Montag, 29. Mai: Kurze Woche

Ein Tag für kühle Bestseller im Höhenrausch

Pfingstmontag, 29. Mai 2023, Start in eine „kurze Woche“. Und ich werde wieder mit den Wochentagen durcheinanderkommen. Ein schwieriger Tag für ein „bebüchertes Kalenderblatt“: Keine erwähnenswerten Aktionstage, keine Bauernregeln.

Die Wetterweisheiten vom Bauernhof kann ich mir heute sparen. Wir haben einen Geburtstag in der Familie (deswegen die Pfingstrosen oben) und es ist ein „running gag“, dass es an diesem Tag immer kühl und meist regnerisch ist. Kühler soll heute nach dem sonnenverwöhnten Pfingstsonntag passen.

Und etwas kühler passt zu einem bemerkenswerten Ereignis vom 29. Mai 1942, denn wir brauchen Weihnachtsstimmung: In New York nahm Bing Crosby heute vor 81 Jahren Irving Berlins Komposition „White Christmas“ auf. Es wird die weltweit erfolgreichste Weihnachts-Single. Und „White Christmas – Das Lied der weißen Weihnacht“ erzählt die Geschichte um den Komponisten Irving Berlin.

Hoch hinaus ging es heute vor 70 Jahren (1953), als Edmund Hillary und Tenzing Norgay die Erstbesteigung des Mount Everest gelang. Ein Jahrhundertereignis. Eigene Erinnerungen Hillarys sind nur in englischer Sprache und nach Bestellung lieferbar: Bei „View from the Summit“ handelt es sich um „the Remarkable Memoir by the First Person to Conquer Everest“. Aber Reinhold Messner, der immer noch einen drauflegt, liefert „Everest Solo“ ab. Ohne Plauder-Partner unterwegs hat man hinterher mehr zu erzählen.

Heute vor 13 Jahren (2010) gewann Lena Meyer-Landrut für Deutschland mit „Satellite“ den Eurovision Song Contest (ESC). Darauf hatten wir 28 Jahre seit Nicoles „Ein bisschen Frieden“ 1982 gewartet. Normal sind ja letzte Plätze. Und wenn wir in dem Rhythmus bleiben, gewinnt Deutschland das nächste Mal im Jahr 2038. „Eurovision Heroes“ würde vom Titel her ja zu Nicole und Lena passen, tatsächlich aber handelt es sich um einen Krimi, der lediglich um Umfeld des ESC spielt.

Apropos Krimi: Ein genialer Krimiautor wäre heute 149 Jahre (1874) alt geworden: Gilbert Keith Chesterton, meist knapper G.K. Chesterton. Er ist der Erfinder eines weltberühmten und mit kriminalistischem Spürsinn ausgestatteten Pfarrers: „Die besten Pater-Brown-Geschichten“ hat Reclam Taschenbuch gesammelt.

Chesterton schrieb allerdings weit mehr, unverdient weniger bekannt ist beispielsweise die Sammlung von acht Kriminalgeschichten, die unter dem Titel „Der Mann, der zu viel wusste“ vor 100 Jahren erschien. Held dieser Erzählungen ist der Hobby-Detektiv Horne Fisher.  

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Markus Weber über „Jerusalem Ecke Berlin“

Markus Weber über „Jerusalem Ecke Berlin“

Tom Segev:

Jerusalem Ecke Berlin

Tom Segev, einer der bekanntesten israelischen Journalisten und Historiker, 1945 drei Jahre vor Gründung des Staates Israel in Jerusalem geboren, erzählt Geschichten seines Lebens. Es ist wohltuend, dass er nicht mit großer Geste ewige Wahrheiten verkündet oder sich selbst ein Denkmal setzen will, wie das manche bedeutende Persönlichkeiten in ihren Memoiren tun. Sondern Segev teilt Erinnerungen an Begegnungen mit Menschen, die sein Leben geprägt haben. Nebenbei erfährt man vieles über die Geschichte Israels, an der er als aufmerksamer und sensibler Beobachter teilgenommen hat.

