Die Protagonistin Insa Schönberg, eine junge noch unerfahrene, aber in höchstem Maße abenteuerlustige Fotografin der Nachkriegszeit, geht mit dem bekannten Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt eine Wette ein. Sie wird ihm ein Foto seines Stars Ernest Hemingway beschaffen, das den exzentrischen Autor nicht nur als Person abbilden, sondern ihn nahbar und sehr persönlich zeigen soll. So reist sie also mit nichts als Mut, Entschlossenheit und ihrer Kamera im Gepäck nach New York und dann notgedrungen weiter nach Kuba.
Die Autorin, die selbst sehr jung nach New York „durchbrannte“, lebt heute in Berlin. Der Roman sei als Hommage an die Fotografin und Verlegerin Inge Schönthal, später Inge Feltrinelli, endstanden, schreibt sie im Nachwort. Mit einem guten Gespür für die Ära und natürlich für ihre Protagonistin lässt Natascha Bub uns ein wenig vom Flair des Kuba in den frühen fünfziger Jahren und einen polarisierenden Starautor erleben.
Liebevoll schreibt Güner Yasemin Balci über ihre Heimat Berlin-Neukölln: Schneeflocken im Winter, Fernsehabende mit Hans Rosenthal, die rauen Hände des Vaters, die Currybude auf der Karl-Marx-Straße, laute Musik von Django Reinhardt aus Autoradios, Wettspringen im Freibad, die Sprache und vieles mehr – vor allem aber die Werte des Grundgesetzes, Menschenwürde und Gleichberechtigung.
In der ersten Hälfte ihres Buches beschreibt die Journalistin und heutige Integrationsbeauftragte in Neukölln sehr anschaulich und packend die Geschichte ihrer Familie. Die Eltern kamen als türkische „Gastarbeiter“ nach Deutschland. Güner wurde 1975 inmitten der Großstadtsiedlung, einem sozialen Brennpunkt, geboren und wuchs dort in einem freiheitlichen Umfeld auf. Die Eltern erzogen sie in Liebe zur Freiheit und zu Bildung, gerade auch für sie als Mädchen.
Dabei verklärt die Autorin nichts, sondern schildert auch, wie enge Verwandte teilweise in Armut abrutschten oder ihr Bruder kriminell wurde. Immer zeigt sie ihre Beobachtungen und Einschätzungen an konkreten Menschen und Schicksalen. Deutschland galt den Eltern als Rettung aus „Willkür und Unwissenheit“, auch wenn eine Verbundenheit zu ihren Ursprüngen in der Türkei erhalten blieb, etwa durch die Reisen der Familie.
In der zweiten Hälfte des Buches steht im Mittelpunkt, wie die freiheitliche Welt der Kindheit und Jugend zunehmend in Bedrängnis geriet, nicht nur durch rechtsextreme Ausländerfeindlichkeit, sondern vor allem auch durch islamistische Hassprediger und zugewanderte arabische Clans. Auch diese Bedrohungen werden sehr konkret mit menschlichen Schicksalen verknüpft.
Mädchen werden gezwungen, sich zu verschleiern; Frauen, die aus Zwangsehen fliehen wollen, von der eigenen Familie mit dem Tode bedroht. Antisemitismus, Homophobie und Antiziganismus machen sich breit. Und die Zivilgesellschaft schaut aus falsch verstandener Toleranz zu, was nicht der Demokratie, sondern nur der antidemokratischen Rechten nützt.
Güner Yasemin Balci erfährt, wie sie für ihr Engagement gegen diese Tendenzen angefeindet wird, aber auch Unterstützung erhält. Mir scheint es wichtig zu sein, auch die im Buch beschriebenen demokratiefeindlichen Bestrebungen in unserer Gesellschaft ernst zu nehmen.
„Wir brauchen einen Patriotismus, der weder auf Herkunft noch Hautfarbe gebaut ist, sondern schlicht auf dem Fundament der Werte einer freien demokratischen Gesellschaft. Einen Patriotismus, der vielen einen Platz lässt, aber nicht alles akzeptiert, sondern unmissverständlich Grenzen zieht, wenn an seinen Grundfesten gerüttelt wird.“ Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.
Ein Philosophieprofessor, eine Leiche und eine slowakische Pflegerin in Stein am Gebirge. Was kann da schon passieren?
