Dienstag 12. Juli Von Hunden, Haien und Wutbürgern

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Wir sind am Dienstag, 12. Juli 2022, angekommen. Es ist der 193. Tag des Jahres, 172 liegen noch vor uns. Falls sich wer wundert, dass in den letzten Tagen keiner der mehr oder minder abstrusen Aktionstage auftauchte: Außer in den USA herrscht da derzeit offenkundig Sommerflaute. Und selbst dort ist heute außer dem National Eat Your Jell-O Day (Wackelpudding-Tag) kaum was Erzählenswertes zu holen. Und Wackelpudding mag ich nicht mal.

Ekelerregend und menschenunwürdig“, „widerlich“, „beschämend scheußlich“, „geschmacklos und primitiv“ und „eine starke Herabsetzung des ‚homo sapiens‘“, so wüteten Leserbriefschreiber 1953 über Wochen. Das Ziel der Angriffe sollte froh gewesen sein, dass es noch keine „Sozialen“ Medien gab, der Shitstorm wäre wohl noch gewaltiger gewesen.

Dabei handelt es sich um einen Säulenheiligen deutschen Humors: Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot. Der hatte sich erdreistet, in seinen Zeichnungen „Auf den Hund gekommen“ einen Rollentausch von Mensch und Hund vorzunehmen. Zwei Jahre hielt der „Stern“ den wütenden Protesten stand, dann stellte er am 12. Juli 1953 die Loriot-Serie ein.

Die Wutbürger-Zitate werden übrigens in Loriots autobiografischem Werk „Möpse und Menschen“ zitiert. Und dem Humoristen blieb zum Broterwerb immerhin noch die ab Juni 1953 wöchentlich in der Kinderbeilage „Sternchen“ erscheinende Serie „Reinhold das Nashorn“.  Alles urkomisch und großartig. Am besten greift man gleich zu „Loriots Gesammelten Werken“.

Ein grausiger Zwischenfall am 12. Juli 1916 bescherte uns einen Blockbuster als Roman und dann vor allem auch als Steven-Spielberg-Film: Im Matawan Creek in New Jersey kam es zu drei Haiangriffen an einem Tag. Zwei Menschen kamen ums Leben, einer wurde schwer verletzt.  Und der Schriftsteller Peter Benchley griff fast 60 Jahre später (1974) zur Feder: „Der weiße Hai“ (englisch).

Nur gut, dass Thor Heyerdahl schon vier Jahre zuvor auf die Idee kam, mit seinem Papyrus-Boot „Ra II“ den Atlantik überqueren zu vollen. So raubten ihm angsterfüllte Hai-Träume (wie mir nach dem Kino-Besuch) zumindest nicht den Schlaf und nach 57 Tagen erreichte er Barbados. Als Buch habe ich allerdings nur Heyerdahls „Kon-Tiki“ entdeckt, in dem er seine Pazifik-Tour beschreibt.

Die Recherchen für unser „bebüchertes Kalenderblatt“ förderten zudem vielleicht noch ein gutes Omen für das EM-Spiel der deutschen Frauen-Nationalmannschaft heute gegen Spanien zutage:  Am 12. Juli 1991 wurden die deutschen Fußball-Frauen in Dänemark durch ein 3:1 gegen Norwegen Europameister.

Das Schlosswort überlassen wir heute Loriot – in der Hoffnung, dass wir ohne Shitstorm wegkommen: „Immer häufiger sehen wir Hunde uns vor die Frage gestellt: Sollen wir uns einen Menschen halten oder nicht? Mögen unsere zweibeinigen Hausgenossen oft Quelle reiner Freude und Heiterkeit sein, so hat die Frage ihrer Haltung doch auch ihre ernsten Seiten: Der Mensch hat – allen Behauptungen zum Trotz – eine Seele. Er erhebt Anspruch darauf, ernst genommen zu werden.

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Montag 11. Juli Ein Sensationsfund

China-Träume und Schach-Neid

Ich brüte an diesem Montag, 11. Juli 2022, über Reiseplänen. Die Crux: Ich fliege nicht gern. Und ansonsten dauert eine China-Reise lange. Aber zu gern würde ich die Terrakotta-Armee von Qin Shihuangdi, den Gründer des Kaiserreichs China, einmal „in echt“ sehen. Heute vor 47 Jahren wurde der Sensationsfund „The Eternal Army: The Terracotta Soldiers of the First Emperor“ (englisch) bekanntgegeben.

