Sonja Weber über „Harzwanderungen – Auf Heines Spuren durch den deutschen Wald“

Sonja Weber über „Harzwanderungen – Auf Heines Spuren durch den deutschen Wald“

Paul Scraton: Harzwanderungen – Auf Heines Spuren durch den deutschen Wald

Schon Goethe, Andersen, Heine und andere Dichter und Denker bewegten sich für den Schaffensprozess. Sie veränderten Standorte und damit manchmal Standpunkte, genossen Ausblicke und bekamen Einblicke. Mit seiner Wanderung auf Heinrich Heines Spuren durch den Harz hat mich der in Lancashire im Nordwesten Englands geborene und inzwischen in Berlin lebende Autor Paul Scraton beeindruckt.

Inspiriert durch das 1826 erschienen Buch „Die Harzreise“, machte sich Scraton fast 200 Jahre nach Heinrich Heine auf den Weg, diese nachzugehen. Nun ist das per se erst einmal keine neue Idee, das haben schon einige Menschen gemacht und auch darüber geschrieben. Als Engländer aber bereist der Autor nicht nur einen unbekannten Teil seiner Wahlheimat, sondern betrachtet sowohl die Orte, die Harzer und die Natur als auch Heinrich Heine selbst mit den Augen eines Menschen aus einem anderen Land.

Auf seiner Route von Göttingen über Northeim, Osterode, hinauf zum Brocken und ganz zum Ende bis nach Weimar nimmt uns der Autor immer wieder mit in die Geschichte, verdeutlicht uns Heines Weltsicht, seine Toleranz, seinen Individualismus und den tiefen Eindruck, den er bei Dichtern wie Alexandre Dumas hinterlassen hatte. Mit Genuss und angenehmen Staunen trifft Paul Scraton auf Geister der Vergangenheit und auf Spuren seiner Landsleute, die wie Samuel Taylor Coleridge ebenfalls einst den Harz besuchten.

Diesen leisen, tiefen Genuss, die der Seele angepasste Geschwindigkeit des Reisens und die Sehnsucht und Lust am Gehen auf alten Pfaden, hat sich beim Lesen auf mich übertragen.

Paul Scraton: „Harzwanderungen – Auf Heines Spuren durch den deutschen Wald“, 253 Seiten, Matthes & Seitz Verlag, Seiten, ISBN 978-3-7518-0921-4, Preis: 24,00 Euro.


Sonja Weber über „Wir waren Heldinnen“

Sonja Weber über „Wir waren Heldinnen“

Torsten Körner: Wir waren Heldinnen – Wie Frauen den Fußball eroberten

Torsten Körner ist in seinem neuen Buch „Wir waren Heldinnen – Wie Frauen den Fußball eroberten“ den Damen des deutschen Fußballs auf der Spur. Aus vielen Blickwinkeln hinterfragt er, warum die Männer, und hier vor allem der Deutsche Fußballbund, das Revier auf dem Rasen so vehement gegen die Frauen verteidigten.

Es ist schon beachtlich, unglaublich und in Teilen im höchsten Maße fragwürdig, was da gelaufen ist. Die Alte Riege im DFB hat doch tatsächlich geglaubt, wenn man nur alle Vereine, Trainer und Schiedsrichter genügend unter Druck setzte, könne man fußballbegeisterten Mädchen und Frauen das Spielen, zumindest außerhalb von Hinterhöfen und Kuhwiesen verwehren.

Tja, hat nicht geklappt! Denn eben von dort, von privaten Wiesen, Plätzen und von der Straße gelang der Vormarsch. Es gibt zum Glück Frauen wie Christa Kleinhans und Marlis Marohn, die sich nicht aufhalten ließen, Städte wie Dortmund und München, die sich aus Schmähbriefen des DFB nichts machten und Männer wie Josef Floritz, die sich vehement für die Damenmannschaften einsetzten.

