Petra Nietsch über „Was der Fluss erzählt“

Petra Nietsch über „Was der Fluss erzählt“



Diane Setterfield:

Was derFluss erzählt

Once Upon a River

Schon lange hat mich kein Buch mehr so in den Bann gezogen wie dieses. Es handelt sich um einen Roman mit märchenhaften Elementen. Immer wieder habe ich mich gefragt, ob das, was erzählt wird, auch so hätte geschehen können oder nicht. Und das macht diese Geschichte so besonders, denn trotz einer schlüssigen Handlung bewegt sie sich immer am Rande von Sage und Legende.

Dazu bei trägt auch der Schauplatz, denn bei allem, was geschieht, spielt die Themse eine Rolle, denn es gelingt Diane Setterfield die Mystik, die diesen Fluss umgibt, mit wunderbaren Worten wiederzugeben. Alles beginnt in dem ehrwürdigen Gasthaus „The Swan“, das seit Jahrhunderten dafür berühmt ist, dass sich dort die Einheimischen bei Kaminfeuer Geschichten erzählen.

Am Abend der Wintersonnenwende 1887 schleppt sich ein völlig durchnässter, schwer verletzter Mann mit einem Kind auf dem Arm in die Gaststube. Alle Anwesenden sind davon überzeugt, dass es tot ist. Wie durch ein Wunder erwacht es plötzlich wieder, bleibt aber stumm.

Wer ist dieses Kind? Woher kommt es und zu wem gehört es? Um diese Fragen spinnt sich die folgende Handlung, mit wundervollen, glaubwürdig beschriebenen Charakteren. 

Für mich war es ein besonderer Lesegenuss, denn auf meiner Themsewanderung im letzten Jahr bin ich durch all die Orte gekommen, die im Roman eine Rolle spielen. Ich habe sogar eine Rast in dem Pub „The Swan“ gemacht!

Aber auch ohne diese Erfahrung, wird jeder, der eine gute Geschichte mag und sich gerne einmal verzaubern lässt, Freude an diesem auch sprachlich gelungenem Roman Freude haben.

Diane Setterfield: „Was der Fluss erzählt“, Heyne Taschenbuch, 576 Seiten, ISBN 9783453426306, Preis: 13,00 Euro.

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Petra Nietsch über „Der Pfad“

Petra Nietsch über „Der Pfad“

Megan Miranda:

Der Pfad

(The Last To Vanish)

Auf dieses Buch bin ich durch die Kolumne von Sonja Weber gestoßen. Der Schauplatz, Cutter’s Pass , ein kleiner Ort in North Carolina und  die Tatsache, dass es sich nicht um einen klassischen Krimi handelt, haben mich angesprochen, und ich wurde nicht enttäuscht.

Es gibt keinen ermittelnden Kommissar oder Detektiv und augenscheinlich auch keinen Mord, lediglich sieben Menschen, die innerhalb der letzten fünfundzwanzig Jahre in diesem beschaulichen Ort, von dem aus Wanderer den Appalachian Trail erreichen können, verschollen sind. Niemand weiß, was mit ihnen passiert ist und ob diese unterschiedlichen Fälle in irgendeinem Zusammenhang stehen.

Und niemand in dem Dorf hat irgendein Interesse daran, der Sache auf den Grund zu gehen. Keiner außer Abby, der Ich-Erzählerin. Nachdem vor einigen Monaten Landon West, der ein Buch über die mysteriösen Vorgänge schreiben wollte, ebenfalls verschwunden ist und sein Bruder auftaucht, um Nachforschungen anzustellen, will auch sie herausfinden, was dahintersteckt.

Je genauer sie hinschaut, desto mehr unerklärliche Dinge geschehen. Die Telefonanlage im Passage Inn, wo sie arbeitet, fällt ständig aus und irgendjemand hat in ihrem Namen ein Schließfach angemietet, in dem sie Gegenstände findet, die den Vermissten gehören. Von den Einheimischen erhält sie keine Antworten, und sie muss erkennen, dass sie auch zehn Jahre nach ihrer Ankunft im Ort noch immer eine Außenseiterin ist.

