Samstag, 29. Oktober: Déjà-vu

Einen großartigen „Don Giovanni“ aus der Wiener Staatsoper bietet derzeit 3sat im Stream. Foto: Wiener Staatsoper

Von Katzenmusik zu großer Klassik

Dieser Samstag, 29. Oktober 2022, begann mit einem Déjà-vu: Heute ist „Tag der Katze“ in den Vereinigten Staaten (National Cat Day). Hatten wir den nicht gerade erst? Am Donnerstag war in England der „Tag der schwarzen Katze“. Auf leisen Samtpfoten haben die Tiere ein enormes Aktionstag-Reservoir gebildet.

Es gibt einen eigenen Katzen-Kalender, der stolze 18 Aktionstage aufweist. Was mit der Tatsache korrespondiert, dass das Suchwort Katzen sage und schreibe 8886 Fundstellen im Online-Shop der BÜCHER-HEIMAT liefert. Die „Katzen-Clicker-Box“ hat es sogar in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft.

Das „Clickertraining“ soll eine Möglichkeit sein, mit der Katze „präzise und ohne Missverständnisse zu kommunizieren und neue Verhaltensweisen zu trainieren“. Nun ja, ich kommuniziere schon jetzt präzise mit unserem Haustiger. Wenn sie sich meldet, will sie etwas. Meist mehr im Futternapf. Und mit „Training“ muss ich ihr ganz sicher erst gar nicht kommen.

Während ich also darüber nachsinne, ob ich enorme 74,99 Euro für „Kätzchen 2023“ (Premium, hochwertiger DIN A2 Wandkalender 2023, Kunstdruck in Hochglanz) als Basis für eine Art Altarecke investieren soll, lässt mich der Katzenkalender nicht los. „Weltkatzentag“ (8. August) sollte doch eigentlich reichen.

Aber nein, vor allem nicht in USA. Es geht schon mit „Katzen-Neujahr“ (2. Januar) los. Und nur 20 Tage später kommen so sinnvolle Kreationen wie der „Beantworte-die-Fragen-Deiner-Katze-Tag“. Miau.  Dann schon lieber „Neko no hi“, der Katzentag in Japan am 22. Februar. Unbestritten etwas fürs Herz ist der US-„Tag der süßen Katzenbabys“ (23. März). Dagegen habe ich mit dem „Respektiere-Deine-Katze-Tag“ (28. März) Probleme. Schließlich respektiert sie mich auch nicht.

Schwieriger Übergang, ich versuche es mit der Klassifizierung „keine Katzenmusik“: Meine absolute Lieblingsoper „Don Giovanni“ (Textbuch) wurde heute vor 235 Jahren (1787) uraufgeführt. Das Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart nach einem Libretto von Lorenzo Da Ponte zählt zu den Meisterwerken der Gattung. Und das Don-Juan-Thema wurde laut Lexikon dadurch zum Archetypus, mit dem beispielsweise E. T. A. Hoffmann („Don Juan“) und Søren Kierkegaard („Tagebuch des Verführers“) neu auseinandersetzten.

Prägend in seiner Zeit und auf seine Art war auch das Musical „Hair“ (Textbuch) von Galt MacDermot (Musik), Gerome Ragni und James Rado (Text), das heute vor 55 Jahren (1967) uraufgeführt wurde. Und prägend war (nicht allein für mich) auch ein Held, der am 29. Oktober 1959 in Frankreich das Licht der Welt erblickte: In der Erstausgabe des Comic-Magazins „Pilote“ erschien die erste Folge von „Astérix le Gaulois“  („Asterix der Gallier“).

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Bettina Luis zum Werk von Clemens J. Setz

Bettina Luis zum Werk von Clemens J. Setz

Clemens J. Setz:

Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes

Der Trost runder Dinge

Ich kenne kaum einen lebenden Schrift-stellenden Menschen, der so radikal gegen „den Strom“ schreibt und dennoch die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen (Tabu-)Themen so lupenrein vertiefend beschleunigt. Schonungslos konfrontierten mich Clemens J. Setz‘ 38 detaillierten Erzählungen in den zwei Taschenbüchern „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ und „Der Trost runder Dinge“ mit den Abgründen menschlicher Phantasie: Scheinbar sinnlose Aggression (Milchglas/Die Entschuldigung) und pornografische Exzesse (Die Blitzableiterin…/Weltbild), provozieren extrem, um mich gleich wieder in der nächsten Erzählung in ungeheuerlich sprachlich verfremdeter Zärtlichkeit aufzufangen (Spam/Mütter/Das alte Haus). Im Fokus stehen bei Setz immer auch das Surreale, Künstliche Intelligenzen, das Leben in und mit fremden (PC-)Welten (Kvaloeja/Character IV/Condillac), Vergänglichkeit der Leiblichkeit (Die Visitenkarten/Eine sehr kurze Geschichte/Die zwei Tode).