Dieses Buch ist nicht nur sporthistorisch interessant und absolut fesselnd, es klärt noch einen anderen wichtigen Aspekt, nämlich den emanzipatorischen, daher liegt es mir als Frau sehr am Herzen.

Torsten Körner: „Wir waren Heldinnen – Wie Frauen den Fußball eroberten“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, ISBN 978-3-462-00480-9, Preis: 24,00 Euro.


Markus Weber über „Ein fröhliches Begräbnis“

Markus Weber über „Ein fröhliches Begräbnis“

Ljudmilla Ultizkaja: Ein fröhliches Begräbnis

Es ist schon zunächst ein befremdlicher Buchtitel – „Ein fröhliches Begräbnis“. Aber er bringt gut zusammen, worum es in dem Buch der russischen Autorin, die vom Sender Arte als das „unbequeme Gewissen Russlands“ bezeichnet wurde, geht.

Der Kunstmaler Alik hat nicht mehr lange zu leben, seine Lähmungen schreiten voran. Um ihn sammeln sich in seiner Wohnung alle seine Freundinnen und Freunde. Es wird geredet und viel getrunken. Wie selbstverständlich ist Alik der Mittelpunkt dieser bunten Gesellschaft, in der sich Mitte der 1990er Jahre russische Emigranten sehr unterschiedlicher Weltanschauungen, eine Mischung russischer und amerikanischer Kultur, Juden und Russisch-Orthodoxe oder Atheisten in New York sammeln. Eine verrückte Welt.

Ljudmilla Ultizkaja erzählt auf wunderbare Weise vom Zusammenleben in dieser Gesellschaft. Die Sprache ist teils recht derb, niemals aber vulgär; sie ist vom Leben gesättigt, so wie die Menschen, die dort mit den unterschiedlichsten Geschichten zusammenkommen. Nach und nach werden auch deren Geschichten erzählt, von der Ehefrau, seinen Geliebten, den Ärzten, Musikern und Künstlern, die sich mit der amerikanischen Lebenswelt arrangiert haben oder ihr immer noch fremd sind.

Es ist trotz der Krankheit eine lebensfrohe Geschichte, die gerade auch durch den Humor von Alik geprägt wird. So ist es trotz des Themas ein sehr lebensbejahender Roman – ein „fröhliches Begräbnis“ eben.

Ljudmilla Ultizkaja: Ein fröhliches Begräbnis. Roman, dtv Neuausgabe 2022, 176 Seiten, ISBN 978-3423148559, 13,00 Euro.

Markus Weber über „Die Lichter von Budapest“

Markus Weber über „Die Lichter von Budapest“

Oliver Diggelmann: Die Lichter von Budapest

Anatol kommt im Gefolge seiner Freundin Sophie, die als Juristin im Auftrag einer international agierenden Kanzlei tätig ist, nach Budapest. Während Sophie ehrgeizig ist, ist Anatol wenig ambitioniert, bekommt aber als guter Kenner der englischen Sprache eine Stelle an einer „Akademie für Diplomatie der Republik Ungarn“ – quasi als „Zugabe“ für Sophie.

Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Mit dem Blick von außen wird die Vergangenheit erzählt, vor allem, wie verschiedene Protagonisten sich in England kennenlernen und anfreunden. Vor allem der aus Ungarn stammende, nur Castro genannte Freund, spielt eine zunächst undurchschaubare Rolle. Die Gegenwart wird aus der Perspektive von Anatol erzählt, der erst gleichgültig erscheint, aber zunehmend mit undurchsichtigen Machenschaften bekannt wird und sich darin verstrickt.

Dabei verweben sich private Beziehungen, Freundschaften, Liebesbeziehungen und -verrat mit dunklen Geschäften und Korruption. Anatol erfährt von politischen Manipulationen mit EU-Geldern; auf Nachfragen wird ihm aber immer wieder gesagt, er wisse eben nicht, wie das Leben in Ungarn funktioniert. Irgendwann muss er sich entscheiden, wie er mit seinem Wissen umgehen will, und gerät in Konflikte – mit sich, seiner Fteundin Sophie und auch seinem Freund Castro.