Aber ist Abby glaubwürdig? Kann man ihr als Erzählerin vertrauen? Auch sie scheint ein Geheimnis zu haben.

Die Autorin hält die Spannung bis zum Schluss hoch und legt immer wieder Spuren, die mich in die Irre geführt haben.

Eine unterhaltsame Lektüre, mit ein wenig Nervenkitzel, gut erzählt. Durch die Erzählperspektive befindet sich der Leser immer mitten im Geschehen und fürchtet gelegentlich auch, dass Abby etwas zustoßen könnte.

Megan Miranda: „Der Pfad”, Penguin TB Verlag, 377 Seiten, ISBN 9783328109082, Preis: 16,00 Euro.

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Petra Nietsch über „Alte Wege“

Petra Nietsch über „Alte Wege“

Robert MacFarlane:

Alte Wege

The Old Ways

„Alte Wege ist kein Sachbuch und keine Prosa, kein Wanderführer, kein Lyrikband und keine Lebenshilfe, doch von allem etwas und vor allem ein Werk, das beim Lesen Anstöße gibt.“
Christian Mückl, Nürnberger Zeitung

Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Wenn ich dieses Buch nicht geschenkt bekommen hätte, hätte ich es vermutlich niemals gelesen, was sehr schade gewesen wäre.

Der Autor, Robert MacFarlane wandert auf alten Pfaden meist in England, Schottland, aber auch Palästina, Nepal und Spanien. Und diese erweckt er zum Leben, denn er beschreibt, wieviel Geschichte oder Geschichten in ihnen stecken.

Wer ist diesen Weg vor vielleicht 5000 Jahren gelaufen und warum? Wie haben Wind und Wetter diese möglicherweise verändert? Wie haben sie das Leben der Menschen geprägt und, und, und. Er betrachtet den Begriff „Weg“ unter ganz verschiedenen Aspekten, manchmal philosophisch, spirituell oder literarisch.

Das Buch hat sechzehn Kapitel, die inhaltlich mehr oder weniger abgeschlossen sind. Mehr als eins habe ich an einem Tag meistens nicht geschafft, denn jedes regt zum Nachdenken an.

Immer mal wieder wird es auch sehr detailliert und wissenschaftlich, worüber ich dann gerne mal hinweggelesen habe, aber an diesen Stellen kann jeder für sich selbst entscheiden, wie sehr er sich mit dem Thema auseinandersetzen möchte. Trotz dieser gelegentlichen intellektuellen Hürden, wollte ich  das Buch nie aus der Hand legen, sondern war im Gegenteil immer neugierig auf das, was als Nächstes kommt.

In jedem Fall ist das Buch gut lesbar, denn als Literaturprofessor in Cambridge ist MacFarlane mit Worten vertraut, auch zitiert er regelmäßig Schriftsteller, die mit der Natur verbunden waren. So auch Robert Frost und sein berühmtes Gedicht: „The Road Not Taken“ .

Ein Buch, aus dem verschiedenste Einzelheiten noch lange in Erinnerung bleiben werden, dass meines Erachtens ganz unterschiedliche Menschen anspricht und dass in jedem Fall nachhallt.

Robert MacFarlane: „Alte Wege”, Matthes & Seitz Verlag, 346 Seiten, ISBN 9783957572431, Preis: 38,00 Euro.

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Petra Nietsch über „Der Wind in den Weiden“

Petra Nietsch über „Der Wind in den Weiden“

Kenneth Grahame:

Der Wind in den Weiden

(OT: The Wind in the Willows

In meinem Bücherschrank schlummern einige Bücher, die ich irgendwann einmal gekauft, aber nie gelesen habe. „Der Wind in den Weiden“ gehört dazu. Während der Vorbereitung auf meine Themse-Wanderung las ich im Reiseführer, dass dieses Buch eins von zweien sei, die am stärksten mit der Themse assoziiert werden. Dies war der Anlass, es aus dem Schrank zu holen. Und es hat sich mehr als gelohnt.