Prägend für Segevs Biografie ist die Einwanderungsgeschichte seiner Eltern, beide Bauhausschüler, die vor den Nazis nach Palästina flohen, weil sie keine Alternative hatten. Der Vater stirbt schon 1948. Die Mutter, Nichtjüdin, bleibt trotz anderen Ideen ihr Leben lang in Israel wohnen, „fremdelt“ aber mit Land und Sprache. Es ist interessant zu sehen, wie Segev die Erinnerungen seiner Mutter, aber auch seine eigenen Erinnerungen immer wieder infrage stellt und auch die bleibenden Zweifel an der Darstellung des Todes seines Vaters als Held im Unabhängigkeitskrieg offen benennt. Seine Haltung gegenüber den Palästinensern wird durch einen Freund der Familie, den Journalisten David Stern, beeinflusst. Der geht mit dem vierjährigen Tom an der Teilungsgrenze in Jerusalem entlang: „Diese Grenze ist keine Linie, die zwischen guten Menschen und bösen Menschen trennt. Auch auf der anderen Seite gibt es gute Menschen.“ Diese zutiefst humane Einstellung durchzieht die Erinnerungen, egal welchen Menschen er begegnet.

Und es sind viele Menschen, denen Segev begegnet. Darunter sind zahlreiche internationale Prominente, Regierungschefs und Minister, Wissenschaftler, auch NS-Täter. Mindestens so viel Raum nehmen aber die Begegnungen mit einfachen Menschen ein, etwa einem drogensüchtigen Palästinenser, der immer wieder in Schwierigkeiten gerät und es versteht, Segev für sich einzunehmen.

Anrührend ist auch die Familiengeschichte am Ende des Buches: Eigentlich ist Segev nur als Journalist mit einer Delegation nach Äthiopien gereist, um über die Ausreise bedrohter äthiopischer Juden zu berichten. Dabei lernt er den Jungen Itayu kennen, woraus sich letztlich eine Vater-Sohn-Beziehung entwickelt. So wird der unverheiratete und kinderlose Segev doch noch Vater und Opa.

Der letzte Satz des Buches, den der viellesende Enkel Ben unvermittelt spricht, sei hier verraten, ohne zu spoilern: „Opa, weißt du, ich habe Worte furchtbar gern.“ – „Ich auch“, stimmt Opa Tom zu. Wohl im Sinne aller Freund*innen der Bücher-Heimat.

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Tom Segev: Jerusalem Ecke Berlin. Erinnerungen, Siedler Verlag 2022, 411 Seiten, ISBN 9783827501523, 32,00 Euro.

Markus Weber über „Der erste Zug nach Berlin“

Markus Weber über „Der erste Zug nach Berlin“

Gabriele Tergit:

Der erste Zug nach Berlin

„Als das Flugzeug sich in Bewegung setzte und ich den guten alten friedlichen Kontinent verließ, um ins wilde, unkultivierte Europa zu fahren, da war mir doch sehr anders…“ Mit dieser Einstellung bricht die junge US-Amerikanerin Maud aus der High Society nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Kommission nach Deutschland auf.

Gabriele Tergit beschreibt die Erkundung Deutschlands in ihrem Roman sprachlich leichtfüßig, aber mit einem scharfen Blick für die historische Wirklichkeit noch vor der Gründung der beiden deutschen Staaten. Gerade die Naivität ihrer Protagonistin, aber auch deren Abenteuerlust und offene Augen, entlarven die Sichtweisen sowohl der Sieger als auch der Besiegten.

So werden die Gegensätze zwischen dem Reichtum weniger und dem Elend der Massen ebenso deutlich wie der Wiederaufstieg ehemaliger Nazis und der Profiteure der Nazi-Herrschaft. Letztlich wird ein sehr skeptisches Bild der deutschen Nachkriegsgesellschaft gezeichnet, in dem nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Denken unausrottbar zu sein scheint.

Der einzige deutsche Journalist, dem Maud begegnet und der wegen seiner Widerständigkeit viele Jahre im KZ verbrachte, lebt und stirbt in menschenunwürdigen Verhältnissen. Dabei kommt der Text nicht bitter daher, sondern in einer gekonnten „Mischung aus Satire, schwarzem Humor und aufgeregten, oft heftigen Gesprächen“, wie Nicole Henneberg in ihrem erläuternden Nachwort schreibt.