Beim Lesen musste ich viel lächeln und staunen über so irre Kreativität und Phantasie, die oft genug im Nonsens endet oder mich mit ganz neuen Fragen Richtung Zukunft entlassen haben. Da wachsen einem Menschen kurz Flügel, da wohnen Menschen in Riesenradgondeln oder in Schneekugeln im Weltall… Ich mag Setz‘ Unberechenbarkeiten, Achterbahnfahrten, dieses schüttelnde Kribbeln wie bei unbekanntem Brausepulver. Und ich stelle mich der ungenießbar ekligen Bitternis im Erkennenmüssen, dass Mensch und Gesellschaft hier und jetzt tatsächlich so abgründig sind, was ich derart polarisierend gar nicht hören wollte…

Wer Lust auf „Verrücktes“ hat, seine eigenen Lesegewohnheiten erweitern möchte, wer Ernst Jandl und Arno Schmidt sprachlich und inhaltlich zumindest spannend findet, weil der Mensch ja nicht alles verstehen muss/kann, der kommt an Clemens Setz zukünftig nicht mehr vorbei! Empfehlenswert darum auch seine Romane: „Indigo“, „Die Bienen und das Unsichtbare“, „Gedankenspiele über die Wahrheit“. Wahrlich ein noch viel zu „unerhörter“ österreichischer Schriftsteller – trotz Georg-Büchner-Preis-Ehrung 2021.

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Clemens J. Setz: „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“, Suhrkamp, 349 Seiten, ISBN 9783518463352, Preis: 12,00 Euro.

Clemens J. Setz: „Der Trost runder Dinge“, Suhrkamp, 314 Seiten, ISBN 9783518470961, Preis: 12,00 Euro.


Vorstellung eines Buches über Rudolf Huch

Rudolf Huch

Vorstellung eines neuen Bandes in der Reihe „Spuren Harzer Zeitgeschichte“ 

Am 20. September 2022 wird der 8. Band der von Spurensuche Harzregion e.V. herausgegebenen Reihe „Spuren Harzer Zeitgeschichte“ vorgestellt. „Rudolf 3Huch – Antisemitismus und das kulturelle Gedächtnis der Stadt Bad Harzburg“ lautet der Titel des von Markus Weber verfassten Bandes. Entgegen gängiger Auffassungen in vielen bisherigen Darstellungen, Huch sei lediglich vom Nationalsozialismus instrumentalisiert worden oder gar Opfer des Nationalsozialismus gewesen, zeigt der Autor, dass Rudolf Huch, nach dem in Bad Harzburg eine Straße benannt ist, sich schon 1932 eindeutig für eine Diktatur unter einem Führer Adolf Hitler ausgesprochen hat.

Ab 1933 wurde Huch Parteimitglied und spielte eine aktive Rolle zur propagandistischen Unterstützung der Diktatur. So verfasste er beispielsweise ein Festspiel zur Hundertjahrfeier Bad Harzburgs, in dem das Dritte Reich als Wiederkehr des mittelalterlichen Reiches gefeiert wurde und unterzeichnete ohne Zwang das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“, in dem Schriftsteller sich vollständig hinter Hitler stellten. 1934 erschien seine antisemitische Hetzschrift „Israel und Wir“, in der er die Diskriminierung der Juden und die Verfolgung politischer Gegner legitimierte.

Der Rudolf-Huch-Stein an der Weißen Brücke in der Rudolf-Huch-Straße.

Im Gegenzug erhielt Huch die von ihm lebenslang vermisste Anerkennung; er wurde in die  Preußische Akademie für Künste aufgenommen, aus der seine Schwester Ricarda Huch aus  Protest gegen die judenfeindliche Politik ausgetreten war. Zudem erhielt er die Möglichkeit  

zu Radiovorträgen und bis zum Lebensende immer wieder Ehrungen und finanzielle  Unterstützung des NS-Staates. Trotz zwischenzeitlicher Anfeindungen durch lokale NS Parteigenossen hielt Huch an ideologischen Positionen fest, die sich mit der NS-Ideologie  deckten. 

Schon in seinen frühen Schriften zeigten sich latent antisemitische Haltungen, die sich  zunehmend verfestigten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Huch zum Gegner der Weimarer  Republik, die er in verschwörungstheoretischer Weise als „Sieg der jüdischen Zentrale“  diffamierte. 

Nach 1945 war der Umgang mit Huch durch bewusste Verdrängung und Umdeutung  gekennzeichnet. So konnte er posthum zahlreiche Ehrungen durch die Stadtgesellschaft  erfahren. Auf der Grundlage der Erkenntnisse setzt sich der Autor auch mit der Frage  auseinander, wie in Zukunft mit den Hinterlassenschaften im kulturellen Gedächtnis der  Stadt umgegangen werden kann. 