Der in England als Kultbuch geltende Kinderbuchklassiker wurde 1908 veröffentlicht und basiert auf Gute-Nacht-Geschichten, die Kenneth Grahame seinem Sohn Alastair erzählt hat. Als dieser ins Internat kam, schickte er ihm weitere in Briefform.

Vier Tiere leben am Ufer der Themse. Dies sind die freundliche Wasserratte, der sanftmütige Maulwurf, der weise Dachs und der eingebildete Kröterich. Abenteuerlust, Fernweh, und Idylle im trauten Heim spielen ebenso eine Rolle wie Loyalität, Respekt und Zuneigung.

Obwohl wenn meist nur von einem Kinderbuchklassiker gesprochen wird, ist diese Erzählung auch für Erwachsene geeignet, denn sie kann auf unterschiedlichen Ebenen gelesen werden. Zudem hat Grahame eine wunderbare Sprache geschaffen, die durch eine ausdrucksstarke Wortwahl, eine Vielzahl rhetorischer Mittel und wechselnder Dynamik schon fast an lyrische Prosa erinnert.

Ein letzter Hinweis: es lohnt sich in jedem Fall eine illustrierte Ausgabe, denn sie verstärkt den Lesegenuss.

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Kenneth Grahame: „Der Wind in den Weiden“, Kein + Aber, 240 Seiten, ISBN 9783036951232, Preis: 28,00 Euro.


Petra Nietsch über „Simply Lies“

Petra Nietsch über „Simply Lies“

David Baldacci:

Simply Lies

Gefährliches Komplott

Die deutsche Fassung erscheint am 28. Juni 2024, ist über die BÜCHER-HEIMAT aber bereits vorbestellbar

David Baldacci ist ein Meister der Spannung. Dieser Thriller hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt, da nur nach und nach einzelne Puzzleteile verraten werden, die am Ende zu dem eigentlichen Verbrechen und den Tätern führen.

Mickey Gibson, ehemalige Polizistin und alleinerziehende Mutter, wird in eine Falle gelockt und findet einen Toten. Schnell wird ihr klar, dass sie den Fall lösen muss, um sich und ihre Familie zu beschützen. Es beginnt ein Katz-und Maus-Spiel zwischen ihr und einer Frau, die soziopathische Züge zeigt und deren Namen und Identität immer wieder zu wechseln scheinen.

Neben der Spannung, die in diesem Thriller steckt, hat mir die Tatsache gefallen, dass die beiden Gegenspielerinnen Frauen sind und dass Baldacci sich offensichtlich intensiv mit der  Cyberwelt auseinandergesetzt hat und schonungslos nachweist, wie sehr diese bereits für kriminelle Machenschaften genutzt wird.

David Baldacci: „Gefährliches Komplott“, Lübbe, 496 Seiten, ISBN 9783757700416, Preis: 23,00 Euro | Erscheint in deutscher Sprache am 28.06.2024.


Petra Nietsch über „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“

Petra Nietsch über „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“

Pip Williams:

Die Sammlerin der verlorenen Wörter

The Dictionary of Lost Words

Dieses Buch habe ich gekauft, weil mich der englische Titel sofort neugierig gemacht hat. Und ich habe es nicht einen Moment lang bereut, denn es ist ein fantastisches Buch.

Der Roman spielt in Oxford in der Zeit zwischen 1886 und 1928. Im Mittelpunkt steht die Erstellung des ersten Oxford English Dictionary, vergleichbar mit dem Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm.

Vor diesem historischen Hintergrund erzählt Pip Williams eine Geschichte, in der sowohl reale Personen als auch fiktive Charaktere für die Handlung eine bedeutende Rolle spielen. Alleine diese Verknüpfung von Wahrheit und Fiktion ist hervorragend gelungen.