Über die Stadt Budapest erfährt man nicht viel, obwohl der Titel das ja nahelegen könnte. Dafür erfährt man aber einiges über die Mechanismen der Politik in der Zeit, bevor Viktor Orban an die Macht gekommen ist – und darüber, auf welche Weise Orban an die Macht kommen konnte.

Oliver Diggelmann: Die Lichter von Budapest. Roman, Alfred Kröner Verlag 2023, 180 Seiten, ISBN 978-3520769015, Preis: 22,00 Euro.

Markus Weber über „Die Holz- und Pappenindustrie im Harzburger Radautal“

Markus Weber über „Die Holz- und Pappenindustrie im Harzburger Radautal“

Edgar Isermann: Die Holz- und Pappenindustrie im Harzburger Radautal 1865 – 1961

Schon im vergangenen Jahr hat der Bad Harzburger Geschichtsverein das Buch herausgegeben, das leider bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Immerhin erzählt der Autor, Edgar Isermann, ein bedeutendes Kapitel der Harzburger Wirtschaftsgeschichte, deren Spuren zum Teil heute noch zu sehen sind.

Der Autor war zum Schreiben motiviert, weil seine Familiengeschichte mit der Holzindustrie im Radautal verbunden ist: Sein Großvater und sein Onkel haben eine der ehemaligen Fabriken lange Zeit geleitet. So kann Edgar Isermann nicht nur auf amtliche Dokumente zurückgreifen, sondern auch auf die Überlieferung der Familie. Und er hebt einen Teil der Harzer Industriegeschichte hervor, der nicht vergessen werden sollte und der im Buch anschaulich dargestellt wird. Dabei beschränkt der Autor sich nicht auf die eigene Familie, sondern blickt darüber hinaus auf andere Firmen.

Die Geschichte beginnt in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufstieg der Holzindustrie – Holz und Wasser waren ja durch die Natur reichlich vorhanden. Gleichzeitig war zunehmender Bedarf in der Papierindustrie vorhanden, für den die Unternehmen im Radautal die Vorprodukte lieferten.

Am bekanntesten ist sicher die Zusammenarbeit mit dem Henkel-Konzern, für deren Ata-Dosen Material geliefert wurde. Angesichts der Eingriffe in die Natur und den Wasserbedarf der Stadt blieben Konflikte nicht aus, die ebenso geschildert werden wie die Erfolge.

Das Buch ist großformatig aufgemacht, sodass die Gestaltung viel Raum für zahlreiche Abbildungen – Fotos, alte Ansichtskarten, Dokumente – hatte. Dadurch lädt es auch ein zum Blättern und Verweilen an der ein oder anderen Stelle. Man kann es selbstverständlich wie jedes Buch von vorne bis hinten lesen, aber man kann sich auch von Bildern oder Überschriften verleiten lassen und herausgreifen, was gerade attraktiv erscheint. Ich wünsche dem Buch, dass es in vielen Bad Harzburger Haushalten – und darüber hinaus – vorhanden ist.

Markus Weber über „Martin Luther King. Ein Leben“

Markus Weber über „Martin Luther King. Ein Leben“

Jonathan Eig: Martin Luther King. Ein Leben.

„… indem wir King quasi zum Heiligen machten, haben wir ihn ausgehöhlt.“ Jonathan Eig gelingt es in seiner Biografie, die 2024 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde, Martin Luther King nicht zum unangreifbaren Heiligen und Helden zu stilisieren, sondern einen Menschen mit seinen Träumen, aber auch mit Zweifeln und Sorgen, mit Ecken und Kanten zu beschreiben. Er verschweigt auch nicht die Affären mit verschiedenen Frauen, die seine Gegner gegen King verwenden wollten.

