Lena Scholz über „Windstärke 17“

Lena Scholz über „Windstärke 17“

Caroline Wahl:

Windstärke 17 

Bereits 22 Bahnen hat mich nachhaltig beeindruckt und der zweite Band hat für mich diese Reihe abgerundet. 

Nun geht es um Ida, die statt zur Beerdigung ihrer Mutter nach Rügen fährt. Doch mit diesem Klumpen undefinierbarer Gefühle aus Wut, Trauer, Angst und kein Plan, wie es weitergehen soll, verspürt sie den Drang nach Ostsee. Als sie dort auf den alten Seebären Knut trifft und seine Frau Marianne, verspürt sie das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl angekommen zu sein. 

Doch kann Ida ihre Vergangenheit so schnell hinter sich lassen? 

Mit überraschenden Wendungen macht es Caroline Wahl bis zum Ende spannend. 

Aufwühlend, intensiv und fesselnd!  

Für mich eine perfekte Sommerlektüre. 

Caroline Wahl: “Windstärke 17”, DuMont Buchverlag, 253 Seiten, ISBN 9783832168414, Preis: 24,00 Euro. 


Hans Georg Ruhe über „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“

Hans Georg Ruhe über „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“

Jan Costin Wagner:

Sakari lernt, durch Wände zu gehen

Immer weniger als Kriminalroman erkennbar, doch permanent spannender werdend bis zum Schluss:

Der sechste Roman um den finnischen Kommissar Joentaa ist große Kunst, ist gekonnte Literatur. Wagner verwebt Zeit- und Erfahrungsebenen zunächst verwirrend, dann aufregend und endlich fast entspannend. Sein Stil ist dicht: kein Wort zufiel, knappe Sätze voller Andeutungen, einfache Sprache, prägnant.

Der offenbar verwirrte Sakari wird von einem Polizistenkollegen erschossen. Die Recherchen des Kommissars stoßen auf verletzte Familien, auf stumme Verzweiflung und einen Motorradunfall, der schon Jahre zurückliegt und alles verändert hat – am Ende auch Handlung und Wahrnehmung des Polizisten, der selbst unter einem Verlust leidet.

Das Buch bleibt lange im Kopf, im Herz, in den Kleidern hängen.

Jan Costin Wagner: „Sakari lernt, durch Wände zu gehen“ – ein Kimmo-Joentaa-Roman, Verlag Galiani Berlin, 240 Seiten, ISBN: 978-3-86971-018-1, Preis: 10,00 Euro.


Lena Scholz über „Dark Ivy – Halt mich fest“

Lena Scholz über „Dark Ivy – Halt mich fest“

Nikola Hotel:

Dark Ivy – Halt mich fest

So lang haben wir auf Teil zwei von Nicola Hotel’s „Dark Ivy“ gewartet und nun geht die Geschichte von Eden und William weiter.

Nach dem tragischen Unfall an der Woodford Academy, durch den Freundschaften auf die Probe gestellt wurden, beginnt nun ein neues Semester. Doch Edens Angst, dass sich das Schicksal wiederholt, bleibt bestehen, als sie bemerkt, dass William kaum wiederzuerkennen ist. Alkohol, Tabletten und Abhängigkeit betäuben den Schmerz und die Lücke, die der Unfall hinterlassen hat.

Wird die Liebe zwischen Eden und William stark genug sein, diese Zeit zu überstehen und zusammen die Zukunft zu bestreiten oder wird der Verlust sie für immer trennen?

Noch schöner und tiefgründiger geschrieben als der erste Teil, beweist Frau Hotel, das sich das Warten definitiv gelohnt hat!

Nikola Hotel: „Dark Ivy – Halt mich fest“, Rowohlt Taschenbuch, 415 Seiten, ISBN 9783499008771, Preis: 15,00 Euro.


Markus Weber über Rita Süßmuth: „Über Mut“

Markus Weber über Rita Süßmuth: „Über Mut“

Rita Süßmuth:

Über Mut

Um es gleich vorweg zu sagen: Nicht allen Aussagen von Rita Süßmuth stimme ich zu; und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – habe ich das Buch mit Gewinn gelesen. Denn zur lebendigen Demokratie gehört die Debatte mit Argumenten. Und der Autorin geht es vor allem um Grundhaltungen im eigenen Leben und in der Politik. Und die wichtigste Haltung ist für sie der Mut, zu eigenen Überzeugungen zu stehen, auch wenn das nicht immer auf Beifall stößt.