Esme, die Protagonistin, ist die Tochter eines der Lexikografen und wächst dementsprechend mit Wörtern und ihren Bedeutungen auf. Im Laufe der Zeit muss sie jedoch erkennen, dass nicht alle Wörter einen Eintrag in das Lexikon erhalten, denn dieses wird von gebildeten Männern erstellt und Umgangssprache, mündlicher Sprachgebrauch aber auch Wörter, die insbesondere Frauen betreffen werden, werden ausgeschlossen.

„Einige Wörter sind wichtiger als andere“, sagt Esme, „aber es hat eine lange Zeit gedauert, bis ich begriffen habe warum“. Diese Tatsache nimmt sie zum Anlass, mit Frauen vor allem aus den unteren sozialen Klassen zu sprechen und deren Wörter samt Beispielsatz aufzuschreiben. Damit legt sie den Grundstein für ihr Lexikon der verlorenen Wörter.

In dieser Zeit kommt sie auch mit der vielfach radikalen Bewegung der Suffragetten in Berührung, zögert aber sich dieser anzuschließen. Doch es gibt viele Wege für die Gleichberechtigung der Frauen einzutreten und dazu gehört auch der ihre.

Ich habe diesen Roman als sehr vielschichtig empfunden, denn die Arbeit an der Erstellung des Oxford English Dictionary schafft nur den Ausgangspunkt für viele andere Themen, über die es sich lohnt nachzudenken. Mein Buch des Jahres 2023. 

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Pip Williams: „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“,  Heyne Taschenbuch, 543 Seiten, ISBN 9783453428591, Preis: 13,00 Euro.


Petra Nietsch über „Lincoln Highway“

Petra Nietsch über „Lincoln Highway“

Amor Towles:

Lincoln Highway

Wenn mich ein Buch noch mehrere Tage beschäftigt und ich noch nicht bereit bin ein neues zu beginnen, hat es etwas mit mir gemacht. Dieser Roman gehört zu der Gattung der „Road Novels“. Ähnlich wie ein Roadmovie spielt  die Handlung überwiegend auf Landstraßen und Highways (in diesem Fall zum Teil auch auf der Schiene), wobei die Reise als Metapher für die Suche nach Freiheit, Identität und einem zufriedenstellendem Leben zu verstehen ist.

Im Zentrum dieses Romans stehen Emmett, Duchess, Woolly, alle 18 Jahre alt, und Billy, Emmetts achtjähriger Bruder, die planen auf dem Lincoln Highway von Nebraska nach Kalifornien zu fahren, um dort ihr Glück zu finden. Der Lincoln Highway war die erste Straße in den USA, die Ost- und Westküste miteinander verband. Doch zunächst verschlägt es sie in die andere Richtung nämlich gen Osten nach New York. Auf dem Weg dorthin erleben sie eine 10-tägige Odyssee, auf der sie nicht nur viel erleben, sondern auch andere Menschen treffen, die auf der Suche nach einem Lebenssinn sind. Die Geschichte wird multiperspektivisch erzählt, so dass über die Geschehnisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln berichtet wird. Jede der erzählenden Personen nutzt seine Kapitel aber auch dazu,  die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten und daraus Schlüsse für das eigene zukünftige Leben zu ziehen. Somit wird das Bild rund und erleichtert dem Leser das Verständnis.

Trotz mancher charakterlichen Schwächen und Verfehlungen sind alle vier Jungen liebenswert, und ich bin ihnen gerne gefolgt.

„Lincoln Highway“ ist nicht nur sehr gut lesbar, sondern durch viele humorvolle Passagen auch äußerst unterhaltsam.

Wem Amor Towles Roman „Ein Gentleman in Moskau“ gefallen hat, sollte auch diesen lesen, insbesondere weil er so ganz anders ist.