So entsteht ein lebendiges Bild von Martin Luther King, der mich seit meiner Jugend mit seinem Kampf gegen Rassismus und für Gewaltfreiheit beeindruckt, auch mit seiner Orientierung an biblisch-prophetischer Tradition. Und ich habe mir Zeit gelassen beim Lesen der umfangreichen Lebensbeschreibung. Da sind Kapitel, die mich persönlich berührt haben, weil sie nicht nur die Reden Kings wiedergeben, sondern sie einbetten in die zeitlichen Zusammenhänge und die Wirkung auf die konkreten Menschen seiner Zeit sehr anschaulich beschreiben.

Da sind aber auch Kapitel, die sehr detailliert verdeutlichen, wie seine Gegner versuchten ihm zu schaden, wie das FBI seine Hotelzimmer und private Wohnräume verwanzt und abgehört hat. Immer wieder wurde er kommunistischer Umtriebe verdächtigt. Und auch die US-Präsidenten, die ihn nach außen hin unterstützten, bekämpften ihn bei verschiedenen Vorhaben.

Eigs Buch zeigt ebenso die Brutalität der amerikanischen Gesellschaft, unter der vor allem die Schwarzen und andere Unterprivilegierte zu leiden hatten. Deutlich wird, wie weiße Rassisten mit offener Gewalt gegen die Bestrebungen der Bürgerrechtsbewegung, immer wieder auch gegen King und seine Familie vorgingen und staatliche Organe teilweise den Schutz verweigerten, sich sogar offen auf die Seite der Rassisten stellten.

Jonathan Eig ist ein beeindruckendes Werk gelungen, das zeigt, wie Martin Luther Kings Prinzipien gerade heute vor dem Hintergrund der amerikanischen Politik und der Weltlage nichts an Bedeutung verloren haben.

Jonathan Eig: Martin Luther King. Ein Leben, Deutsche Verlags-Anstalt 2024, 752 Seiten ISBN 978-3421048455, 34,00 Euro.

Markus Weber über „Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland“

Markus Weber über „Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland“

Jens-Christian Wagner/Sybille Steinbacher (Hrsg.): Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland.

Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland

Wer regelmäßig Leserbriefe in der Goslarschen Zeitung liest, wird immer wieder auf solche Leserbriefe stoßen, die die Geschichte für politische Botschaften nutzen und die Geschichte verdrehen: Da werden die Nazis zu Linksextremisten gemacht, die NS-Verbrechen verharmlost oder ein Ende der bisherigen Erinnerungskultur gefordert. Ich finde solche Verdrehungen gefährlich, gerade für unsere Demokratie.

Solcher Geschichtsverdrehung widmet sich der jetzt im Göttinger Wallstein-Verlag erschienene Sammelband. Herausgegeben wurde er von Jens-Christian Wagner, mehrere Jahre Leiter der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, heute Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, und Sybille Steinbacher, Professorin für Geschichte und Direktorin des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt a.M.

Unterschiedliche Experten haben Beiträge zum gesamten Problembereich verfasst:

Zur Geschichte der Relativierung der Verbrechen und Bildung von Geschichtsmythen, die z.T. auf NS-Propaganda zurückzuführen sind. Es werden unterschiedliche Formen vorgestellt, aber auch die Akteure, Zeitschriften und Verlage, in denen diese Mythen Verbreitung finden.

Herauszuheben ist besonders Götz Kubitschek, der in Schnellroda einen rechten Verlag führt mit dem Ziel, rechte Propaganda zu betreiben und sagbar zu machen. Volker Weiß analysiert beispielhaft eine Rede Kubitscheks, der in martialischer Weise die Deutungshoheit über die Geschichte einfordert – mit den Worten: „Lasst uns Krieg führen!“ Mir hat das Buch geholfen, mich in solchen Fragen zu orientieren.

Letztlich geht es den Autoren des Sammelbandes darum, dass die Auseinandersetzung um eine faktenorientierte Geschichtsschreibung auch der Demokratie dient – und der „demokratischen Selbstverständigung in der Bundesrepublik“, und zwar zur Wahrung demokratischer Werte.