Gedacht werden sollte heute auch eines mutigen Mannes, der für seine Überzeugungen einstand: Am 11. Juli 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, wurde der britische Philosoph, Mathematiker, Religionskritiker und Logiker Bertrand Arthur William Russell, 3. Earl Russell, wegen seines Pazifismus von der University of Cambridge suspendiert.

Russell erhielt 1950 den Nobelpreis für Literatur und veröffentlichte gemeinsam mit Alfred North Whitehead die „Principia Mathematica“, eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts über die Grundlagen der Mathematik. Ich will ein anderes Buch von Bertrand Russell unbedingt noch lesen, denn allein vom Titel her steht es schon mal weit oben in meiner Favoritenliste: „Lob des Müßiggangs“.

Russel veröffentlichte fleißig viele Werke und wurde berühmt. Dies gelang der US-Amerikanerin Harper Lee mit einem einzigen Roman, der am 11. Juli 1960 erschien und die Autorin mit einem Schlag weltberühmt machte: „Wer die Nachtigall stört“ (To Kill a Mockingbird) handelt von Kindheit, Heranwachsen und vom Rassismus in den Südstaaten der USA, wurde 1961 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und gehört ohne Frage zu den modernen Klassiker der amerikanischen Literatur. Der Roman wurde weltweit mehr als 40 Millionen Mal verkauft.

Ich bin ein bekennender Schach-Dilettant – weswegen ich Schach-Genies maßlos beneide und bewundere. Und so habe ich (wie seinerzeit fast die ganze Welt) heute vor 50 Jahren aufgeregt in die isländischen Hauptstadt Reykjavík geschaut, wo am 11. Juli 1972 die erste Partie der Schachweltmeisterschaft 1972 zwischen Boris Spasski und Bobby Fischer begann.

Der Zweikampf der Schach-Giganten gilt – allerdings auch wegen des Drumherums in der kältesten Phase des Kalten Kriegs – als „Match des Jahrhunderts“. Das bewegende Leben der Schachikone Bobby Fischer kann man nun umgesetzt als Graphic Novel nachvollziehen: „Bobby Fischer – Eine Schachlegende zwischen Genie und Wahnsinn“.

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Sonntag 10. Juli Ein anglophiler Tag

Verlorene Zeit fürs Lesen finden

Eine Warnung vorab an diesem Sonntag, 10. Juli 2022: Das „bebücherte Kalenderblatt“ ist heute arg anglophil geraten. Obwohl mein Schulenglisch das im Grunde nicht hergibt.

Starten wir daher mit „leichter Muse“ und einem legendären Musikalbum: Das 1961 bei Judy Garlands umjubelten Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall aufgenommene Doppelalbum „Judy at Carnegie Hall“ erhielt heute vor 60 Jahren 5 (in Worten: fünf!!!!!) Grammys. Das Album war 73 Wochen lang in den Billboardcharts, 13 Wochen davon auf der Spitzenposition.

Sogar Bücher wurden über den Konzertabend „Judy at Carnegie Hall“ (englisch) geschrieben. Etwas in Zeitnot, habe ich gestern das Originalalbum nicht gleich gefunden. Aber ein „Best of“ das im Fall der großen Judy Garland ein „Best ever“-Album ist, kann darüber hinwegtrösten. Somewhere over the rainbow…

Bei weitem nicht so bekannt, aber unbedingt so bedeutend ist für britische Autoren der Hawthornden Prize, der heute vor 103 Jahren (1919) zum ersten Mal verliehen wurde. An Edward Shanks für „The Queen of China and Other Poems“ (englisch).

Obwohl der Hawthornden Preis mit 10.000 Pfund eher mittelprächtig dotiert ist, gilt er als äußerst prestigeträchtig. Was dazu führte, dass die Preisträgerliste oft als „who is who“ der britischen Literatur der letzten hundert Jahre bezeichnet wird. Jüngstes Mitglied auf der illustren Liste ist Ian Duhig mit seinem Werk „New and Selected Poems“ (englisch).