Ein auffälliges Stilmittel des Romans ist, dass in den Dialogen einzelne Wörter, Sätze oder kleinere Absätze auf Englisch geschrieben sind, so wie es im Originalmanuskript der Autorin vorgesehen ist. So wird die Fremdheit der Erkundungskommission verdeutlicht, zudem spiegelt sich die Wirklichkeit der im Exil lebenden Deutschen, zu denen Gabriele Tergit ja seit 1933 gehörte. Im Anhang kann man bei Bedarf die deutsche Übersetzung nachlesen.

Die Romane der Journalistin und Schriftstellerin Gabriele Tergit (1894 – 1984) sind immer wieder neu entdeckt und aufgelegt worden. Völlig zu Recht, wie auch dieses Buch beweist.

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Gabriele Tergit: „Der erste Zug nach Berlin“, Roman, Verlag Schöffling & Co, 208 Seiten, ISBN 978-3895614750, Preis: 22,00 Euro.

Montag, 21. November: Pflichtglotzen?

Mit dem Buch durch den Welttag des Fernsehens

Heute ist „Welttag des Fernsehens“ und seit dem Aufstehen grübele ich, ob ich diesen Montag, 21. November 2022, nun durchweg vor der Flimmerkiste verbringen muss. Damit aber würde ich voll daneben liegen.

Der World Television Day geht auf eine Initiative der Vereinten Nationen zurück, die nicht zu mehr Glotzen aufruft, sondern „Zukunftsperspektiven des Mediums Fernsehen in einer sich immer schneller wandelnden (Medien-)Welt“ erörtern will. Der Aktionstag soll den weltweiten Austausch von Fernsehprogrammen und damit den Kulturaustausch fördern, um so auch zu Frieden und Sicherheit beizutragen.

Man darf aber trotzdem auch heute zum Buch greifen, zur Not kann es ja eines über Fernsehen sein. So soll „Über das Fernsehen“ die Logik der Einschaltquoten und damit die „demagogische Unterwerfung unter die Erfordernisse des kommerziellen Plebiszits“ beleuchten. Da aber zunehmend Streaming-Dienste die Vorherrschaft übernehmen, liest man vielleicht besser „Keine Regeln“ von Netflix-Boss Reed Hastings  (Lesetipp von Dirk Junicke).

Wer vom Fernsehen nichts wissen will, die mit mehr als 50 Millionen meistverkaufte Single der Welt auflegen und dazu das passende, ebenso romantische wie gerade zeitgemäße Buch lesen: „White Christmas – Das Lied der weißen Weihnacht“. Heute vor 80 Jahren erreichte Bing Crosby mit Irving Berlins Lied „White Christmas“ erstmals Platz 1 der Charts und bleibt dort zehn Wochen lang.

Dass der Protagonist des Heimkehrerdramas „Draußen vor der Tür“ auch Beckmann heißt, erschwerte mir den Zugang in einer hänselstarken Schulklasse deutlich. Dennoch gehört das Stück, das heute vor 75 Jahren (1947) einen Tag nach dem frühen Tod Wolfgang Borcherts (26 Jahre) uraufgeführt wurde, zu den Büchern, die mich tief bewegt haben. Der Verlag nennt es einen „verzweifelten Protestschrei gegen die zerstörerische und verderbnisträchtige Macht des Krieges“.

Nochmal zurück zum Fernsehen. Heute vor 35 Jahren (1987) wurde die letzte Folge von „Einer wird gewinnen“ (EWG) mit Hans-Joachim Kulenkampff ausgestrahlt. Zum auch von mir heißgeliebten TV-Dinosaurier habe ich nichts gefunden, daher ein Werbung für meine aktuell liebste Quizsendung: „Wer weiß denn sowas?“.