Jens-Christian Wagner/Sybille Steinbacher (Hrsg.): Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland. Formen, Felder, Ideologie, Wallstein 2025, 205 Seiten, ISBN 978-3835358416, Preis: 20,00 Euro.

Sonja Weber über „Wir finden Mörder

Sonja Weber über „Wir finden Mörder

Richard Osman: Wir finden Mörder

Äußerlich kommt das Buch wie ein Mix aus James Bond und einem späten Hitchcock daher, inhaltlich irgendwie zwischen Quentin Tarantino und Agatha Christie, aber das allein würde dem Buch nicht gerecht. Mit den Figuren Amy Wheeler, ihrem kauzigen Altrocker-Schwiegervater Steve und der etwas schrillen Starautorin Rosie D`Antonio hat Richard Osman ein besonderes Kriminal-Universum geschaffen.

Amy ist Personenschützerin bei Maximal Impact Solutions. Sie diskutiert nicht gern, Probleme regelt sie handgreiflich. Sie soll die ultrareiche, sehr berühmte und so ganz und gar nicht auf den Mund gefallene Schriftstellerin Rosie vor einem russischen Oligarchen beschützen. Der möchte die Lady wegen einer Äußerung über ihn zum Schweigen bringen. Während Amy ihr Bestes gibt, die flatterhafte Diva vor einem vorschnellen Tod zu bewahren, gerät sie selbst ins Fadenkreuz mindestens eines Killers.

Aber warum? Hängt das womöglich mit einem dubiosen Geldschmuggler zusammen, für den ihr Chef gearbeitet hatte? Wenn ja, kann sie niemandem mehr trauen außer ihrem Schwiegervater. Der ist zwar bis auf die Knochen provinziell, lebt aus Überzeugung in einem kleinen englischen Dorf mit zwei Pubs und einer Autowerkstatt und hasst Flugreisen, ist aber ein brillanter Ermittler – auf seine Art. Steve Wheelers Devise ist: Sei nett zu den Menschen, höre auf deine Katze, traue niemandem, der nicht auf Van Halen steht, mach dich nicht nackig und verpass nicht den Quiz-Abend im Pub.

Richard Osman: „Wir finden Mörder“, List Paul Verlag, 432 Seiten, ISBN 9783471360675, Preis: 22,99 Euro.

Zu dem Roman „Wir finden Mörder“ liegt auch eine Rezension von Petra Nietsch vor.


Sonja Weber über „Adressat unbekannt“ und „Der wiedergefundene Freund“

Sonja Weber über „Adressat unbekannt“ und „Der wiedergefundene Freund“

Kathrine Kressmann Taylor:
Adressat unbekannt

Fred Uhlman:
Der wiedergefundene Freund

Zwei Bücher begleiten mich schon lange, und werden das wohl auch noch eine Weile machen. Das eine ist der kurze und erschütternde Briefwechsel zweier Freunde. „Adressat unbekannt“ heißt dieses kleine erstaunliche Büchlein in Briefform von Kressman Taylor.

Die Korrespondenz zwischen dem aus Deutschland stammenden New Yorker Galeristen Max Eisenstein und seinem noch in Deutschland lebenden Freund und Partner Martin Schulse beginnt im November 1932 und endet im März 1934 auf ungewöhnliche Weise. Eine meiner Kolleginnen hat es gerade gelesen, es habe sie bisher nicht mehr losgelassen, meint sie.

Das andere Buch ist Fred Uhlmans “Der wiedergefundene Freund”. 1971 erschien es zunächst in den USA in sehr kleiner Auflage, wurde dann aber in viele Sprachen übersetzt. 1978 kam es in Deutschland auf den Markt, wurde 1989 verfilmt und ist seither nicht mehr aus dem Programm des Diogenes Verlages und den Regalen der Buchhandlungen wegzudenken.