Für diesen Mut steht Rita Süßmuth mit ihrem Lebenswerk und so ist das kleine Buch eine Art Lebensbilanz. Als Ministerin und Bundestagspräsidentin hat sie glaubwürdig gezeigt, wie man mutig für das eintritt, was einem wichtig ist. Sie hat sich weder von Niederlagen noch von Bösartigkeiten mächtiger Männer entmutigen lassen, sondern ist ihren Weg gegangen, etwa für eine Stärkung der Rolle der Frauen in der Politik, in ihrem Einsatz für eine liberalere Abtreibungspolitik, in ihrem Aufklärungskurs in der Anti-Aids-Kampagne oder für eine liberale Einwanderungspolitik.

Süßmuth erzählt in ihrem Buch Geschichten über solche Erfolge und über schwierige Zeiten. Und für sie ist klar, dass es sich immer wieder lohnt, das anzupacken, was an Herausforderungen vor einem liegt. Sie zeigt großes Vertrauen in das, was Menschen schaffen können: Nach dem Scheitern kommt der Neubeginn.

Und die Autorin möchte uns heute ermutigen, das anzugehen, was nötig ist. Dabei wird sie konkret, kritisiert die derzeitige Regierungspolitik, die die großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel und Energiepolitik, Bedrohung der Demokratie im Inneren und von außen, Bildungspolitik, Fremdenhass – oft nur halbherzig angeht. Sie spart aber bei ihrer Kritik die Opposition nicht aus, die oft nur auf Wahlerfolge schielt, statt das inhaltlich Richtige zu tun.

Das Zupacken ist aber nur eine Seite des Handelns. Genauso viel Mut gehört zum Loslassen. Am Ende weiß Rita Süßmuth, dass sie mit ihren 87 Jahren nicht mehr die Politik der Zukunft bestimmen wird, sondern diese vertrauensvoll Jüngeren überlassen muss und kann. So wird das Buch im Epilog auch sehr persönlich, wenn sie über ihr eigenes Lebensende und ihre Endlichkeit nachdenkt. Ihr Glaube lässt sie getrost auf das zugehen, was mit dem Tod kommt – und vielleicht auch danach.

Rita Süßmuth: „Über Mut. Vom Zupacken, Durchhalten und Loslassen“, Bonifatius Verlag 2024, 160 Seiten, ISBN 978-3987900525, Preis: 18,00 Euro.

Christine Weber über „Aenne und ihre Brüder“

Christine Weber über „Aenne und ihre Brüder“

Reinhold Beckmann:

Aenne und ihre Brüder

Anfangs interessierte mich die Geschichte von Aenne und ihren Brüdern, weil sie im Osnabrücker Raum spielt. In der Nähe bin ich auch aufgewachsen, hierher stammen auch meine Eltern. Aenne und ihre Brüder sind etwa so alt wie meine Eltern, vielleicht etwas älter. So erzählt Beckmann eine Familiengeschichte, wie sie in vielen Familien gewesen sein könnte. Und Beckmann erzählt diese Geschichte seiner Mutter und seiner Onkel, die er nie kennenlernen konnte, wertschätzend und einfühlsam.

Die Erzählung beruht auf den Berichten der Mutter und zahlreichen Briefen ihrer Brüder, die die Mutter wie einen Schatz gehütet hat und die Beckmann häufig zitiert. Darüber hinaus hat Reinhold Beckmann offensichtlich gut recherchiert und konnte so Zusammenhänge aufzeigen, wie sich das Leben in der kleinen Gemeinde Wellingholzhausen in der Weimarer Republik und unter nationalsozialistischer Diktatur abgespielt hat – und wohl auch wahrscheinlich an vielen Orten und in Familien Realität war.