Auf prestigeträchtige Preise müssen unsere beiden Geburtstagskinder des Tages wahrhaft nicht mehr schielen, sie gehören zu den Großen der Literatur auf unserem Globus. Heute vor 151 Jahren (1871) erblickte Marcel Proust das Licht der Welt. Muss man mehr sagen als „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Wobei die sieben Bände schon gehörig gefundene Zeit fordern…

Tatsächlich zum Geburtstag gratulieren können wir Alice Munro, die heute 91 Jahre alt wird. Das Werk der kanadischen Literaturnobelpreisträgerin umfasst mehr als 150 Kurzgeschichten – und damit hat sie die Erzählform revolutioniert. Die Geschichten wie in „Liebes Leben“ beginnen oft an einer unerwarteten Stelle und entwickeln sich chronologisch mal rück- und mal vorwärts.

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Samstag 9. Juni Sonnenstrahlen von der Insel

Lichtblicke aus dem Vereinigten Königreich

Den Wettervorhersagen nach starten wir in ein ziemlich graues und an diesem Samstag, 9. Juli 2022, auch regnerisches Wochenende. Ein doppelter Lichtblick kam gestern aus dem Vereinigten Königreich.

Nein, nicht der Rocktritt von Boris Johnson. Gemeint ist das 4:0 der deutschen Fußballfrauen gegen Dänemark bei der Europameisterschaft unter dem sonnigen Himmel von Brentford. Danach muss der Buchtitel „111 Gründe, Frauenfußball zu lieben“, geändert werden. Nun sind es mindestens 112. Und aus Richtung England soll auch noch das nächste Sommerhoch im Anmarsch sein.

Dass der Blick häufiger nach London schwenkte, lag nicht allein am runden Leder, Sportfans interessierten sich dank des mutigen Spiels von Tatjana Maria bis ins Wimbledon-Halbfinale auch wieder für einen gelben Filzball. Im Tennis-Mekka wurde übrigens heute vor 145 Jahren (1877) das erste Tennisturnier ausgetragen.

Und heute vor 33 Jahren (1989) gewannen mit Steffi Graf und Boris Becker zwei deutsche Tennisikonen innerhalb weniger Stunde die Tenniskronen für die Damen und die Herren. „Ich will nach WimbledonDer Tenniseltern-Ratgeber“ sei all jenen empfohlen, die meinen, das eigene Kind zeige deutliche Merkmale eines Tenniswunders.  

Den Grundstein für ein faszinierendes Bauwerk legte Kaiser Karl IV. heute vor 665 Jahren (1357): „Die Brücke der Ewigkeit“ entstand. Die Karlsbrücke, verbindet die Prager Altstadt mit der Kleinseite. Ihren Namen erhielt die Brücke, über die der Krönungsweg der böhmischen Könige führt, aber erst im Jahr 1870. Was man alles sicher auch auf der „Lesereise Prag“ erfährt, die „auf der Karlsbrücke nachts um halb eins“ beginnt und den literarischen Geschichten der Goldenen Stadt nachspürt.

Auch die Glückwünsche gehen heute nach England. An zwei sehr erfolgreiche Autorinnen. Für Freunde des gepflegten Gruselns sei an Ann Radcliffe erinnert, die heute ihren 258. Geburtstag feiern könnte. Sie gehörte zu den populärsten Vertreterinnen und Wegbereiterinnen des Schauerromans (Gothic Novel) wie „Der Italiener oder Der Beichtstuhl der Schwarzen Büßenden“.

Außerdem steht heute der 121. Geburtstag von Dame Mary Barbara Hamilton Cartland an. Ihre Spezialität waren britische Liebesromane. Davon verfasste sie in ihren 101 Lebensjahren 724 Exemplare – und nach ihrem Tod wurden noch 160 unveröffentlichte Romane entdeckt. Die Schreibwut schlägt sich in Verkaufszahlen nieder: Sage und schreibe mehr als eine Milliarde Cartland-Liebesromane gingen über den Ladentisch. Darunter „Der Liebesschwur“ – dem natürlich auch die „Hochzeit mit dem Ungeliebten“ folgen kann…

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Freitag 8. Juli Zauberhaft sportlich

Das runde Leder und der Schnatz

Zumindest in unserem „bebücherten Kalenderblatt“ ist dieser Freitag, 8. Juli 2022, ein sehr sportlicher Tag. Und noch dazu ein sehr zauberhafter Freitag.

Am Thema Fußball kommt man als deutscher Fußballfan am heutigen Datum nicht vorbei. Erinnerungen werden wach an zwei fantastische Spiele der Nationalelf, von denen eines aber bis heute von einem brutalen Foul überschattet wird.