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Amor Towles:  „Lincoln Highway“, Hanser, 576 Seiten, ISBN 9783446274006, Preis: 26,00 Euro.


Petra Nietsch über „Offene See“

Petra Nietsch über „Offene See“

Benjamin Myers:

Offene See

OT: Offing

Es gibt Bücher, die fesseln, weil die Handlung so mitreißend oder spannend ist. Und es gibt Bücher, die fesseln durch ihre ausdrucksstarke Sprache. So ist es mir mit dem Roman „Offene See“ gegangen.

Schon auf den ersten Seiten habe ich begonnen, mir Zitate wie „Kunst ist der Versuch, den Moment in Bernstein zu gießen“ (S. 14) zu notieren. Die bildhafte, durch Vergleiche und Metaphern geprägte Sprache macht diese Erzählung zu einer ganz besonderen.

Der 16-jährige Robert, im Krieg aufgewachsen, hat im Frühjahr 1946 die Schule beendet. Bevor er wie sein Vater und Großvater unter Tage Kohle abbauen wird, begibt er sich auf eine mehrwöchige Wanderschaft, vielleicht auch auf die Suche nach der Freiheit, die er in den letzten Jahren nicht gehabt hat und vielleicht auch nie wieder haben wird. Sein Ziel ist das offene Meer. Unterwegs verdient er sich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten und übernachtet dort, wo auch immer sich etwas findet. Er genießt das Leben in der Natur und erfreut sich Tag für Tag an ihr.

Eines Tages stößt er zufällig auf ein Cottage auf einem verwilderten Grundstück. Dort wohnt Dulcie, eine ältere, scheinbar etwas schrullige Frau. Die beiden freunden sich an. Während Dulcie Robert bekocht und mit Lebensweisheiten versorgt, erledigt er anfallende Arbeiten an Haus und Hof. Mehr und mehr versteht er, was Dulcie meint, als sie sagt: „Du musst dein Leben haargenau so leben, wie du es willst, nicht für irgendjemand anderen.“

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Benjamin Myers: Offene See, DuMont Buchverlag, 267 Seiten, ISBN 9783832165987, Preis: 12,00 Euro.


Petra Nietsch über „Stranded – Die Insel“

Petra Nietsch über „Stranded – Die Insel“

Sarah Goodwin:

Stranded – Die Insel

Dieses Buch wurde mir von einem guten Freund empfohlen und auch seine über 80-jährige Mutter hat es sehr gelobt. Grund genug auf den Klappentext zu verzichten und sofort mit der Lektüre zu beginnen. Anfangs hatte ich etwas Schwierigkeiten mich in die Geschichte einzufinden, aber dann hat sie mich irgendwann so gepackt, dass ich das Buch kaum noch aus der Hand legen konnte.

Worum geht es? Vier Frauen und vier Männer sind von einer TV-Produktionsfirma ausgewählt worden an einem sozialen Experiment teilzunehmen. Sie werden auf eine abgelegene, unbewohnte schottische Insel gebracht, auf der sie ein Jahr lang ohne Kontakt zur Außenwelt wohnen sollen. Mit nur wenig Material und Proviant stehen sie vor der Aufgabe ihren Aufenthalt so zu gestalten, dass sie überleben können. Wie zu erwarten kommt es aus den verschiedensten Gründen zu Konflikten in der Gruppe. Insbesondere Maddy, die ihr Leben lang eine Außenseiterin war, gerät auch hier immer wieder mit den anderen in Streit. Schließlich wird sie des Camps verwiesen, so dass sie von da an völlig auf sich allein gestellt ist. Aber es sind nur noch ein paar Monate bis sie abgeholt werden sollen. Doch das Boot kommt nicht ….