Wunderbar einfühlsam und literarisch ansprechend erzählt der Autor die Geschichte zweier Jungen, die sich 1932 im einem altehrwürdigen Gymnasium in Stuttgart kennenlernen, eine kurze aber intensive Zeit miteinander verbringen, ehe ihre Wege sich gezwungenermaßen trennen. Der Ich-Erzähler Hans Schwarz sagt von seinem Mitschüler Konradin Graf von Hohenfels, er war die „Ursache meines größten Glückes und meiner größten Verzweiflung“.

Dem Autor diente wohl sein eigener Lebenslauf als Vorbild. Die Schule ist angelehnt an das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium, das nicht nur Uhlman sondern auch Claus Graf Schenk von Stauffenberg besuchte.

Kathrine Kressmann Taylor: „Adressat unbekannt“, Atlantik Verlag, 96 Seiten, ISBN 9783455650822, Preis: 13,00 Euro.

Fred Uhlman: „Der wiedergefundene Freund“, Diogenes Verlag AG, 112 Seiten, ISBN 9783257261288, Preis: 12,00 Euro.


Sonja Weber über „Monascella“

Sonja Weber über „Monascella“

Kerstin Holzer:

Monascella

„Herzzerreißend schön zu lesen.“ Hat Elke Heidenreich über Kerstin Holzers Buch „Monascella“ gesagt. Mir fällt keine Besser Beschreibung dazu ein.

Anhand unveröffentlichter Briefe und Gespräche ist diese gleichzeitig spannende, kluge und wunderbar erzählte Biografie über eine Frau entstanden, die zeitlebens versuchte, sich unabhängig von ihrer Familie zu betrachten und diese doch schmerzlich vermisste. Selbst dem Tod durch Ertrinken nur knapp entronnen, verliert Monika ihren Ehemann beim Bombardement des Dampfers, der die beiden ins Exil nach Amerika bringen soll.

Als sie dann endlich doch bei den Ihren, der „amazing Mann Familie“, ankommt, findet sie keinen Halt. Die emotionale Heimatlosigkeit und das Trauma des Krieges, will sie nicht wie ihre Geschwister mit Drogen dämpfen und der Familiendevise „wer kann, der tut“ ist sie nicht gewachsen. Versuche, eine eigenständige künstlerische Existenz aufzubauen und vom berühmten Vater akzeptiert zu werden, führen „Moni“, „das Mönle“, ungeliebtes Kind der Familie Mann, schließlich im Winter 1955 auf die Insel Capri.

Dort, in der Ruhe und Abgeschiedenheit findet sie endlich ihren eigenen Weg. In der Villa Monacone lebt sie mit Antonio Spadaro, „nur“ ein Fischersohn, aber er wird ihre große Liebe, sie seine „Monascella“. Die beiden sind ein Paar, aber meiden die Öffentlichkeit. Auch, als die Insel in den sechziger Jahren zum „in-Place“ von Malern, Musikern und Hollywoodstars wird, schafft Monika Mann es, sich Ihre Privatsphäre zu bewahren.

„Ich lebe auf einer Insel. Es ist still da und die Menschen machen sich Gedanken.“ Schreibt sie zu ihrem neuen Domizil, in dem jeder Straßenjunge ihre Adresse kennt, sie aber trotzdem für sich bleiben kann. Jeden Tag geht sie spazieren und ihr Geist scheint zu heilen. Und während sich die großen der Kulturszene weiter fragen, wie sie da auf dieser schrecklich kleinen Insel „immer nur sein kann“, entsteht Monika Manns erfolgreichstes Werk „Vergangenes und Gegenwärtiges“. 1956 erscheint es und ist ein Befreiungsschlag. Trotzdem bleibt sie auf Capri. Sie verlässt die Insel erst 1986 nach dem Tod ihres geliebten Antonio.

Kerstin Holzer: „Monascella“, dtv Verlagsgesellschaft, 208 Seiten, ISBN 9783423290425, Preis: 22,00 Euro.