Auch über die „Nacht von Sevilla“ mit dem 5:4 im Elfmeterschießen zwischen Deutschland und Frankreich könnte man natürlich sagen, es sei „nur ein Spiel“ gewesen. Doch diese WM-Partie am 7. Juli 1982 war weit mehr. Ein „Fußballdrama in fünf Akten“ machte Manuel Neukircher daraus. Und darin dürfte Toni Schumachers Attacke auf Patrick Battiston der Tragödien-Teil sein.

Zu Himmel hoch jauchzend für die deutschen Fans, zu Tode betrübt für alle Brasilianer bleibt der 7. Juli 2014 in Erinnerung. Im Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 besiegte Deutschland Brasilien in Belo Horizonte mit 7:1. Und Miroslav Klose ist seither WM-Rekordtorschütze. Fixpunkte sicher auch in der „Fußball-WM-Enzyklopädie“.

Zwei Jahre zuvor erlebte eine andere Sportart ihre WM-Premiere. Und es ging nicht ums runde Leder, sondern um den Schnatz, Quaffel und Klatscher: In Oxford gewann die Mannschaft aus den Vereinigten Staaten die erste Quidditch-Weltmeisterschaft. Laien sollten zu einem Hogwarts-Lehrbuch greifen: Quidditch im Wandel der Zeit“.

Für Harry-Potter-Fans ist der 7. Juli ohnehin nicht irgendein Datum: Heute vor 22 Jahren startete in Großbritannien der Verkauf des vierten Harry-Potter-Romans „Harry Potter und der Feuerkelch“. Der Verlag hatte inzwischen erkennbar dazugelernt. Statt 500 Exemplare wie beim ersten Band wurden nun bereits 370.000 Bücher aufgelegt.

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Donnerstag 7. Juli Die lange Nase

Zweifelsfälle und lange Nasen

Heute ist Donnerstag, 7. Juli 2022. Der Tag, um über die eigenen Deutschkenntnisse zu sinnieren. Und eine gute Gelegenheit, allen mal eine lange Nase zu zeigen.

Das ultimative Standardwerk für alle Zweifelsfälle der deutschen Sprache: Heute vor 142 Jahren (1880) erschien Konrad Dudens „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ im Verlag Bibliographisches Institut in Leipzig. Irgendwie kommt mir beim Stichwort „Duden“ immer ein oft kolportierter, dadurch aber nicht weniger dämlicher Spruch in den Sinn: „Alles klar, keiner weiß Bescheid“.

Apropos Zweifelsfälle der deutschen Sprache. Die bieten mir die Chance, erneut die Werbetrommel für Mark Twains Klage über „Die schreckliche deutsche Sprache“ (deutsch/englisch) zu rühren. Ich habe sie inzwischen ein weiteres Mal gelesen. Großartig.

Eine lange Nase gezeigt, hat Carlo Collodi der Schriftsteller-Konkurrenz wortwörtlich am 7. Juli 1881.  Die erste Geschichte über „Die Abenteuer des Pinocchio“ wurde veröffentlicht. Wer auf lange Nasen steht: Im Dorf Collodi, zwischen Lucca und Pistoia, gibt es den „Parco di Pinocchio“.  Andere Fans werden in deutschen Eisdielen fündig – beim Pinocchio-Eisbecher ragt ein Waffelröllchen als lange Nase aus den Eiskugeln.

In Japan wird heute wie an jedem 7. Juli „Tanabata“ gefeiert, wofür gestern Abend schon an Bambusbäumen Wunschzettel aufgehängt werden. Was auch literarisch seinen Niederschlag fand, allerdings nur auf Englisch: „Tanabata-Wish“.

Ein japanisches Fest auf Basis einer chinesischen Überlieferung. So oder so, eine überaus romantische Angelegenheit, denn es geht um ein Liebespaar. Um ein im Wortsinn himmlisches Liebespaar, die Sterne Wega (Sternbild Leier) und Altair (Sternbild Adler).

Die sind demnach das ganze Jahr über durch die Milchstraße getrennt, treffen sich nur an „Tanabata“. Also sozusagen die Fernost-Variante unsere Königskinder aus der Volksballade, die einander so lieb hatten, für die das Wasser aber viel zu tief war.

