3. OHL (Hindenburg/Ludendorff) für ihn wohl kaum erfolgreich hätte verlaufen können; die Zeit kaiserlicher Reichskanzler war abgelaufen, die Republik unter Ebert hatte nun das Sagen. Diese Zeitenwende ist Bodenhausen erspart geblieben, er starb am 6. Mai 1918 und wurde im Park Degenershausen beigesetzt.

Wenn man sich, wie eingangs erwähnt, auf den Protagonisten einlassen kann, dann wird die Lektüre dieses Buches zu einem Erlebnis; dem Autor gelingt es, den Leser so zu fesseln, dass das Gelesene noch lange nachwirkt, auch nachdem man dieses Buch beiseite gelegt hat.

Wenn dann im kommenden Frühling wieder die Natur erwacht, so kann es in Erinnerung an das Gelesene ein Bedürfnis sein, dem Landschaftspark Degenershausen einen Besuch abzustatten, dort den genius loci aufzunehmen.                                                                                  

Hans-Reinhard Meißner „Eberhard von Bodenhausen“, Sax – Verlag 2024, 352 Seiten, ISBN 9783867293129, Preis: 24,80 Euro.

Petra Nietsch über „In der Kälte Alaskas“

Petra Nietsch über „In der Kälte Alaskas“

Dana Stabenow:

In der Kälte Alaskas

Dieser Kriminalroman erschien im Original bereits 1992 und wurde erstmals 1996 ins Deutsche übersetzt. Nun hat ihn der Kampa-Verlag in diesem Jahr neu aufgelegt. Der zweite Teil dieser Reihe erscheint im Februar 2025.

Wer auf Schießereien, blutige Morde und wilde Verfolgungsfahrten hofft, wird enttäuscht werden. Vielmehr dient die Handlung dazu, dem Leser die Landschaft und die Kultur Alaskas näher zu bringen.

Es ist tiefster Winter und in der Wildnis Alaskas wird ein Ranger seit sechs Wochen vermisst, ebenso verschwindet der FBI-Agent, der ihn suchen soll. Kate Shugak, ehemalige Ermittlerin für die Staatsanwaltschaft in Anchorage, kennt den Nationalpark besser als jeder andere und wird gebeten, den Fall zu übernehmen.

Aber sie kennt auch ihr Volk, die Aleuten, und weiß, dass insbesondere die Älteren wie ihre Großmutter die „Outsider“, die Touristen und Geschäftsleute, ablehnen. Sie wehren sich gegen die Erschließung von Ressourcen und wollen die Natur schützen. Somit liegt diesem Kriminalfall der immer wiederkehrende Konflikt der indigenen Kulturen zugrunde, den Spagat zwischen Tradition und Moderne zu schaffen.

Der Autorin gelingt es die Natur, die Atmosphäre und die Stimmung so zu beschreiben, dass der Leser das Gefühl hat, hinter Kate Shugak auf dem Motorschlitten zu sitzen und mit ihr durch die verschneite Landschaft zu fahren.

Dana Stabenow: „In der Kälte Alaskas“, Kampa Verlag, 206 Seiten, ISBN 9783311120919, Preis: 17,90 Euro.


Werner Beckmann über „Die rätselhaften Honjin-Morde“

Werner Beckmann über „Die rätselhaften Honjin-Morde“

Seishi Yokomizo:

Die rätselhaften Honjin-Morde

Kritiken zu Kriminalromanen sind stets heikel, die „Spoiler“-Gefahr ist immens. Was ich gefahrlos sagen kann: Seishi Yokomizo hat mir mit seiner Variante des „locked room murder mystery“ trotz eines von innen verschlossenen Tatorts eine neue Welt eröffnet – die des japanischen Kriminalromans.

Insbesondere was Krimis angeht, habe ich meinen Lesehunger bislang überwiegend in Großbritannien und USA gestillt. Der ferne Osten war mir sehr fern. Da ist es dann durchaus hilfreich, dass sowohl Seishi Yokomizo wie auch sein brillanter Privatdetektiv Kosuke Kindaichi ebenfalls mit Vorliebe die großen Krimi-Klassiker verschlingen und gern darauf anspielen.

Was unter anderem dazu führt, dass der „Guardian“ Yokomizo als „Japans Antwort auf Agatha Christie“ bezeichnet. Wobei ich den 1981 verstorbenen Japaner vom Erzählstil her eher auf den Spuren Arthur Conan Doyles sehe. Lesefutter tischt er satt auf, allein seine Serie um Kosuke Kindaichi besteht aus 77 Romanen, von denen drei weitere in deutscher Übersetzung vorliegen.

Der Honjin-Doppelmord in der Hochzeitsnacht sorgt für Spannung. Wobei ich, der ich so ganz und gar nicht „japanophil“ bin, zunächst mit fremden Geisteswelten sowie schwer zu merkenden Namen und Begriffen zu kämpfen hatte. Offenkundig aber geht es nicht allein mir so: Der Verlag hat dem Krimi am Ende ein sehr hilfreiches Personenregister plus Glossar spendiert.

