Markus Weber über „Die Lichter von Budapest“

Markus Weber über „Die Lichter von Budapest“

Oliver Diggelmann: Die Lichter von Budapest

Anatol kommt im Gefolge seiner Freundin Sophie, die als Juristin im Auftrag einer international agierenden Kanzlei tätig ist, nach Budapest. Während Sophie ehrgeizig ist, ist Anatol wenig ambitioniert, bekommt aber als guter Kenner der englischen Sprache eine Stelle an einer „Akademie für Diplomatie der Republik Ungarn“ – quasi als „Zugabe“ für Sophie.

Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Mit dem Blick von außen wird die Vergangenheit erzählt, vor allem, wie verschiedene Protagonisten sich in England kennenlernen und anfreunden. Vor allem der aus Ungarn stammende, nur Castro genannte Freund, spielt eine zunächst undurchschaubare Rolle. Die Gegenwart wird aus der Perspektive von Anatol erzählt, der erst gleichgültig erscheint, aber zunehmend mit undurchsichtigen Machenschaften bekannt wird und sich darin verstrickt.

Dabei verweben sich private Beziehungen, Freundschaften, Liebesbeziehungen und -verrat mit dunklen Geschäften und Korruption. Anatol erfährt von politischen Manipulationen mit EU-Geldern; auf Nachfragen wird ihm aber immer wieder gesagt, er wisse eben nicht, wie das Leben in Ungarn funktioniert. Irgendwann muss er sich entscheiden, wie er mit seinem Wissen umgehen will, und gerät in Konflikte – mit sich, seiner Fteundin Sophie und auch seinem Freund Castro.

Über die Stadt Budapest erfährt man nicht viel, obwohl der Titel das ja nahelegen könnte. Dafür erfährt man aber einiges über die Mechanismen der Politik in der Zeit, bevor Viktor Orban an die Macht gekommen ist – und darüber, auf welche Weise Orban an die Macht kommen konnte.

Oliver Diggelmann: Die Lichter von Budapest. Roman, Alfred Kröner Verlag 2023, 180 Seiten, ISBN 978-3520769015, Preis: 22,00 Euro.

Petra Nietsch über „Ein Mord im November“

Petra Nietsch über „Ein Mord im November“

Simon Mason: Ein Mord im November

Dies ist der erste Band einer neuen Krimi-Reihe, und man kann nur hoffen, dass auch die weiteren Bände ins Deutsche übersetzt werden. Schauplatz ist Oxford und allein diese Tatsache hat mich dazu bewogen, das Buch in die Hand zu nehmen. Und tatsächlich gelingt es dem Autor, die Stadt mit all ihren Traditionen und ihrem Charme für den Leser zum Leben zu erwecken.

Wir lernen ein Ermittlungsteam kennen, das unterschiedlicher nicht sein kann.

Ray stammt aus einer reichen nigerianischen Familie, ist in einem Nobelviertel in London aufgewachsen und hat seinen Studienabschluss am berühmten Balliol-College in Oxford gemacht. Er liebt es, sich gut zu kleiden.

Ryan hingegen trägt am liebsten Trainingshosen, eine Bomberjacke und ein Baseball-Cap. Er wuchs in ärmlichsten Verhältnissen in einem Trailer-Park am Stadtrand auf und litt unter seinem alkoholkranken Vater, der die Familie regelmäßig verprügelte. Ryan’s Wortwahl ist nicht immer druckreif und bei Befragungen verstößt er regelmäßig gegen den Polizei-Kodex.

Ray und Ryan haben jedoch zwei Gemeinsamkeiten: den gleichen Nachnamen, was immer wieder zu Verwechslungen führt und trotz unterschiedlicher Vorgehensweisen das gleiche Ziel, nämlich einen brutalen Mörder zu finden.

Ein junges Mädchen wird erwürgt im Arbeitszimmer von Sir James, dem Leiter von Barnabas Hall, einem der vielen Colleges in Oxford, gefunden. Die Identität des Opfers bleibt lange im Dunkeln, was die Arbeit  der beiden Ermittler erschwert und zu immer neuen Wendungen führt. So wird die Spannung für den Leser die ganze Zeit aufrechterhalten. Syrische Flüchtlinge und ein verschwundener Koran verleihen der Handlung zusätzlich eine gewisse politische Aktualität.

