Sonja Weber über „Hier draußen“

Sonja Weber über „Hier draußen“

Martina Behm: Hier draußen

Rituale, Traditionen und das Wissen darum, was man darf und was nicht (warum auch immer), geben Sicherheit und zeigen, wo man steht. So ist das auch im schleswig-holsteinischen Fehrdorf und den Menschen dort. Natürlich hat Autorin Martina Behm den Ort ihres Buches „Hier draußen“ erfunden, aber es könnte ihn genauso geben.

Ein Örtchen ohne Supermarkt oder eine Kirche, nur ein Dörpshus. Ich hab es vor mir gesehen, bin beim Lesen selbst Teil der Gemeinschaft gewesen, denn auch die Protagonisten sind wie aus dem Leben gegriffen. Es gibt glückliche und weniger glückliche Bauerslüt, es gibt die Alten in den Altenteilen und ein paar Zugezogene aus der Stadt in einem Resthof.

Es gibt die Vorzeigelandfrau, die sich irgendwie auch noch selbst verwirklicht und es gibt die Bauerstochter, die ihre Aussteuer in Form von Tischwäsche bekam, während der Bruder Haus und Hof erbte. Es gibt ein paar Althippies und den ewigen Junggesellen.

Natürlich gibt es irgendwie eine „Hackordnung“ an die man sich zu halten hat, Stühle, auf die sich nur bestimmte Leute setzen sozusagen und dazu ein bisschen Aberglaube, der das Dorfgefüge zusammenhält. Alles ist gut, bis Ingo ein weißes Stück Rehwild überfährt.

Unglück hängt nun in der Luft, nur noch ein Jahr zu leben hätte er, sagt man in Fehrdorf. Diese Aussicht verändert auf einmal alles, nicht nur bei Ingo, der sich fragt, ob sein Leben wirklich nur aus Arbeit bestehen soll, sondern auch bei Tove, die sich eingestehen muss, dass sie schon lange unglücklich ist. Plötzlich scheinen alle die Plätze zu tauschen und neue Sichtweisen ergeben sich.

Ein dichter atmosphärischer Dorfroman mit Realidylle.

Martina Behm: „Hier draußen“, dtv Verlag, 496 Seiten, ISBN 978-3-423-28478-3, Preis: 24,00 Euro.


Sonja Weber über „Harzwanderungen – Auf Heines Spuren durch den deutschen Wald“

Sonja Weber über „Harzwanderungen – Auf Heines Spuren durch den deutschen Wald“

Paul Scraton: Harzwanderungen – Auf Heines Spuren durch den deutschen Wald

Schon Goethe, Andersen, Heine und andere Dichter und Denker bewegten sich für den Schaffensprozess. Sie veränderten Standorte und damit manchmal Standpunkte, genossen Ausblicke und bekamen Einblicke. Mit seiner Wanderung auf Heinrich Heines Spuren durch den Harz hat mich der in Lancashire im Nordwesten Englands geborene und inzwischen in Berlin lebende Autor Paul Scraton beeindruckt.

Inspiriert durch das 1826 erschienen Buch „Die Harzreise“, machte sich Scraton fast 200 Jahre nach Heinrich Heine auf den Weg, diese nachzugehen. Nun ist das per se erst einmal keine neue Idee, das haben schon einige Menschen gemacht und auch darüber geschrieben. Als Engländer aber bereist der Autor nicht nur einen unbekannten Teil seiner Wahlheimat, sondern betrachtet sowohl die Orte, die Harzer und die Natur als auch Heinrich Heine selbst mit den Augen eines Menschen aus einem anderen Land.

Auf seiner Route von Göttingen über Northeim, Osterode, hinauf zum Brocken und ganz zum Ende bis nach Weimar nimmt uns der Autor immer wieder mit in die Geschichte, verdeutlicht uns Heines Weltsicht, seine Toleranz, seinen Individualismus und den tiefen Eindruck, den er bei Dichtern wie Alexandre Dumas hinterlassen hatte. Mit Genuss und angenehmen Staunen trifft Paul Scraton auf Geister der Vergangenheit und auf Spuren seiner Landsleute, die wie Samuel Taylor Coleridge ebenfalls einst den Harz besuchten.

Diesen leisen, tiefen Genuss, die der Seele angepasste Geschwindigkeit des Reisens und die Sehnsucht und Lust am Gehen auf alten Pfaden, hat sich beim Lesen auf mich übertragen.