Quintus ist Alkoholiker. Seine Frau hat ihn verlassen, auch seine Tochter spricht nicht mehr mit ihm. Nur mit seinem Hund „Machtnix“ geht er noch Gassi, bis er auf einer dieser Runden auf Evelina trifft. Sie ist auf der Suche nach ihrer Schwester, die zuvor bei einem der reichsten Männer in Stein am Gebirge gearbeitet hat.
Um ihre Schwester zu finden, arbeitet sie als Pflegerin bei Herrn Zillner, dem fast alles in Stein am Gebirge gehört. Zusammen begeben sie sich auf die Suche nach Evelinas Schwester, bis plötzlich Anschläge auf Quintus verübt werden, Evelina Drohungen erhält und als sie den entscheidenden Hinweis erhalten, will die Polizei nichts machen.
So begeben sie sich auf die wilde Jagd im Gebirge, um Angelina zu finden. Doch dass sie dabei auf unerklärliche Tatsachen stoßen, lässt das bescheidene Stein am Gebirge plötzlich wach werden.
Ein witziger und leicht komischer Roman, für dessen Humor man offen sein muss, der jedoch ein absolutes Lesevergnügen bereitet.
Sind Geheimnisse in Ordnung, die höchst eigene Privatsphäre? Hat die nicht Jeder und Jede? Womöglich, und doch können sie zerstörerisch sein, wenn sie ans Licht kommen. Das unangenehme Gegenteil von geheimnisvoll sozusagen. Also geheimniskrämerisch, berechnend, manipulativ und egoistisch oder ein Verheimlichen aus Angst vor einer Auseinandersetzung.
Genau durch so eine Nichterwähnung gerät in Kristina Hauffs neuestem Roman „Schattengrünes Tal“ die Beziehung zwischen Lisa und ihrem Mann Simon mehr als ins Wanken. Als Simon immer wieder verstörende Nachrichten über sein Smartphone erhält, beginnt ein Versteckspiel für ihn, dass einen Abgrund zwischen dem Paar schafft, den Lisa viel zu spät bemerkt.
Das marode Hotel ihrer Eltern, der tyrannische Vater und der nahende Winter in dem kleinen Ort im Schwarzwald beanspruchen ihre ganze Aufmerksamkeit. Dabei möchte Lisa doch noch so viel mehr vom Leben.
Als eine unbekannte und seltsam hilflose Frau ausgerechnet im Familienbetrieb Unterschlupf sucht, scheint das zunächst ein Segen zu sein. Als Lisa merkt, dass die angebotene Hilfe im Hotel und die Suche nach Freundschaft nicht nur Mittel zum Zweck, sondern eine feindliche Übernahme ihres ganzen Lebens sind, scheint es fast zu spät zu sein. Lisas und Simons vermeintlich stabiler Alltag wird durch ein manipulatives Psycho-Erdbeben erschüttert, dass alle Beteiligten in den Abgrund zu reißen droht.
Einen packenden Thriller aus dem Harz, der Gänsehaut garantiert, verspricht der junge Autor Monalishan Santhalingam, wenn er am Donnerstag, 4. Juni 2026, um 19.00 Uhr in der BÜCHER-HEIMAT seinen neuen Roman „Flüsternde Erinnerungen“ vorstellt. Mit dem Thriller legt der Salzgitteraner nach seinem Debüt „Auf diesem Pfad“ von 2024 nun seinen zweiten Roman vor.
Zum Inhalt: Im Fokus steht Jojo, ein Physiotherapeut, der nach Jahren in seine Heimat zurückkehrt – und sich seiner verdrängten Vergangenheit stellen muss. Einst wurde er im Harz gefunden. Traumatisiert. Ohne Erinnerungen.
Seine Freunde: Bis heute vermisst. Als erneut Wanderer im Harz verschwinden, kehren seine verdrängten Erinnerungen zurück – Stück für Stück, gefährlich und unaufhaltsam.
Zum Autor
Monalishan Santhalingam wurde 1999 in Frankfurt am Main geboren und verbrachte seine Kindheit in der Großstadt mit Hochhäusern und Straßenlichtern. Er lebt aktuell im Raum Braunschweig und arbeitet als Ergotherapeut. In „Flüsternde Erinnerungen“ führt er die Leserinnen und Leser von Hamburg über Braunschweig bis zur geheimnisvollen Achtermannshöhe im Harz – inspiriert von einer eigenen Wanderung. Dem jungen Autor gelingt es, die raue, geheimnisvolle Landschaft des Harzes atmosphärisch einzufangen und mit psychologischer Spannung zu verweben. Sein neuer Thriller ist mehr als nur eine Geschichte – er ist eine Reise in die Untiefen der Erinnerung und die Abgründe menschlicher Angst.