Aber jeder Roman lebt von seinen Charakteren. Und Ryan und Ray machen wirklich Spaß. Ryan hält Ray für einen Snob und Ray Ryan für einen Proll, aber trotz allem müssen sie zusammenarbeiten und so nach und nach kommen sie sich auch menschlich näher.

Mich hat dieser Krimi so in den Bann gezogen, dass ich ihn in wenigen Tagen verschlungen habe.

Simon Mason: „Ein Mord im November“, Goldmann TB, 395 Seiten, ISBN 9783442495641, Preis: 17,00 Euro.


Lena Scholz über „Views“

Lena Scholz über „Views“

Marc Uwe Kling: Views

Ein Video, das alles verändert. Eine Straftat, die gefilmt und veröffentlicht wird, teilt das Internet in politische Lager.

Gesellschaftliche Keile graben sich tief in die Menschen und ruft radikale Gruppen hervor.

BKA-Hauptkommissarin Yasira Saad soll den politischen brisanten Fall aufklären. Das sie dabei ihr Leben und das ihrer Tochter gefährdet, wird erst klar, als es fast zu spät ist.

Denn zu unterscheiden, was Fake und was echt ist, wird immer schwerer in Zeiten von künstlicher Intelligenz.

Wem kann man noch glauben? Wem nicht?

Ein erschreckend realistischer Gesellschaftsthriller, der aufklärt und Abgründe ersichtlich macht.

Lesenswert!

Marc Uwe Kling: „Views“, Ullstein Verlag GmbH, 269 Seiten, ISBN 9783550202995, Preis: 19,99 Euro.


Markus Weber über „Russische Spezialitäten“

Markus Weber über „Russische Spezialitäten“

Dimitrij Kapitelman: Russische Spezialitäten

Einige wenige Seiten habe ich mit dem Stil des Autors ein wenig gefremdelt. Recht bald war ich aber froh, dass ich mich doch nicht habe abschrecken lassen. Schließlich ist es eins seiner sprachlichen Mittel, russische Begriffe zum Teil auch in kyrillischer Schrift im Text zu verwenden, um eine gewisse Fremdheit des Milieus und der beschriebenen Personen bestehen zu lassen. Dimitrij Kapitelmann ist als Kind mit seiner Familie, die Anfang der 1990er Jahre als „jüdische Kontingentflüchtlinge“ aus der Ukraine kam, in Leipzig gelandet.

Dort baut die Familie sich eine neue Existenz auf und verkauft im eigenen Laden russische Spezialitäten, die sie selbst importiert. Man bleibt der russischen Kultur und Sprache verbunden: „Heimat ist der Ort, der einem nie egal wird“, heißt es an einer Stelle über Kiew, im Roman konsequent Kyjiw geschrieben. Auch der junge Dimitrij liebt bei all seiner Unzulänglichkeit die russische Sprache. Ironisch, humor- und liebevoll beschreibt Kapitelman seine Familie und die Eigenheiten des Milieus. Auch die Bedrohungen durch Rechtsextreme in Leipzig scheinen ebenso auf wie die Untätigkeit des Staates.

Einen Bruch gibt es in der Familie mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Die Mutter schaut die Welt weiterhin aus der „totalitären fernsehrussischen Sicht“ an, was den Sohn zur Verzweiflung bringt und seine Liebe zur Mutter auf eine harte Probe stellt. In dieser Situation reist er gegen alle Vernunft in die Ukraine und besucht dort alte Freunde. Er will sich selbst ein Bild vom Krieg machen und die ideologisch verbohrte Sicht seiner Mutter widerlegen.

Er sieht, wie der Krieg die Ukraine und das Zusammenleben verändert hat. Angst, Misstrauen, zerstörte Städte: „Das blanke Grauen, das im Fernsehen zu sehen war, bleibt auch das blanke Grauen im Nahsehen.“ Die Brutalität des Krieges macht auch vor der ukrainischen Gesellschaft nicht Halt. Irgendwie versuchen die Menschen dennoch zu überleben. Die eigene Identität steht auf dem Spiel – bei den Menschen in der Ukraine, aber auch für den Autor selbst.

Bei aller Ernsthaftigkeit und Schwere des Themas gelingt Dimitrij Kapitelman ein wunderbares Buch.

Dimitrij Kapitelman: Russische Spezialitäten. Roman, Hanser Verlag 2025, 192 Seiten, ISBN 978-3446282476, 23,00 Euro.