Zu Weihnachten Bücher zu verschenken, ist immer risikobehaftet: Je fesselnder das Geschenk, desto weniger hat man vom Beschenkten. Seishi Yokomizos Honjin-Morde machten einen Festtag lang aus mir einen familiären Totalausfall…

Seishi Yokomizo: „Die rätselhaften Honjin-Morde“, Aufbau Taschenbuch Verlag, 206 Seiten, ISBN 9783746638232, Preis: 12,00 Euro.


Hans Georg Ruhe über „Das dritte Licht“

Hans Georg Ruhe über „Das dritte Licht“

Claire Keegan:

Das dritte Licht

Ein schmaler Band mit 95 Seiten, großzügigem Satzspiegel, in edler Ausstattung: Claire Keegans „Das dritte Licht“.

Die Handlung der Erzählung ist einfach und überschaubar. Ein kleines Mädchen wird von ihren ärmlichen, irischen Eltern bei Verwandten untergebracht. Es wird mit offenen Armen aufgenommen und erlebt – zunächst verschlossen, dann immer offener werdend – einen glücklichen Sommer. Nichts kann das Idyll trüben, das dem namenlose Mädchen fremd ist. Karge Sprache begleitet die weichende Vorsicht. „Du brauchst nichts zu sagen, nie. So mancher Mann hat viel verloren, nur weil er eine perfekte Gelegenheit verpasst hat, nichts zu sagen.“

Das Leben wird leicht, auch bei spürbarer Verschattung.

Claire Keegan hat aus der Perspektive des Mädchens ein poetisches Buch geschrieben. Die „Times“ zählt es den 50 wichtigsten Romanen des 21. Jahrhunderts. Auch wenn dieses Urteil überzogen scheint – große Kunst ist es allemal.

Claire Keegan: „Das dritte Licht“, Steidl, 95 Seiten, ISBN 978-3-96999-199-2, Preis: 20,00 €


Heike Zumbruch über „Die Galaxie und das Licht darin“

Heike Zumbruch über „Die Galaxie und das Licht darin“

Becky Chambers:

Die Galaxie und das Licht darin

Becky Chambers: Die Galaxie und das Licht darin, Cover

Der Planet Gora besteht aus Steinen und Staub und hat kein eigenes Leben hervorgebracht. Hier landen Raumfahrer nur, um die Wartezeit bis zur Freigabe ihres Weiterfluges zu verbringen, denn Gora liegt an einem interstellaren Verkehrsknotenpunkt. Hier betreiben Ouloo und Tupo ein „Etablissement“ – so steht es über dem Eingang – und haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Aufenthalt dort so angenehm wie möglich zu gestalten.

Als das Satellitensystem des Planeten ausfällt, stranden drei Reisende bei „den besten Gastgebern des Universums“, drei verschiedene Spezies, die glauben, die jeweils anderen zu kennen. Fünf Tage lang müssen sie zusammen aushalten und in dieser Zeit werden (Vor-)urteile revidiert – sind Geduld und Toleranz gefordert.

Was sich wie ein langweiliger Plot anhört, ist bei Becky Chambers Roman „Die Galaxie und das Licht darin“ – ausgezeichnet mit dem Kurd Laßwitz Preis 2023 – ein fantasievolles und  spannendes Kammerspiel, zugleich aber auch weise und tiefsinnig. In gewohnt bezaubernder Weise beschreibt die Autorin ihre außergewöhnlichen und absolut unterschiedlichen Charaktere, deren jeweiligen Gesellschaften und das Bemühen sich zu verstehen und Nutzen für die persönliche Entwicklung aus der Unterschiedlichkeit zu ziehen. Diese fünf Tage werden für alle unvergesslich! Auch für den Leser, der mit Wehmut das Buch zuklappt.

Becky Chambers beschließt damit ihre Reihe aus dem Wayfarer-Universum, was ich sehr schade finde. Jedes Buch hatte immer auch eine Botschaft an uns im Hier und Jetzt. Gemeinsam, positiv und friedlich lassen sich viele Krisen meistern!

Becky Chambers: „Die Galaxie und das Licht darin“, Fischer Tor, 400 Seiten, ISBN 9783596707010, Preis: 13,00 Euro.

Heike Zumbruchs Rezensionen der weiteren Wayfarer-Romane:
Band 1: Die lange Reise zu einem kleinen, zornigen Planeten
Band 2: Zwischen zwei Sternen
Band 3: Unter uns die Nacht


Petra Nietsch über „Mr. Wilder und ich“

Petra Nietsch über „Mr. Wilder und ich“

Jonathan Coe:

Mr. Wilder und ich

Cover Roman Mr. Wilder & ich

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals ein Buch gelesen zu haben, dessen Titel und Buchumschlag so irreführend sind. Lediglich die Tatsache, dass Jonathan Coe mir als seriöser Schriftsteller bekannt war, hat mich dazu gebracht, den Klappentext zu lesen.