Was für mich dieses Buch so besonders und so lesenswert macht, ist die Wahl der Erzählperspektive, denn sie erzeugt eine unglaubliche Spannung, die sich bis zum Schluss durch dieses Buch zieht. Die Handlung wird ausschließlich aus Sicht des Literarischen Ichs erzählt, und das ist Maddy. Insofern erscheint alles subjektiv gefärbt. Jedes Ereignis, jede Unterhaltung, jede Auseinandersetzung wird von Maddy wiedergegeben und analysiert. Ich war mir nie sicher, ob ich als Leserin die Wahrheit erfahre, oder ob sie nur ihre ganz eigene Wahrnehmung der Dinge hat; ähnelt der Name Maddy doch dem englischen Wort für verrückt. Ich hatte die verschiedensten Theorien über das, was wirklich passiert, aber ich lag immer falsch.

Ein fesselnder Thriller, der mich an den berühmten Roman „Herr der Fliegen“ von William Golding erinnert hat.

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Sarah Goodwin: „Stranded – Die Insel“, Lübbe, 398 Seiten, ISBN 9783404188789, Preis: 12,99 Euro.


Petra Nietsch über „Demon Copperhead“

Petra Nietsch über „Demon Copperhead“

Barbara Kingsolver:

Demon Copperhead

Sprache: Englisch. Die deutsche Übersetzung erscheint im Frühjahr 2024 bei dtv.

Dieses Buch hat den Frauenpreis für Belletristik  2023 (Women’s Prize for Fiction) und während ich den Roman bereits las, auch den diesjährigen Pulitzer-Preis für Literatur gewonnen.

Barbara Kingsolver überträgt die Geschichte von David Copperfield in die Appalachen Ende des 20. Jahrhunderts. Alle im Roman von Charles Dickens für die Handlung relevanten Charaktere tauchen auf und sind an ihren nur leicht veränderten Namen gut wiederzuerkennen. Und auch die Thematik ist gleich, denn es geht um soziale Gerechtigkeit.

Demon, Protagonist und Erzähler, wird in eine Welt geboren, die von Armut, Drogen- bzw. Medikamentenmissbrauch geprägt ist. Schon früh lernt er, dass er für sich alleine die Verantwortung übernehmen muss, denn niemand bleibt lange genug in seinem Leben, als dass er sich auf irgendjemanden verlassen kann. Und nicht nur das, er fühlt sich auch für alle Menschen verantwortlich, die ihm nahestehen.

Nicht alle Entscheidungen, die er trifft, sind richtig, so gleicht sein Leben einer Achterbahn, denn es geht ständig bergauf und bergab. Auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit erlebt er immer wieder Rückschläge. „Ich habe nichts getan, um Glück zu verdienen und ich weiß, wie Menschen sind. Früher oder später wenden sie sich von dir ab“, sagt er an einer Stelle. Aber für den Leser wird immer wieder deutlich, dass er nicht nur ein Kämpfer ist, sondern auch sehr talentiert und intelligent, denn er erkennt u.a. die Faktoren, warum eigentlich niemand der Armut, dem Drogenmissbrauch und der Kriminalität entkommen kann.

Durch die Perspektive des erzählenden Demon entsteht ein Eindruck von dem Leben, das die Menschen in den Appalachen auch heute noch führen. Aber Demon hat auch Humor und trotz einer oftmals düsteren Stimmung, musste ich auch immer wieder schmunzeln, über seine Art Dinge zu erzählen.

Barbara Kingsolver hat eine Sprache gewählt, die mich sehr an den Stil von Charles Dickens erinnert hat.

Dieser Roman ist alleine wegen des literarischen Kniffs David Copperfield zu Demon Copperhead zu machen und dessen Geschichte in das ländliche Amerika zu transportieren, zu empfehlen,  trägt aber auch dazu bei, zumindest in Teilen zu verstehen, mit welchen Problemen die USA auf Grund ihrer geografischen und sozialen Diversität konfrontiert sind.

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Barbara Kingsolver: „Demon Copperhead“, Faber and Faber Ltd., 548 Seiten, ISBN 9780571376483, Preis: 12,50 Euro.