Paul Scraton: „Harzwanderungen – Auf Heines Spuren durch den deutschen Wald“, 253 Seiten, Matthes & Seitz Verlag, Seiten, ISBN 978-3-7518-0921-4, Preis: 24,00 Euro.


Sonja Weber über „Wir waren Heldinnen“

Sonja Weber über „Wir waren Heldinnen“

Torsten Körner: Wir waren Heldinnen – Wie Frauen den Fußball eroberten

Torsten Körner ist in seinem neuen Buch „Wir waren Heldinnen – Wie Frauen den Fußball eroberten“ den Damen des deutschen Fußballs auf der Spur. Aus vielen Blickwinkeln hinterfragt er, warum die Männer, und hier vor allem der Deutsche Fußballbund, das Revier auf dem Rasen so vehement gegen die Frauen verteidigten.

Es ist schon beachtlich, unglaublich und in Teilen im höchsten Maße fragwürdig, was da gelaufen ist. Die Alte Riege im DFB hat doch tatsächlich geglaubt, wenn man nur alle Vereine, Trainer und Schiedsrichter genügend unter Druck setzte, könne man fußballbegeisterten Mädchen und Frauen das Spielen, zumindest außerhalb von Hinterhöfen und Kuhwiesen verwehren.

Tja, hat nicht geklappt! Denn eben von dort, von privaten Wiesen, Plätzen und von der Straße gelang der Vormarsch. Es gibt zum Glück Frauen wie Christa Kleinhans und Marlis Marohn, die sich nicht aufhalten ließen, Städte wie Dortmund und München, die sich aus Schmähbriefen des DFB nichts machten und Männer wie Josef Floritz, die sich vehement für die Damenmannschaften einsetzten.

Dieses Buch ist nicht nur sporthistorisch interessant und absolut fesselnd, es klärt noch einen anderen wichtigen Aspekt, nämlich den emanzipatorischen, daher liegt es mir als Frau sehr am Herzen.

Torsten Körner: „Wir waren Heldinnen – Wie Frauen den Fußball eroberten“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, ISBN 978-3-462-00480-9, Preis: 24,00 Euro.


Sonja Weber über „Portrait meiner Mutter mit Geistern“

Sonja Weber über „Portrait meiner Mutter mit Geistern“

Rabea Edel: Portrait meiner Mutter mit Geistern

Die Frauen in Rabea Edels Buch „Portrait meiner Mutter mit Geistern“ haben mich tief bewegt. Über vier Generationen spannt sich dieser mutige und außergewöhnlich konstruierte Roman, in dem sich die Blickwinkel immer wieder ändern und die Frauen mal aktiv mal passiv ihre Sicht der Dinge erzählen.

Sie blicken auf die Geschichte, das Schicksal und die Männer, die sie geliebt, die Männer, die sie geheiratet und die Männer, die verschwanden, zurück. Da ist lange keine Zeit für Träume, kein Raum für eigene Wünsche und Vernunft geht immer vor Liebe.

Dann wird 1945 Martha geboren und durchbricht als erste einen bis dahin vorgegebenen Kreislauf. Mit ihrer Tochter Raisa zieht sie allein durch die Welt, wilde Wanderjahre, Glück und Familie für zwei. Nicht mehr, nicht weniger.

Für Raisa gibt es nur das. Dann kommen die Schuljahre, Raisa lernt, dass da mehr sein muss. Was ist mit dem Rest der Familie? Häppchenweise, in Briefen, die sie heimlich in die Ritzen der Gartenmauer schiebt, erzählt Martha, was geschehen ist.

In eben solchen Häppchen erfahren auch die Leserinnen und Leser die Zusammenhänge. Wie ein Mantra hat sich Martha all die Jahre vorgesagt, dass nichts immer wieder geschehe, dass die Zeit kein Kreis sei.

Aber oft hat sie Angst vor der Geschichte, unterdrückt den Drang, die Koffer zu packen und erneut zu verschwinden. Doch für Raisa muss sie jetzt reden, von Familie, von richtig und falsch, von Liebe und Enttäuschung und von Geistern, die nur Möglichkeiten sind, die wiederkommen, wenn man sie lässt.

Rabea Edel: „Portrait meiner Mutter mit Geistern“, C.H. Beck, 396 Seiten, ISBN 9783406829710, Preis: 26,00 Euro.