Mehr Informationen über den Autor finden Sie unter der Internetseite: www.santhalingam.de
Donnerstag, 4. Juni 2026, 19.00 Uhr, BÜCHER-HEIMAT Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten Anmeldung in der BÜCHER-HEIMAT, Telefon (05322) 9059599 | Mail: info@die-buecherheimat.de
Annett Gröscher/Peggy Mädler/Wenke Seemann: Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat
So verrückt wie der Titel klingt, so ungewöhnlich ist das Buch. Die drei Autorinnen ostdeutscher Prägung treffen sich an sieben Abenden, an jedem Abend gibt es ein anderes Getränk mit unterschiedlich anregender Wirkung und ein neues Thema. Das Buch protokolliert die Gespräche der Frauen, wobei schon das Etikett „ostdeutsch“ selbst zur Debatte steht.
Kritisch reflektieren die Frauen, wie sie in der DDR geprägt wurden und was geblieben ist. Dabei gewinnt der (in diesem Fall westdeutsche) Leser interessante Einsichten in Ideologie und Alltag der DDR. Und es wird auch der Frage nachgegangen, welche Geister heute noch nachwirken.
Nach dem Ende der DDR, die ihre Versprechungen eines gerechten Staates nicht eingelöst hatte, kam vieles in Bewegung, neue Möglichkeiten ergaben sich – und massiv auch Enttäuschungen. Die Konfrontation mit der harten Realität des Kapitalismus, spürbar etwa bei den Privatisierungen auf dem Wohnungsmarkt, hinterließ Spuren.
Die Ostdeutschen wurden zur „unattraktiven Minderheit“ in der Bundesrepublik. Dennoch: Trotz der Beschädigungen, die die Diktatur hinterlassen hatte, waren die Menschen Teil der Selbstbefreiung. Hoffnungen auf Gerechtigkeit und mehr Demokratie bleiben nach wie vor, wie die Gespräche deutlich machen.
Allerdings wachsen angesichts der heutigen Wirklichkeit auch neue Sorgen: vor der Ausbreitung der AfD, angesichts der wachsenden Klimakatastrophe oder wegen der Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit Geflüchteten.
Für mich ist es vorbildlich, wie jede der drei Frauen ihre eigenen Perspektiven einbringen kann und sich gerade aus der Neugier an der Sicht der anderen und der Unterschiedlichkeit ein gutes Gespräch ergibt. Davon ließe sich in der heutigen Gesellschaft lernen.
Zwischentexte, die die Gespräche einordnen, und Fußnoten, die erklärende Hinweise z.B. auf Literatur oder ostdeutsche Zusammenhänge geben, ergänzen die Dokumentation der Gespräche. Mir haben die Gespräche viele Anregungen gegeben, neu nachzudenken – über die DDR, die „Wendezeit“, die Wahrnehmung der aktuellen Situation.
Dieser Roman ist nichts für schwache Nerven – spielt doch brutale Gewalt die eigentliche Hauptrolle.
Erik erfährt zuhause täglich körperliche Gewalt von seinem Vater, und lernt so, dass Autorität nur durch Gewalt erhalten bleibt. Als Anführer einer Jugendbande verschafft er sich mit den Fäusten Respekt und treibt die Bande zu immer neuen kriminellen Untaten.
Als er eines Tages zu weit geht und von der Schule verwiesen wird, kommt er in das Internat Stjärnberg, einer Eliteschule in der Nähe von Stockholm, aber kein Hort der Friedfertigkeit. Der „Rat“ sadistischer Primaner quält und erniedrigt die jüngeren Schüler grausam und ohne Gnade.
Es klingt kaum möglich, aber genau diese Grausamkeit bringt Erik dazu, die Gewalttätigkeiten hinter sich zu lassen. Er erkennt, dass die Fäuste ihn im Leben nicht weiterbringen, sondern nur der Verstand. Er will immerhin Rechtsanwalt werden, er will das Schulsystem verändern, dafür braucht er das Abitur.