Markus Weber über „Die Holz- und Pappenindustrie im Harzburger Radautal“

Markus Weber über „Die Holz- und Pappenindustrie im Harzburger Radautal“

Edgar Isermann: Die Holz- und Pappenindustrie im Harzburger Radautal 1865 – 1961

Schon im vergangenen Jahr hat der Bad Harzburger Geschichtsverein das Buch herausgegeben, das leider bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Immerhin erzählt der Autor, Edgar Isermann, ein bedeutendes Kapitel der Harzburger Wirtschaftsgeschichte, deren Spuren zum Teil heute noch zu sehen sind.

Der Autor war zum Schreiben motiviert, weil seine Familiengeschichte mit der Holzindustrie im Radautal verbunden ist: Sein Großvater und sein Onkel haben eine der ehemaligen Fabriken lange Zeit geleitet. So kann Edgar Isermann nicht nur auf amtliche Dokumente zurückgreifen, sondern auch auf die Überlieferung der Familie. Und er hebt einen Teil der Harzer Industriegeschichte hervor, der nicht vergessen werden sollte und der im Buch anschaulich dargestellt wird. Dabei beschränkt der Autor sich nicht auf die eigene Familie, sondern blickt darüber hinaus auf andere Firmen.

Die Geschichte beginnt in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufstieg der Holzindustrie – Holz und Wasser waren ja durch die Natur reichlich vorhanden. Gleichzeitig war zunehmender Bedarf in der Papierindustrie vorhanden, für den die Unternehmen im Radautal die Vorprodukte lieferten.

Am bekanntesten ist sicher die Zusammenarbeit mit dem Henkel-Konzern, für deren Ata-Dosen Material geliefert wurde. Angesichts der Eingriffe in die Natur und den Wasserbedarf der Stadt blieben Konflikte nicht aus, die ebenso geschildert werden wie die Erfolge.

Das Buch ist großformatig aufgemacht, sodass die Gestaltung viel Raum für zahlreiche Abbildungen – Fotos, alte Ansichtskarten, Dokumente – hatte. Dadurch lädt es auch ein zum Blättern und Verweilen an der ein oder anderen Stelle. Man kann es selbstverständlich wie jedes Buch von vorne bis hinten lesen, aber man kann sich auch von Bildern oder Überschriften verleiten lassen und herausgreifen, was gerade attraktiv erscheint. Ich wünsche dem Buch, dass es in vielen Bad Harzburger Haushalten – und darüber hinaus – vorhanden ist.

Markus Weber über „Martin Luther King. Ein Leben“

Markus Weber über „Martin Luther King. Ein Leben“

Jonathan Eig: Martin Luther King. Ein Leben.

„… indem wir King quasi zum Heiligen machten, haben wir ihn ausgehöhlt.“ Jonathan Eig gelingt es in seiner Biografie, die 2024 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde, Martin Luther King nicht zum unangreifbaren Heiligen und Helden zu stilisieren, sondern einen Menschen mit seinen Träumen, aber auch mit Zweifeln und Sorgen, mit Ecken und Kanten zu beschreiben. Er verschweigt auch nicht die Affären mit verschiedenen Frauen, die seine Gegner gegen King verwenden wollten.

So entsteht ein lebendiges Bild von Martin Luther King, der mich seit meiner Jugend mit seinem Kampf gegen Rassismus und für Gewaltfreiheit beeindruckt, auch mit seiner Orientierung an biblisch-prophetischer Tradition. Und ich habe mir Zeit gelassen beim Lesen der umfangreichen Lebensbeschreibung. Da sind Kapitel, die mich persönlich berührt haben, weil sie nicht nur die Reden Kings wiedergeben, sondern sie einbetten in die zeitlichen Zusammenhänge und die Wirkung auf die konkreten Menschen seiner Zeit sehr anschaulich beschreiben.

Da sind aber auch Kapitel, die sehr detailliert verdeutlichen, wie seine Gegner versuchten ihm zu schaden, wie das FBI seine Hotelzimmer und private Wohnräume verwanzt und abgehört hat. Immer wieder wurde er kommunistischer Umtriebe verdächtigt. Und auch die US-Präsidenten, die ihn nach außen hin unterstützten, bekämpften ihn bei verschiedenen Vorhaben.