Die zahlreichen Briefe der Onkel an ihre Schwester in der Heimat geben einen Einblick in die Gefühlswelt, und wie sie sich im Laufe des Krieges gewandelt hat. Von der anfänglichen Begeisterung bleiben nur Angst und Hoffnungslosigkeit. Für die Brüder, von denen keiner den Krieg überlebt hat, bleibt der Briefkontakt zur Schwester der einzige Kontakt zur „Zivilisation“. Das Grauen des Krieges überwältigt.

Ich frage mich oft, wie es soweit kommen konnte, dass Menschen euphorisch in den Krieg zogen. Reinhold Beckmanns Buch gibt dazu einen Einblick. Und es ermuntert, heute wach zu sein, aufzupassen und den Anfängen zu wehren. So ist das Buch zugleich hoch aktuell

Reinhold Beckmann: Aenne und ihre Brüder. Die Geschichte meiner Mutter, Propyläen Verlag 2023, 352 Seiten, ISBN 978-3549100561, Preis: 26,00 Euro.


Lena Scholz über „Wilder wird’s nicht“

Lena Scholz über „Wilder wird’s nicht“

Andreas Winkelmann:

Wilder wird`s nicht

Was verstehen Sie unter wild? Die Antwort auf diese Frage suchen Andreas Winkelmann und Markus Knüfken in ihrem Buch „Wilder wird`s nicht“. Seit Jahren gehen sie zusammen wandern, aber nur dorthin, wo man bequem mit Zug oder Bulli hinkommt. Fliegen kommt für sie nicht in Frage. Auf einer Wanderung in den Alpen, die immer weniger wild erscheinen, durch die Massen an Touristen, die selbst in den scheinbar entlegensten Ecken auftauchen, beschließen sie, das sie mal wieder ein richtiges Abendteuer wagen möchten.

Doch wo fängt man da an? Erst gibt es kleine Streitigkeiten, was sie unter dem Wort wild und abseits jeder Zivilisation verstehen, deshalb geht es für ein Probeabendteuer in den Harz nach Ilsenburg und von dort zum Brocken. Und siehe da, selbst in Deutschlands nördlichstem Mittelgebirge erlebt man Einsamkeit und unberührte Natur.

Doch auf der Suche nach Europas letzten wilden Orten werden sie letzendlich in Schwedisch-Lappland fündig. Dort wo Wanderwege enden wie der Handyempfang, geht es auf eine unvergessliche Reise durch atemberaubende Landschaften und Einsamkeit.

Mit sehr viel geistreichem Humor und Charme habe ich mich mit Andreas Winkelmann und Markus Knüfken auf diese Reise begeben. Wer auf der Suche nach einer witzigen Lektüre ist, in die man abtauchen kann, um an einsame Orte zu entfliehen, ist hier genau richtig.

Andreas Winkelmann: „Wilder wird’s nicht“, Rowohlt Taschenbuch, 192 Seiten, ISBN 9783499004599, Preis: 14,00 Euro.


Sonja Weber über „Gebrauchsanweisung für Pferde“

Sonja Weber über „Gebrauchsanweisung für Pferde“

Juli Zeh:

Gebrauchsanweisung für Pferde

Bislang wusste ich nicht, dass Juli Zeh schon immer ein Pferdemädchen war, ein Pferdemensch, um es heute korrekt zu sagen. 2019 ist ihr Titel „Gebrauchsanweisung für Pferde“ erschienen und inzwischen schon ein weiteres Mal aufgelegt worden. Ich habe wohl immer brav um dieses Werk herum gelesen, es irgendwie so gar nicht wahrgenommen. Es war nicht mein Thema, ist es das jetzt?

Nicht grundsätzlich, aber im Fall von Zehs Buch muss ich ganz klar sagen, ja, denn man hätte auch den Titel „Gebrauchsanweisung für Juli Zeh“ oder „Gebrauchsanweisung für Menschen“ wählen können. Kapitel um Kapitel berichtet die Autorin einer Biografie gleich über ihr Leben mit Pferden.

Erst Schulpferden, dann Pflegepferden und zuletzt auch eigenen. Sie erzählt von Tieren wie von Menschen, manche sind so gute Freunde gewesen, dass man sie nicht vergisst, andere nur lose Bekannte und einige sind halt Familie.