Sonja Weber über „Achtsam morden – Das Übungsbuch nach der Joschka-Breitner-Methode“

Sonja Weber über „Achtsam morden – Das Übungsbuch nach der Joschka-Breitner-Methode“

Karsten Dusse: Achtsam morden – Das Übungsbuch nach der Joschka-Breitner-Methode

Ziemlich geschickt der Herr Dusse. Nicht nur, dass er mit seinen Romanen um Rechtsanwalt Björn Diemel überaus erfolgreich ist, er hat auch den fiktiven Achtsamkeitscoach aus den Büchern irgendwie zum Autor gemacht.

Frei nach seinem Motto „lieber erfundene Experten mit echten Ratschlägen, als echte Experten mit erfundenen Ratschlägen“, hat Karsten Dusse all die Achtsamkeitsübungen, die seinen Protagonisten Diemel unkonventionell, aber sehr erfolgreich durch prekäre Situationen leiten, in einem Mitmach-Buch zusammengestellt. Das mag Ihnen vielleicht zunächst nicht ernsthaft vorkommen, aber muss es das?

Mir fallen Dinge sehr viel leichter, wenn sie mir Spaß machen. Arbeiten, Sport, die innere Mitte finden. Oder Aufräumen, das ist viel schöner, wenn ich dabei spannende Dinge finde. Achtsamkeit ist ja so eine Art Aufräumen der Seele, das kann anstrengend werden, warum also nicht das Ganze mit Humor angehen?

Sich selbst wiederfinden und Spaß dabei haben ist die Devise des Übungsbuches frei nach dem nichtexistenten Coach Joschka Breitner. Sollten Sie noch Teile Ihrer selbst, Ihres freien Willens oder Ihres Humors vermissen, könnten Sie sich einfach bei Herrn Dusse und Herrn Breitner einklinken und bei dem Spaß mitmachen.

Karsten Dusse: „Achtsam morden – Das Übungsbuch nach der Joschka-Breitner-Methode“, Heyne Verlag, 176 Seiten, ISBN 9783453425637, Preis: 12,00 Euro.


Sonja Weber über „Wir finden Mörder

Sonja Weber über „Wir finden Mörder

Richard Osman: Wir finden Mörder

Äußerlich kommt das Buch wie ein Mix aus James Bond und einem späten Hitchcock daher, inhaltlich irgendwie zwischen Quentin Tarantino und Agatha Christie, aber das allein würde dem Buch nicht gerecht. Mit den Figuren Amy Wheeler, ihrem kauzigen Altrocker-Schwiegervater Steve und der etwas schrillen Starautorin Rosie D`Antonio hat Richard Osman ein besonderes Kriminal-Universum geschaffen.

Amy ist Personenschützerin bei Maximal Impact Solutions. Sie diskutiert nicht gern, Probleme regelt sie handgreiflich. Sie soll die ultrareiche, sehr berühmte und so ganz und gar nicht auf den Mund gefallene Schriftstellerin Rosie vor einem russischen Oligarchen beschützen. Der möchte die Lady wegen einer Äußerung über ihn zum Schweigen bringen. Während Amy ihr Bestes gibt, die flatterhafte Diva vor einem vorschnellen Tod zu bewahren, gerät sie selbst ins Fadenkreuz mindestens eines Killers.

Aber warum? Hängt das womöglich mit einem dubiosen Geldschmuggler zusammen, für den ihr Chef gearbeitet hatte? Wenn ja, kann sie niemandem mehr trauen außer ihrem Schwiegervater. Der ist zwar bis auf die Knochen provinziell, lebt aus Überzeugung in einem kleinen englischen Dorf mit zwei Pubs und einer Autowerkstatt und hasst Flugreisen, ist aber ein brillanter Ermittler – auf seine Art. Steve Wheelers Devise ist: Sei nett zu den Menschen, höre auf deine Katze, traue niemandem, der nicht auf Van Halen steht, mach dich nicht nackig und verpass nicht den Quiz-Abend im Pub.

Richard Osman: „Wir finden Mörder“, List Paul Verlag, 432 Seiten, ISBN 9783471360675, Preis: 22,99 Euro.

Zu dem Roman „Wir finden Mörder“ liegt auch eine Rezension von Petra Nietsch vor.