Eigs Buch zeigt ebenso die Brutalität der amerikanischen Gesellschaft, unter der vor allem die Schwarzen und andere Unterprivilegierte zu leiden hatten. Deutlich wird, wie weiße Rassisten mit offener Gewalt gegen die Bestrebungen der Bürgerrechtsbewegung, immer wieder auch gegen King und seine Familie vorgingen und staatliche Organe teilweise den Schutz verweigerten, sich sogar offen auf die Seite der Rassisten stellten.

Jonathan Eig ist ein beeindruckendes Werk gelungen, das zeigt, wie Martin Luther Kings Prinzipien gerade heute vor dem Hintergrund der amerikanischen Politik und der Weltlage nichts an Bedeutung verloren haben.

Jonathan Eig: Martin Luther King. Ein Leben, Deutsche Verlags-Anstalt 2024, 752 Seiten ISBN 978-3421048455, 34,00 Euro.

Markus Weber über „Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland“

Markus Weber über „Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland“

Jens-Christian Wagner/Sybille Steinbacher (Hrsg.): Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland.

Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland

Wer regelmäßig Leserbriefe in der Goslarschen Zeitung liest, wird immer wieder auf solche Leserbriefe stoßen, die die Geschichte für politische Botschaften nutzen und die Geschichte verdrehen: Da werden die Nazis zu Linksextremisten gemacht, die NS-Verbrechen verharmlost oder ein Ende der bisherigen Erinnerungskultur gefordert. Ich finde solche Verdrehungen gefährlich, gerade für unsere Demokratie.

Solcher Geschichtsverdrehung widmet sich der jetzt im Göttinger Wallstein-Verlag erschienene Sammelband. Herausgegeben wurde er von Jens-Christian Wagner, mehrere Jahre Leiter der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, heute Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, und Sybille Steinbacher, Professorin für Geschichte und Direktorin des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt a.M.

Unterschiedliche Experten haben Beiträge zum gesamten Problembereich verfasst:

Zur Geschichte der Relativierung der Verbrechen und Bildung von Geschichtsmythen, die z.T. auf NS-Propaganda zurückzuführen sind. Es werden unterschiedliche Formen vorgestellt, aber auch die Akteure, Zeitschriften und Verlage, in denen diese Mythen Verbreitung finden.

Herauszuheben ist besonders Götz Kubitschek, der in Schnellroda einen rechten Verlag führt mit dem Ziel, rechte Propaganda zu betreiben und sagbar zu machen. Volker Weiß analysiert beispielhaft eine Rede Kubitscheks, der in martialischer Weise die Deutungshoheit über die Geschichte einfordert – mit den Worten: „Lasst uns Krieg führen!“ Mir hat das Buch geholfen, mich in solchen Fragen zu orientieren.

Letztlich geht es den Autoren des Sammelbandes darum, dass die Auseinandersetzung um eine faktenorientierte Geschichtsschreibung auch der Demokratie dient – und der „demokratischen Selbstverständigung in der Bundesrepublik“, und zwar zur Wahrung demokratischer Werte.

Jens-Christian Wagner/Sybille Steinbacher (Hrsg.): Rechter Geschichtsrevisionismus in Deutschland. Formen, Felder, Ideologie, Wallstein 2025, 205 Seiten, ISBN 978-3835358416, Preis: 20,00 Euro.

Rebecca über „Die vierte Gewalt“

Rebecca über „Die vierte Gewalt“

Richard David Precht / Harald Welzer:

Die vierte Gewalt

Ein Buch zum infrage stellen: Kaum jemand wird bei näherer Betrachtung feststellen, dass sein/ihr Umgang mit den Medien sich in den letzten Jahren nicht auf nahezu beängstigend intensive Art verändert hat.

Während ich mich erinnere, dass ich in meiner Kindheit und Jugend oft blind auf das vertraute, was mir die Tagesschau, die lokale Zeitung oder andere Nachrichtenquellen vorgaben, so kann ich heute nicht umhin zu bemerken, dass der Glanz, das Podest auf das ich die Journalist:innen gestellt habe, kaum mehr existiert.

Die Schnelllebigkeit hat so vieles verändert und der Drang unserer Gesellschaft, alles emotional aufzuladen, verkompliziert vieles. Kein Wunder eigentlich, dass die etablierten Medien sich davon nicht distanzieren konnten. Gleichwohl nicht weniger schade.

Precht und Welzer gehen extrem hart mit dem politischen Journalismus ins Gericht. Sie äußern und belegen Vorwürfe, bieten kaum Raum für Hoffnung und wiederholen sich ausnehmend häufig.