Heute vor 61 Jahren (1961) gab der Pariser Verlag Gallimard Raymond Queneaus Buch „Hunderttausend Milliarden Gedichte“ heraus. Zehn Sonette á 14 Zeilen in denen jede Zeile mit allen anderen Zeilen aller Sonette kombinierbar ist (wer hat das eigentlich kontrolliert?).

Um alle Kombinationen zu lesen, müsste man rechnerisch mehreren Millionen Jahre leben. Da ist es vielleicht besser, sich nicht mit den Überlegungen von Germanisten aufzuhalten („Enzensbergers Poesieautomat und Queneaus Sonettmaschine“), sondern gleich mit der Lektüre zu beginnen…

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Mittwoch 6. Juli Ein Tag zum Küssen

Heute schon geküsst?

Sie dürfen sich jetzt küssen.“, Keine Sorge, ich bin an diesem Mittwoch, 6. Juli 2022, nicht unter die Standesbeamten gegangen und wer wen küsst, geht mich auch nichts an. Aber heute ist der Internationale Tag des Küssens.

„Na und?“, mag jetzt mancher denken. Schließlich sang “Sam” schon im Film „Casablanca“ die berühmte Zeile: „A kiss is just a kiss”. Aber von wegen. In Bussi-Bussi-Gesellschaften mag man so achtlos mit der Küsserei umgehen, ansonsten aber ist die Liebkosung mit den Lippen etwas sehr Intimes und hat bekanntermaßen auch viel Märchenhaftes.

Frösche werden zu Prinzen, Dauerschläferin Dornröschen wird süß geweckt und Schneewittchen mit einem Kuss sogar ins Leben zurückgeholt. Wir lassen das mal ungeprüft so stehen. Wissenschaftlich erforscht wurde derweil, dass zwei Drittel der Küsser bei der Tat den Kopf nach rechts neigen.

Mathematisch gesehen sollen wir in 70 Lebensjahren mehr als 76 Tage mit Küssen verbringen. „Sieben Küsse“ wäre also deutlich unter dem Schnitt. Aber in dem Buch geht es auch mehr um literarische Küsse, beispielsweise in Werken von Keller, Kleist, Tschechow, Woolf und Fitzgerald.

 Derweil dürfte es sich beim Buchtitel „Ich küsse Dich Millionen Mal“ um eine maßlose Übertreibung handeln. Das Werk aber handelt von berühmten Liebesbriefen, da darf man(n) schon mal richtig tief in den kitschigen Schmalztopf greifen. Wobei die laut Verlagswerbung „schönsten Liebesbriefe der Weltliteratur“ deutlich maßvoller sind: „Ich küsse Euch tausendmal“.

Wer sich „Ketchup, Kult und Kino-Küsse“ zulegen will, sollte die folgenden Zeilen genau lesen, denn es geht um ein „Film-Quiz für die Wanne“ aus der Reihe (wasserresistenter) „Badebücher für Erwachsene“.  In Hollywood galt von 1930 bis 1967 der „Hays Code“, gern auch „Kuss-Gesetz“ genannt.

Erregende Umarmungen und Posen gingen gar nicht. Und „extrem sinnliche Küsse“ auf der Leinwand waren ein absolutes No-Go. Die maximale Kussdauer war auf 3 Sekunden beschränkt. Sofern die Darsteller in der Senkrechten waren, also standen. In horizontaler Lage (liegend) waren Küsse gar ein Tabu.

Wenn es die Handlung des Films schon verlangte, dass ein Filmpaar gemeinsam auf einem Bett lag, dann war dies nur erlaubt, wenn mindestens einer der Darsteller einen Fuß auf dem Boden behielt. Was manch merkwürdig anmutende Verrenkung erklärt.

So richtig hat der später von der Freiwilligen Selbstkontrolle abgelöste „Hays Code“ aber offenkundig nicht durchgegriffen. Immerhin stammt der laut einer Gallup-Umfrage erotischste Filmkuss aus der Zeit des „Kuss-Gesetzes“:  Den ersten Platz sicherten sich Clark Gable und Vivien Leigh in „Vom Winde verweht“.

Da können wir in Deutschland nicht so viel dagegenhalten. Eine der berühmtesten Knutschereien gerade in Niedersachsen hat ihren Platz eher im Heimatkunde-Unterricht: „Von Werra sich und Fulda küssen…“.

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Sieh hin!

Sieh hin!

Wieteke van Zeil:

Sieh hin!