Ich empfinde es als ein sehr persönliches Buch, in dem es nicht um Karriere und Erfolge geht, sondern um den respekt- und liebevollen Umgang mit anderen Lebewesen, das Maß an Verantwortung, dass man trägt und das Vertrauen, dass einem entgegengebracht wird und man selbst in andere setzt. Was kann mehr über einen Menschen aussagen?

Juli Zeh: „Gebrauchsanweisung für Pferde“, 244 Seiten, Piper Verlag, ISBN 978-3-492-27762-4, Preis: 16,00 Euro.


Sonja Weber über „Ohne Dich, das geht doch nicht!“

Sonja Weber über „Ohne Dich, das geht doch nicht!“

Smriti Halls/Steve Small:

Ohne Dich, das geht doch nicht!

In diesem Bilderbuch für Kinder ab zwei Jahren geht es um Hörnchen und Bär, im ersten Moment zwei ziemlich gegensätzlichen Charaktere, die aber bei allen Unterschieden nicht ohne einander sein können, jedenfalls nicht lange.

Klar, man geht sich schon auch mal auf den Geist, streitet, missversteht sich und ab und an nimmt Bär vielleicht ein bisschen viel Platz ein und Hörnchen ist womöglich nicht immer ganz feinfühlig. Trotzdem halten sie zusammen und „tun, was zu tun ist, (…) stopfen das Loch. Erst ist es schwierig, aber dann geht es doch. (…) gehören zusammen wie Bade und Wanne, wie Hosen und Träger, wie Kaffee und Kanne.“

Nun ist die Idee des Zusammengehörens keine neue Erkenntnis und in Büchern eh ein geläufiges Thema. Aber selten habe ich die Bedeutung von der Stärke des Wir-Gefühls so simpel, klar, witzig und, ja einfach reizend dargestellt gesehen wie in den Illustrationen von Steve Small. Die gereimten kurzen Texte von Smriti Halls hat übrigens Paul Maar (einer der Helden meiner Kindheit) ins Deutsche übersetzt.

Mir persönlich gefällt dabei, das neben all der Zweisamkeit klar wird, dass ein „Wir“ aus mindestens zwei „Ichs“ besteht, die Ecken und Kanten haben, manchmal blöd sind, durchaus persönlichen Freiraum benötigen und, dass sich entschuldigen, sowie nicht nachtragend sein dazu gehört, damit „Wo immer du hingehst, ich lass dich nicht los. Was immer du machst, zu zweit sind wir groß“ auch klappen kann.

Smriti Halls/Steve Small: „Ohne Dich, das geht doch nicht!“, Oetinger Verlag, ISBN 978-3-7512-0528-3, Preis: 10,00 € (Pappe, 30 Seiten) oder 15,00 € (gebunden, 40 Seiten, ISBN 978-3-7512-0000-4).


Petra Nietsch über „So weit der Fluss und trägt“

Petra Nietsch über „So weit der Fluss und trägt“

Shelley Read:

So weit der Fluss uns trägt

Go as a River

Es hat lange gedauert, bis ich in Worte fassen konnte, was mich an diesem Roman so begeistert hat. Eine bewegende Handlung, wiedergegeben in kraftvoller Sprache und Botschaften, die zum Nachdenken anregen, zeichnen ihn aus.

Die Autorin hat viele richtige Entscheidungen getroffen. Eine davon ist, dass die Protagonistin ihre eigene Geschichte erzählt. So sind wir ganz nah dran. Wir lieben, wir leiden, und wir hoffen mit ihr.

Viktoria, von allen nur Torie gerufen, wächst auf der familieneigenen Pfirsichplantage am Gunnison River in Colorado auf. Nach dem Unfalltod ihrer Mutter muss sie sich schon in jungen Jahren um Haus und Garten kümmern und Vater, Onkel und Bruder versorgen. Niemand fragt sie, wie es ihr geht. Ihr weiteres Leben scheint vorbestimmt. Doch dann, mit siebzehn, trifft sie Will Moon, und plötzlich ist alles anders. Aber diese erste große Liebe endet tragisch. Ab jetzt muss Viktoria immer wieder Entscheidungen treffen, und jedes Mal nimmt ihr Leben eine neue Wendung.