Dieses Buch ist schwere Kost und bietet einige „Ja, stimmt“-Momente. Die Leidenschaft, die von jeder Zeile ausgeht, zieht die Leser:innen in einen Bann, der bis zum letzten Kapitel anhält.

Richard David Precht / Harald Welzer: „Die vierte Gewalt“, Goldmann TB, 288 Seiten, ISBN: 978-3-442-14292-7, Preis: 14,00 Euro.


Sonja Weber über „Portrait meiner Mutter mit Geistern“

Sonja Weber über „Portrait meiner Mutter mit Geistern“

Rabea Edel: Portrait meiner Mutter mit Geistern

Die Frauen in Rabea Edels Buch „Portrait meiner Mutter mit Geistern“ haben mich tief bewegt. Über vier Generationen spannt sich dieser mutige und außergewöhnlich konstruierte Roman, in dem sich die Blickwinkel immer wieder ändern und die Frauen mal aktiv mal passiv ihre Sicht der Dinge erzählen.

Sie blicken auf die Geschichte, das Schicksal und die Männer, die sie geliebt, die Männer, die sie geheiratet und die Männer, die verschwanden, zurück. Da ist lange keine Zeit für Träume, kein Raum für eigene Wünsche und Vernunft geht immer vor Liebe.

Dann wird 1945 Martha geboren und durchbricht als erste einen bis dahin vorgegebenen Kreislauf. Mit ihrer Tochter Raisa zieht sie allein durch die Welt, wilde Wanderjahre, Glück und Familie für zwei. Nicht mehr, nicht weniger.

Für Raisa gibt es nur das. Dann kommen die Schuljahre, Raisa lernt, dass da mehr sein muss. Was ist mit dem Rest der Familie? Häppchenweise, in Briefen, die sie heimlich in die Ritzen der Gartenmauer schiebt, erzählt Martha, was geschehen ist.

In eben solchen Häppchen erfahren auch die Leserinnen und Leser die Zusammenhänge. Wie ein Mantra hat sich Martha all die Jahre vorgesagt, dass nichts immer wieder geschehe, dass die Zeit kein Kreis sei.

Aber oft hat sie Angst vor der Geschichte, unterdrückt den Drang, die Koffer zu packen und erneut zu verschwinden. Doch für Raisa muss sie jetzt reden, von Familie, von richtig und falsch, von Liebe und Enttäuschung und von Geistern, die nur Möglichkeiten sind, die wiederkommen, wenn man sie lässt.

Rabea Edel: „Portrait meiner Mutter mit Geistern“, C.H. Beck, 396 Seiten, ISBN 9783406829710, Preis: 26,00 Euro.


Rebecca über „Das Café am Rande der Welt“

Rebecca über „Das Café am Rande der Welt“

John Strelecky: Das Café am Rande der Welt

Wir entscheiden jeden Tag aufs Neue darüber, wie wir unsere Zeit verbringen wollen. In vielen Fällen sind wir aber so sehr auf andere Dinge konzentriert, dass wir vergessen, dass wir diese Macht haben. Die Macht, unser Leben selbst zu bestimmen. Über den Einsatz unserer Zeit zu bestimmen. Zu tun, was uns erfüllt.

John war auf dem Weg in eine Auszeit. Er floh aus seinem Alltag, um Kraft zu tanken und endete in einem kleinen Café, dessen Inhaber und Servicekraft ihn mittels einiger zentraler Fragen auf eine Reise durch seine Lebensanschauungen begleiteten.

Warum bin ich hier? Habe ich Angst vor dem Tod? Führe ich ein erfülltes Leben?

Ich habe den Zweck meiner Existenz, meine Bedeutung, den Sinn meines Lebens, bisher nicht vollständig gefunden, aber ich bin guter Dinge, mich auf dem richtigen Weg zu befinden.

„Das Café am Rande der Welt“ ist zeitlos und schwer. So schwer, wie das Überdenken deines Lebens eben sein kann. Aber es ist so wertvoll.

Ich empfehle nach den verschiedenen Kapiteln eine Lesepause einzulegen und sich Zeit zu nehmen, dass Gelesene zu verarbeiten.

John Strelecky: „Das Café am Rande der Welt“, dtv Verlagsgesellschaft, 128 Seiten, ISBN: 978-3-423-20969-4, Preis: 9,95 Euro.