Ein offener Blick auf die Kunst

Die niederländische Kunsthistoriker öffnet den Blick für Kunst und leitet den Blick der Betrachtenden auf ganz besondere Weise. So entsteht ein schöner Zugang zu bekannten oder unbekannten Kunstwerken, immer wird der Blick zunächst auf ein Detail gerichtet, das sonst vielleicht gar nicht aufgefallen wäre. Vom Detail her wird das gesamte Kunstwerk – vor allem Gemälde, aber auch Skulpturen – erschlossen. „Erst das – scheinbar – unbedachte Detail macht ein Bild wirklich unvergesslich“ ist das leitende Motto des Buches. Vorrangig geht es um Kunstwerke vom 14. bis zum 19. Jahrhundert.

Da fällt der Fuß von Daphne aus der griechischen Sage auf, die goldenen Kugeln in der Hand des Heiligen Nikolaus oder auch die schwarzen Sklavinnen, die nach Surinam verschleppt wurden. Immer gelingt es der Autorin, die Details in die größeren Zusammenhänge zu rücken, oft auch erstaunliche Verbindungen zu unserer Gegenwart herzustellen.

Ergänzt werden die Betrachtungen durch grundlegende Erkenntnisse und konkrete Tipps, die hilfreich sind für Museumsbesuche und die eigene Erschließung von Kunst. Auch Interviews mit Menschen, die schon von berufswegen auf das genaue Hinschauen angewiesen sind, z.B. mit einem Polizisten oder einer Genetikerin, sind eine bereichernde Ergänzung.

Gelegentlich hätte ich mir die Bilder in besserer Qualität gewünscht. Aber im Internet und erst recht beim Museumsbesuch findet man ja bessere Ansichten. Alles in allem ein wunderbares Buch, das Lust auf Kunst macht. Das Buch macht eine grundlegende Erkenntnis glaubwürdig: „Gute Kunst, darauf können Sie vertrauen, birst vor Details, die Ihnen Neues enthüllen, wenn Sie sich die Zeit dafür nehmen.“

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Wieteke van Zeil: Sieh hin! Ein offener Blick auf die Kunst, E. A. Seemann Verlag 2022, ISBN 978-3865024701, 224 Seiten mit 80 farbigen Abbildungen, 28,00 Euro.

Dienstag 5. Juli Mit allen Sinnen

Hinhören und hingucken

Es ist ein Willkommen-und-Abschied-Datum, dieser 5. Juli, der in diesem Jahr auf einen Dienstag fällt. Abschied nahm beispielsweise Maria Callas von der Bühne, das Willkommen galt unter anderem Elvis Presley – und einem Schaf.

Fangen wir mit dem tierischen Beitrag an, zumal das Willkommen für das Schaf Dolly am 5. Juli 1996 durchaus von skeptischen Stimmern begleitet wurde: Das schottische Schaf war das erste geklonte Säugetier. Erstrebenswert? Oder doch lieber die althergebrachte Methode der „Schafzucht“?

Dolly wurde nur sechs Jahre alt. Ausgestopft gehört sie heute zu den Exponaten des Royal Museum Edinburgh. Und einige Kopierprogramme nutzten Dollys Berühmtheit für ihre Zwecke, werben mit einem Schaf im Logo.

Ob Dolly ein Hingucker war, mögen andere entscheiden. Unstrittig ist dies bei einem anderen Newcomer: Am 5. Juli 1946 wurde im Pariser Schwimmbad Piscine Molitor der Bikini präsentiert. Zumindest die öffentlich zur Schau getragene Begeisterung hielt sich in Grenzen.

Seinerzeit löste der Bikini einen Skandal aus, dem ein weltweites Trageverbot beim Baden in der Öffentlichkeit folgte. Was sich aber nicht lange hielt. Das mag an Männerfantasien gelegen haben, anders ist wohl kaum das Coloring-Bandit-Buch „Bikini Babes – Malbuch für Väter“ zu erklären. Und bei so mancher Frau sorgte der Bikini dafür, dass auf Linie gedrillt wurde: „Das Bikini-Bootcamp“.

Eine Legende zum Hinhören startete am 5. Juli 1954 durch: Elvis Presley nahm heute vor 68 Jahren im Sun Studio in Memphis „That’s All Right, Mama“.  Und eine andere Musik-Legende verabschiedete sich elf Jahre später, am 5. Juli 1965, im Royal Opera House in Covent Garden in London: Mit der „Tosca“ trat die Diva und Primadonna Maria Callas von der Opernbühne ab.