Sonja Weber über „Adressat unbekannt“ und „Der wiedergefundene Freund“

Sonja Weber über „Adressat unbekannt“ und „Der wiedergefundene Freund“

Kathrine Kressmann Taylor:
Adressat unbekannt

Fred Uhlman:
Der wiedergefundene Freund

Zwei Bücher begleiten mich schon lange, und werden das wohl auch noch eine Weile machen. Das eine ist der kurze und erschütternde Briefwechsel zweier Freunde. „Adressat unbekannt“ heißt dieses kleine erstaunliche Büchlein in Briefform von Kressman Taylor.

Die Korrespondenz zwischen dem aus Deutschland stammenden New Yorker Galeristen Max Eisenstein und seinem noch in Deutschland lebenden Freund und Partner Martin Schulse beginnt im November 1932 und endet im März 1934 auf ungewöhnliche Weise. Eine meiner Kolleginnen hat es gerade gelesen, es habe sie bisher nicht mehr losgelassen, meint sie.

Das andere Buch ist Fred Uhlmans “Der wiedergefundene Freund”. 1971 erschien es zunächst in den USA in sehr kleiner Auflage, wurde dann aber in viele Sprachen übersetzt. 1978 kam es in Deutschland auf den Markt, wurde 1989 verfilmt und ist seither nicht mehr aus dem Programm des Diogenes Verlages und den Regalen der Buchhandlungen wegzudenken.

Wunderbar einfühlsam und literarisch ansprechend erzählt der Autor die Geschichte zweier Jungen, die sich 1932 im einem altehrwürdigen Gymnasium in Stuttgart kennenlernen, eine kurze aber intensive Zeit miteinander verbringen, ehe ihre Wege sich gezwungenermaßen trennen. Der Ich-Erzähler Hans Schwarz sagt von seinem Mitschüler Konradin Graf von Hohenfels, er war die „Ursache meines größten Glückes und meiner größten Verzweiflung“.

Dem Autor diente wohl sein eigener Lebenslauf als Vorbild. Die Schule ist angelehnt an das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium, das nicht nur Uhlman sondern auch Claus Graf Schenk von Stauffenberg besuchte.

Kathrine Kressmann Taylor: „Adressat unbekannt“, Atlantik Verlag, 96 Seiten, ISBN 9783455650822, Preis: 13,00 Euro.

Fred Uhlman: „Der wiedergefundene Freund“, Diogenes Verlag AG, 112 Seiten, ISBN 9783257261288, Preis: 12,00 Euro.


Sonja Weber über „Monascella“

Sonja Weber über „Monascella“

Kerstin Holzer:

Monascella

„Herzzerreißend schön zu lesen.“ Hat Elke Heidenreich über Kerstin Holzers Buch „Monascella“ gesagt. Mir fällt keine Besser Beschreibung dazu ein.

Anhand unveröffentlichter Briefe und Gespräche ist diese gleichzeitig spannende, kluge und wunderbar erzählte Biografie über eine Frau entstanden, die zeitlebens versuchte, sich unabhängig von ihrer Familie zu betrachten und diese doch schmerzlich vermisste. Selbst dem Tod durch Ertrinken nur knapp entronnen, verliert Monika ihren Ehemann beim Bombardement des Dampfers, der die beiden ins Exil nach Amerika bringen soll.

Als sie dann endlich doch bei den Ihren, der „amazing Mann Familie“, ankommt, findet sie keinen Halt. Die emotionale Heimatlosigkeit und das Trauma des Krieges, will sie nicht wie ihre Geschwister mit Drogen dämpfen und der Familiendevise „wer kann, der tut“ ist sie nicht gewachsen. Versuche, eine eigenständige künstlerische Existenz aufzubauen und vom berühmten Vater akzeptiert zu werden, führen „Moni“, „das Mönle“, ungeliebtes Kind der Familie Mann, schließlich im Winter 1955 auf die Insel Capri.

Dort, in der Ruhe und Abgeschiedenheit findet sie endlich ihren eigenen Weg. In der Villa Monacone lebt sie mit Antonio Spadaro, „nur“ ein Fischersohn, aber er wird ihre große Liebe, sie seine „Monascella“. Die beiden sind ein Paar, aber meiden die Öffentlichkeit. Auch, als die Insel in den sechziger Jahren zum „in-Place“ von Malern, Musikern und Hollywoodstars wird, schafft Monika Mann es, sich Ihre Privatsphäre zu bewahren.