              “Just as a single rainstorm can erode the banks and change the course of a river,
              so can a single circumstance of a girl’s life erase who she was before.” *

Dieses Zitat bezieht sich darauf, dass es manchmal nur zufälliger Begegnungen bedarf, die uns dazu bewegen, von dem Pfad abzuweichen, von dem wir glaubten, dass er für uns bestimmt war. Diese Tatsache ist ein wesentliches Element dieses Romans. Weitere Themen sind Rassismus, der Umgang des Menschen mit der Natur und wie diese unser Leben formt.

Viktoria steht im Mittelpunkt der Geschichte. Alle anderen Charaktere sind nur Randfiguren, denen sie im Laufe ihres Lebens begegnet.

Shelley Read ist eine großartige Schriftstellerin. Mit ihren Worten zeichnet sie beeindruckende Bilder. Das raue Leben und die raue Landschaft Colorados erscheinen vor dem geistigen Auge. Manche Sätze sind schon fast philosophisch, und es lohnt sich, für einen Moment über sie nachzudenken.

Wie in so vielen anderen Werken auch hat der Fluss, der bereits im Titel und auf dem Umschlag erscheint, eine symbolhafte Bedeutung, die sich durch den gesamten Roman zieht.

Shelley Read: „So weit der Fluss uns trägt“, Bertelsmann Verlag, 368 Seiten, ISBN 9783570105139, Preis: 24,00 Euro.


* So wie ein einziger Regensturm die Ufer erodieren und den Lauf eines Flusses verändern kann, so kann ein einziger Umstand im Leben eines Mädchens auslöschen, wer sie vorher war.

Sonja Weber über „Gentleman über Bord“

Sonja Weber über „Gentleman über Bord“

Herbert Clyde Lewis:

Gentleman über Bord

Henry Preston Standish, aus dessen Sicht Lewis seine Geschichte erzählt, ist ein Gentleman. Der Protagonist ist einerseits alles, was der Autor nicht ist, vielmehr in den 1930er Jahren, als er das Buch schrieb, nicht war: Erfolgreich, wohlhabend, mit einer verständnisvollen Lady verheiratet und mit wohlgeratenem Nachwuchs gesegnet.

Andererseits lässt Lewis die eigenen Existenzängste, Selbstzweifel und Fragen nach dem Sinn des Lebens einfließen, denn die Idee für den Roman sei ihm auf dem Dach des Apartments in Greenwich Village beim Blick in die Tiefe und dem Gedanken des Absturzes gekommen. Sein Protagonist Standish ist eigentlich von jeglichem Absturz weit entfernt, aber in seinem gesellschaftlich geordneten Leben unzufrieden.

Von Midlife-Crisis und der Sehnsucht nach Veränderung getrieben, verlässt er New York auf dem Seeweg. Die als kurze Erholungspause vom Alltag gedachte Auszeit wird allerdings länger und länger, die Heimkehr Tag um Tag verschoben, bis das Schicksal ihn auf die „Arabella“ führt, einem Ozeandampfer, der ihn und diverse andere Passagiere über den Atlantik zurück nach New York bringen soll.

Inzwischen malt sich Standish auch in den schillerndsten Farben aus, was er zu Hause alles von seiner Reise erzählen kann, bis ihm ein Missgeschick widerfährt. Er stürzt von Bord ins Meer. Ungeheuerlich, denn eigentlich darf einem Gentleman doch so etwas nicht passieren. Der Umstand ist gleichermaßen peinlich wie ein Abenteuer, dass ihm bei der Heimkehr natürlich Aufmerksam sichern würde. So im Wasser treibend, heldenhaft darauf wartend, dass die „Arabella“ wendet und ihn, den stoisch Ausharrenden einsammelt, wandern seine Gedanken am bisherigen Leben entlang und nur das Meer und alle, die dieses großartige Buch lesen, bekommen seine Geschichte erzählt.

Herbert Clyde Lewis: „Gentleman über Bord“, 171 Seiten, Mare Verlag, ISBN 978-3-86648-696-6, Preis: 28,00 Euro.