Ich habe schon Probleme mit dem Titel „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“, dennoch aber gehört das heute vor 335 Jahren (1687) veröffentlichte Hauptwerk Isaac Newtons zu den berühmtesten Büchern der Welt. Das „Gesetz der Schwerkraft“ habe ich noch so einigermaßen verstanden. Für alles weitere greife ich zu „Total Genial! Isaac Newton“.

Empfohlen für Kinder ab 6 Jahren, was meinem naturwissenschaftlichen Niveau entsprechen dürfte. Sachbücher für Kinder sollte man ohnehin nicht geringachten. Bei der „Sendung mit der Maus“ habe ich einiges mehr gelernt als in der Schule.

Zum Schluss wieder ein Glückwunsch: Am 5. Juli 1889 wurde Jean Cocteau, französischer Schriftsteller, Regisseur und Maler, geboren. Cocteau gehörte zu den führenden Surrealisten seiner Zeit, bestand aber darauf, in erster Linie Dichter zu sein. Was sein Zeitgenosse André Breton anders sah. Er nannte Cocteau einen „notorischen falschen Dichter, einen Versmacher, der alles, was er berührt, entwertet statt aufwertet“. Mit solchen Spitzen konnte Cocteau aber auch selbst dienen: „Gute Erziehung besteht darin, zu verbergen, wie sehr man sich selbst schätzt und wie wenig die anderen.

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Montag 4. Juli Das Wunder von Bern

Schwarz-rot-goldene Glücksgefühle

„Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen…“ Zum Glück tat er es am 4. Juli 1954 und machte Deutschland damit zum ersten Mal zum Fußballweltmeister. Damit kann an diesem Montag, 4. Juli 2022, für mich nicht einmal die amerikanische Unabhängigkeitserklärung mithalten.

Ganz abgesehen von schwarz-rot-goldenen Emotionen liegt der Tag, an dem der zweite Kontinentalkongress die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten verabschiedete, auch deutlich länger zurück. Wurde das deutsche Fußballmärchen vor 68 Jahren wahr, muss man sich an den großen Tag der USA schon 246 Jahre zurückerinnern.

Da empfehlen wir allein mit Blick auf den zeitlichen Abstand lieber große amerikanische Gegenwartsliteratur. Auch wenn Richard Fords „Unabhängigkeitstag“ mit den historischen Ereignissen nur das Datum der Handlung gemein hat. Immerhin erhielt er für den Roman 1996 den Pulitzer-Preis.

Wer sich literarisch lieber ins regennasse Berner Wankdorfstadion des Jahres 1954 zurückversetzen möchte, der kann zu einem Buch zum Sönke-Wortmann-Film greifen: „Das Wunder von Bern“ lässt den 3:2-Sieg über Ungarn lebendig werden.

Emotional vielleicht nicht so packend, aber in jedem Fall interessant dürfte auch das Buch „Vom ,Wunder von Bern‘ bis ,Schwarz-Rot-Geil‘“ sein. Darin wird die Berichterstattung der BILD-Zeitung zu den Fußballweltmeisterschaften 1954, 1974 und 2006 unter die Lupe genommen.

Runden Geburtstag feiert heute die Idee zu einem unvergänglichen literarischen Welterfolg. Auf einer Bootsfahrt auf der Themse erzählt Charles Lutwidge Dodgson am 4. Juli 1862 den Schwestern Alice, Edith und Lorina Lidell eine Geschichte, die er dann für Alice aufschreibt. Genau drei Jahre später erscheint in London unter dem Künstlernamen Lewis Carroll die Erstausgabe von „Alice im Wunderland“.

Frei nach dem Motto, das Beste kommt zum Schluss, wurde am 4. Juli 1991 in der letzten Folge der Fernsehsendung „Total Normal“ der Streich „Hurz!“ von Hape Kerkeling und Achim Hagemann ausgestrahlt. Den muss man gesehen haben, dieser Link führt zu Youtube.

Heute feiert Kerkeling Erfolge mit Geschichten eines Katzenfreundes: „Pfoten vom Tisch!“. Die Genialität von „Hurz!“ hat das für mich eher weniger. Aber vielleicht ist es Elke Heidenreich mit einer Anthologie gelungen, die Verbindung wieder herzustellen: „Katzenmusik und Katerstimmung –  Tierisch-musikalische Geschichten“.

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