Was sich nach einem rosaroten Happy End anhört, ist in Wirklichkeit die Erkenntnis, dass auch der Verstand eine grausame Waffe sein kann, die Erik ein letztes Mal anwendet, als er nach seinem erfolgreichen Abschluss noch einmal nach Hause fährt…
Ein intensives Buch, beinahe kühl und distanziert erzählt, wirkt es noch lange nach!
Eine Familie, drei Generationen, viele verschiedene Blickwinkel und Ansichten, die auf-, gegen- und voneinander abprallen. Ein Lesegefühl wie bei Juli Zeh vermittelt Katja Schönherr.
In ihrem Buch „Alles ist noch zu wenig“ geschieht kein großes Unglück, kein Mord und es wird auch nicht von der Liebesgeschichte des Jahrhunderts erzählt, es ist einfach der Alltag, der geschieht. Die in Dresden geborene Autorin und Schriftstellerin hat einen Familienroman geschaffen, der ohne schicksalshafte Zufälle und unglaubliche Dramen zu bemühen doch die großen Themen unserer Gesellschaft anspricht: Erwartungen, Verantwortung, Verständnis für die Situation anderer Menschen, Hilfsbereitschaft und Zuneigung.
In einem heißen Brandenburger Sommer driften Carsten, seine Mutter Inge und seine Tochter Lissa aufeinander zu und wieder voneinander weg. Stoßen alle Menschen um sie herum ab und ziehen sie wieder an, bis sich die eigenen Wünsche und Möglichkeiten mit der Realität angefreundet haben.
Nichts ist hier perfekt, alles, was die Einzelnen geben können, wird nicht ausreichen, um allen Ansprüchen zu genügen und alle tragen dabei Altlasten mit sich herum. So ist das wohl im Leben, es gibt Zeiten für Champagner, Zeiten für Pellkartoffeln und Zeiten für heiße Milch mit Honig.
Frauen, die Frauen lieben, galten bei den Nationalsozialisten schnell als asoziale Menschen. Leicht war es, Vorwände zu finden, um sie einzusperren bzw. in das KZ zu stecken.
In diesem Fall war es eine Intrige der eigenen Familie, die mit der Lebensweise der Tochter nicht einverstanden war. In der Gefangenschaft wurde sie vergewaltigt. Die später geborene Tochter wurde ohne die Zustimmung der Mutter zur Adoption gegeben.
Als die Enkelin der Adoptivmutter davon erfährt, versucht sie, ihrer eigenen Geschichte auf die Spur zu kommen. Die Großmutter ist keine große Hilfe und blockiert das Ansinnen eher. Es wird eine Fahrt in eine grausame Vergangenheit, aber vielleicht hat die Mutter überlebt. Dann hätte sie endlich Klarheit.
Ein spannendes Buch zu einem Thema, das selten Stoff für einen Roman bietet. Die Autorin lebt und arbeitet in Braunschweig.
Den meisten von uns wird beim Stichwort „Titanic“ nicht nur das Schicksal des „unsinkbaren“ Schiffes vor Augen stehen, sondern auch die Geschichte von Rose und Jack, in der das Salonorchester an Bord nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Das ist bei Erik Fosnes Hansen ganz anders. Hier stehen die Musiker der Schiffskapelle im Zentrum der Aufmerksamkeit, die zum Teil ganz zufällig diese Reise mitmachen.
Die Lebensreisen von vier Musikern erzählt Hansen parallel zur Reise des Ozeanriesen. Jede ist komplett anders als die anderen und doch haben sie etwas gemeinsam. Als Leserin hatte ich das Gefühl, dass jede Geschichte genau hierhinführt – auf die Titanic und damit an ihr Ende. Wir wissen, wie es mit dem Schiff weitergeht und wohin die Reise führt, wir wissen, was den Orchestermitgliedern widerfahren wird.
Das macht dieses Buch zu etwas Besonderem, gelingt es dem Autor doch einfühlsam, emotional und folgerichtig die Geschehnisse zu ordnen, durchaus spannend und tief, aber ohne dramatisch zu werden oder ins Chaotisch-Panische abzurutschen.
Ich habe dieses Buch mit großer Freude gelesen, Freude an der Sprache und Freude an der Komposition der Geschichten.
Unbedingt empfehlenswert – auch und besonders für Titanic-Fans!