Um es gleich vorwegzusagen, der Roman hat mich begeistert. Mr. Wilder ist Billy Wilder, der berühmte Filmregisseur, über dessen Leben und dessen Filme wir viel erfahren. Historische und fiktive Elemente werden überzeugend miteinander verknüpft.

Die junge Griechin Calista lernt auf ihrer Reise durch die USA durch einen Zufall Billy Wilder kennen, von dem sie noch nie gehört hat und dessen Filme sie nicht gesehen hat. Ein Jahr später bietet er Calista einen Job als Dolmetscherin an, da er einen Film auf einer griechischen Insel dreht. Sie erfährt die schönen und weniger schönen Seiten des Filmgeschäfts. Eine der weiteren Drehorte ist München, wo sich Wilder unerwartet mit seiner eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzen muss.

An dieser Stelle arbeitet Jonathan Coe mit einem überraschenden literarischen Kniff. Aus der erzählenden Handlung wird über die nächsten 60 Seiten ein Filmskript, in dem Wilder die Hauptrolle spielt. Anschließend kommt dann wieder Calista, die Ich-Erzählerin, zu Wort. Die Begegnung und die Arbeit mit Wilder prägt ihren weiteren Lebensweg und nichts anderes beinhaltet dieser Buchtitel.

Der Roman wird im nächsten Jahr unter der Regie von Stephen Frears verfilmt. Die Hauptrolle wird Christoph Waltz spielen. Alleine diese Tatsache zeigt, dass es sich lohnt, mit diesem Roman in die Welt des Films einzutauchen.

Ich habe ihn zu meinem Buch des Jahres 2024 gekürt.

Jonathan Coe: „Mr. Wilder und ich“, Folio Verlag, 276 Seiten, ISBN 9783852568331, Preis: 22,00 Euro (Taschenbuch: ISBN 9783453428690, Prei: 13,00 Euro).


Markus Weber über „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“

Markus Weber über „Muslimisch-jüdisches Abendbrot“

Saba-Nur Cheema / Meron Mendel:

Muslimisch-jüdisches Abendbrot

Das Ehepaar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel hatte zunächst für eine regelmäßige Kolumne in der FAZ die Texte geschrieben, die nun in Buchform vorliegen. Man kann sich gut vorstellen, dass die Texte in intensiven Gesprächen am Abendbrottisch der beiden entstanden sind.

Die kurzen Texte, die man nicht unbedingt in der Reihenfolge im Buch lesen muss, greifen jeweils in der öffentlichen Debatte diskutierte Themen auf. Oft ausgehend von konkreten Anlässen – beispielsweise dem Tatort am Sonntagabend oder der Geburt ihres ersten Kindes – nehmen sie Fragestellungen auf, die für das Zusammenleben der beiden, aber auch in unserer Gesellschaft insgesamt relevant sind. Wie sie zeigen, müssen sich Humor und ernsthaftes Nachdenken nicht ausschließen.

Im Vorwort heißt es: „Immer wieder versuchen wir zu verstehen, was das Kleine mit dem Großen verbindet, und wie ganz persönliche Lebensentscheidungen durch die Politik geprägt werden – und vielleicht auch umgekehrt?“ Das wird im Buch eingelöst.

Die thematische Bandbreite der Kapitel reicht beispielsweise von Erziehungsfragen über die Feier religiöser Feste, Kunstfreiheit, die Flüchtlingsdebatte, Geschlechterdebatten bis hin zum Nahostkonflikt. Die unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen der beiden – er ist aufgewachsen in einem säkularen Kibbuz in Israel, sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen als Tochter muslimischer Einwanderer aus Pakistan – werden deutlich und führen immer wieder zu spannenden Erkenntnissen und klaren Positionierungen, die mich angeregt haben. Und immer wieder fordern die beiden dazu auf, Mitgefühl für die jeweils andere Seite zu haben und dem Andersdenkenden Raum zu lassen.

Klare Kante zeigen die beiden gegen alle intoleranten Haltungen und dort, wo Rechte von Minderheiten missachtet werden. Demokratie zeichnet sich für sie dadurch aus, „dass Kontroversen nicht nur zugelassen, sondern ausdrücklich erwünscht sind.“ Das ist eine Haltung, der ich nur zustimmen kann und die ich oft vermisse. Deshalb wünsche ich mir, dass dieses Buch viele Leser*innen findet.

Saba-Nur Cheema/Meron Mendel: Muslimisch-jüdisches Abendbrot. Das Miteinander in Zeiten der Polarisierung, Kiepenheuer & Witsch 2024, 208 Seiten, ISBN 978-3462007428, 22,00 Euro.