Zu guter Letzt noch ein Geburtstagsgruß an Voltaire (François-Marie Arouet), der heute vor 328 Jahren geboren wurde. Der Mann hinterließ mit weit über 700 Texten eines der umfangreichsten Werke der Literatur- und Geistesgeschichte, darunter so bekannte Romane wie „Candide“ (Zur fröhlichen Kurzfassung im YouTube-Video). Und er sondert Lebensweisheiten ab, die bis heute gültig sind: „Alles, was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles, was wahr ist, solltest du auch sagen.

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Sonntag, 4. September: Der C-Wurst-Himmel

Currywurst und Dankbarkeitsgefühle

Eines meiner liebsten Leib-und-Magenthemen bringt dieser Sonntag, 4. September 2022, mit sich: Wir begehen heute den „Tag der Currywurst“. Und ich weiß auch schon, wie ich den begehen werde…

Die Berliner Imbissbuden-Besitzerin Herta Heuwer soll die Currywurst am 4. September 1949 erfunden haben. Zehn Jahre später ließ sich Heuwer ihre Soße als „Chillup“ unter der Patent Nummer 721319 registrieren. Dennoch wird die C-Wurst Berlin bisweilen streitig gemacht. Gern im Ruhrgebiet, aber auch in Hamburg, wo der Schriftsteller Uwe Timm in seinem Roman „Die Entdeckung der Currywurst“ die Gourmet-Sternstunde verortete.

Der Roman hat es immerhin bis zur Aufgabe in deutschen Abiturprüfungen gebracht. Folgerichtig gibt es dazu auch „Die Entdeckung der Currywurst von Uwe Timm. Königs Erläuterungen.“ Was ähnliche Dankbarkeitsgefühle wie die Erfindung der C-Wurst selbst weckt: Die Textanalysen von „Königs“ haben mich zu Schulzeiten mehr als einmal gerettet.

Wer es ganz genau wissen will, sollte vielleicht die Geschichte des Fast Food in Deutschland in  „Currywurst & Co.“ nachlesen. Wobei mir das viel zu wissenschaftlich ist. Andererseits gehöre ich auch nicht zu jenen, die alles als Currywurst akzeptieren, was einem kleingeschnitten unter rot-sämiger Flüssigkeit mit Piekser vorgesetzt wird. Ich präferiere die „Bratcurry“. Und letztlich entscheidet dann die Soße.

Mehr als 800 Millionen Currywürste werden pro Jahr in Deutschland verzehrt, 28 Mal in Folge bis 2020 war das Kult-Gericht das beliebteste Kantinenessen der Republik. Abgelöst wurde es durch Spaghetti Bolognese. Was mich glauben lässt, dass das Corona-Virus die Geschmacksknospen lahmlegt…

Apropos glauben: Offenkundig ein Plädoyer für eine Kirche näher am Menschen und deren Alltag liefert Franz Meurer mit „Glaube, Gott und Currywurst“. Und für TV-Koch Frank Rosin war die Pommesbude das Startbrett auf seinem Weg in die Sternerestaurants. So erzählt er zumindest in seiner Autobiografie „Ehrlich wie ’ne Currywurst“.

Aber zurück nach Berlin. Da erobert mittlerweile „Berlins Multi-Kulti-Currywurst“ den Markt. Und das Buch zum Trend verspricht 50 Rezepte und ländertypische Sättigungsbeilagen sowie Getränketipps. Was mir ebenso wenig helfen würde wie das Smartphone-Kochbuch „Checkliste: Currywurst“ (eBook), angepriesen als der „schnelle Weg zur selbstgemachten Currywurst“.

Dass ist wie mit den Urlaubsspezialitäten, die zuhause gar nicht schmecken. Zum Currywurst-Genuss braucht es Imbissbuden-Flair und den Geruch nach Fritteuse. Zum Glück findet man diese Konstellation in Deutschland überall. Selbst in Schleswig-Holstein, wo man vielleicht eher Fischbrötchen erwartet. Wer es nicht glaubt, der greife zum „Currywurstführer Schleswig-Holstein“ und gelange so zur „Wurst zwischen den Meeren“.

(*) Zum „Tag der Currywurst“ gehört selbstverständlich auch die passende Tischmusik: Hier geht’s zu Grönemeyers „Currywurst“

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