„Ich lebe auf einer Insel. Es ist still da und die Menschen machen sich Gedanken.“ Schreibt sie zu ihrem neuen Domizil, in dem jeder Straßenjunge ihre Adresse kennt, sie aber trotzdem für sich bleiben kann. Jeden Tag geht sie spazieren und ihr Geist scheint zu heilen. Und während sich die großen der Kulturszene weiter fragen, wie sie da auf dieser schrecklich kleinen Insel „immer nur sein kann“, entsteht Monika Manns erfolgreichstes Werk „Vergangenes und Gegenwärtiges“. 1956 erscheint es und ist ein Befreiungsschlag. Trotzdem bleibt sie auf Capri. Sie verlässt die Insel erst 1986 nach dem Tod ihres geliebten Antonio.

Kerstin Holzer: „Monascella“, dtv Verlagsgesellschaft, 208 Seiten, ISBN 9783423290425, Preis: 22,00 Euro.


Sonja Weber über „Im Schnee“

Sonja Weber über „Im Schnee“

Tommie Goerz:

Im Schnee

Der alte Max hat einen Verlust zu verarbeiten. Über der glitzernden Schneedecke läutet das Totenglöckchen für seinen Freund den Schorsch. Max macht sich auf zur Totenwacht, den ersten Teil der Nacht wachen die Männer, den zweiten die Frauen, so war es schon immer hier.

Dabei wird geredet und nachgedacht, über den Verstorbenen, über gute und schlechte Zeiten und über Dinge, die besser für immer unter dem Schnee bleiben. Neubürger sind nicht dabei bei so einer Totenwacht, die verstehen das nicht. Diese modernen Familien mit ihren modernen Berufen, was wissen die schon von harter Arbeit, von strengen zornigen Vätern und schweigenden Müttern, von verbotenen Kindern und nutzlosen Alten. Die erkennen ja nicht mal die Kamille am Wegesrand im Sommer, noch wissen sie, wie man welche Apfelsorte lagert.

Der Schorsch, der wusste von all dem. Der Max weiß es auch. Eine ganz besondere Freundschaft verband die beiden Männer. Auch darüber weiß außer den beiden niemand etwas und wird es auch nie, und der Schnee deckt nun alles zu. Er ist wie eine endgültige Stille. So ein Dorf ist idyllisch, aber da gibt es halt auch Misthaufen und je näher man denen kommt, umso mehr stinkt es.

Tommie Goerz ist ein Autor, der hinter das Schweigen schaut und die Misthaufen umgräbt bis er die Wunden auf der Seele der Idylle freigelegt.

Tommie Goerz: „Im Schnee“, Piper Verlag GmbH, 176 Seiten, ISBN 9783492073486, Preis: 22,00 Euro.


Sonja Weber über „Gebrauchsanweisung für Pferde“

Sonja Weber über „Gebrauchsanweisung für Pferde“

Juli Zeh:

Gebrauchsanweisung für Pferde

Bislang wusste ich nicht, dass Juli Zeh schon immer ein Pferdemädchen war, ein Pferdemensch, um es heute korrekt zu sagen. 2019 ist ihr Titel „Gebrauchsanweisung für Pferde“ erschienen und inzwischen schon ein weiteres Mal aufgelegt worden. Ich habe wohl immer brav um dieses Werk herum gelesen, es irgendwie so gar nicht wahrgenommen. Es war nicht mein Thema, ist es das jetzt?

Nicht grundsätzlich, aber im Fall von Zehs Buch muss ich ganz klar sagen, ja, denn man hätte auch den Titel „Gebrauchsanweisung für Juli Zeh“ oder „Gebrauchsanweisung für Menschen“ wählen können. Kapitel um Kapitel berichtet die Autorin einer Biografie gleich über ihr Leben mit Pferden.

Erst Schulpferden, dann Pflegepferden und zuletzt auch eigenen. Sie erzählt von Tieren wie von Menschen, manche sind so gute Freunde gewesen, dass man sie nicht vergisst, andere nur lose Bekannte und einige sind halt Familie.

Ich empfinde es als ein sehr persönliches Buch, in dem es nicht um Karriere und Erfolge geht, sondern um den respekt- und liebevollen Umgang mit anderen Lebewesen, das Maß an Verantwortung, dass man trägt und das Vertrauen, dass einem entgegengebracht wird und man selbst in andere setzt. Was kann mehr über einen Menschen aussagen?

Juli Zeh: „Gebrauchsanweisung für Pferde“, 244 Seiten, Piper Verlag, ISBN 978-3-492-27762-4, Preis: 16,00 Euro.