Die Buchvorstellung findet am 20. September 2022 um 19:30 Uhr in Bad Harzburg in der  gemeinnützigen Buchhandlung Bücher-Heimat, Herzog-Wilhelm-Straße 64c, statt. Zahlreiche  Gäste sind herzlich willkommen.

Petra Nietsch: Mein Weg

Mein Weg

Zu Fuß von Porto nach Santiago de Compostela

Was sind die Beweggründe, 300 Kilometer in 14 Tagen auf dem Jakobsweg zu wandern? Wie bereitet man sich auf so eine Herausforderung vor? Was muss alles bedacht werden? Wie erlebt und erfährt man den eigentlichen Weg? Welche Erkenntnisse nimmt man am Ende einer solchen Reise mit zurück in den Alltag?

Petra Nietsch möchte an diesem Abend von ihrem Weg  auf dem Camino Portugues erzählen und ihre ganz persönlichen Antworten auf diese Fragen mit ihren Zuhörerinnen und Zuhörern teilen.

Der Vortrag wird durch Bilder ergänzt.

Lesetipps zu den Themen Pilgern, Wandern und Reisen in Form von Romanen und Sachbüchern werden im Anschluss gegeben.

Freitag, 23. September 2022, 19.30 Uhr, BÜCHER-HEIMAT
Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten
Anmeldung in der BÜCHER-HEIMAT,
Telefon  (05322) 9059599 | Mail: info@die-buecherheimat.de

See. Not. Rettung.

SeeNotRettung
SeeNotRettung

Tobias Schlegl:

See. Not. Rettung.

Meine Tage an Bord der Sea-Eye 4

Tobias Schlegl hat ein bewegendes und sehr persönliches Buch über seinen freiwilligen Einsatz auf dem Seenotrettungsschiff Sea-Eye 4 geschrieben. Das Buch ist kein distanzierter Bericht, sondern Schlegl verarbeitet auch seine Erfahrungen. Denn: Wer die Lebensgeschichten der Geflüchteten hautnah miterlebt hat, der wird selbst verändert.

Tobias Schlegl war lange Fernsehmoderator, zunächst bei Viva, dann bei der Satiresendung Extra3 und für das Kulturmagazin aspekte. Diese Jobs gab er zum Teil auf, um eine Ausbildung zum Rettungssanitäter zu machen – und nun fuhr er auf der Sea-Eye 4 bei einem Einsatz mit, um seine Kenntnisse in den Dienst der Sache zu stellen. Wie in einer Reportage berichtet er gut lesbar er über seine eigenen Schwierigkeiten, sich auf die Situation an Bord einzustellen, über Vorbereitungen und Schwierigkeiten, über das internationale Team an Bord, über behördliche Schikanen im Hafen, den gefährlichen Wettlauf mit der libyschen Küstenwache und die dramatische Rettung Geflüchteter – im Mittelpunkt aber stehen die Geflüchteten selbst mit ihren Geschichten. Sie machen deutlich, dass niemand sich leichtfertig auf dem Mittelmeer in Lebensgefahr begibt. Sie alle haben brutale Erfahrungen in ihrem Leben gemacht.

Tobias Schlegl haben nach Bekanntwerden seines Einsatzes und Erscheinen des Buches heftige Anfeindungen und Hassbotschaften im Netz erreicht. Das Buch entlarvt diese Verleumdungen. Das Anliegen der Sea-Eye 4 und des Autors werden mehr als deutlich: „Seenotrettung ist humanistische Pflicht. Bei allen politischen Diskussionen um die Migration ist das doch das Mindeste, auf das sich alle einigen können sollten.“ So ist das Buch auch ein Appell an Gesellschaft und Politik dafür zu sorgen, dass niemand mehr im Mittelmeer ertrinken muss. Denn bisher ist das Mittelmeer „ein riesiger Friedhof“. Und das darf nicht so bleiben.

Tobias Schlegl: See. Not. Rettung. Meine Tage an Bord der Sea-Eye 4, Piper Paperback 2022, 224 Seiten, ISBN 978-3492063463, Preis: 16,00 Euro

Ein guter Tag für die Aussaat

Aussaat
Aussaat

Ein guter Tag für die Aussaat

Heute ist Samstag, 12. März, und die Wettervorhersage verspricht ein fast frühlingshaftes Traumwochenende. Da sollte man die genüssliche Literaturlektüre in die kühleren Abendstunden an den Kamin verlegen. Tagsüber lockt der Harz auf Wanderungen.

Bei einer solchen Wetterlage komme ich um den Blick in die Bauernregeln nicht herum: „Der Gregor zeigt dem Bauern an, ob er die Saat jetzt säen kann, denn so, wie sich Gregori stellt, so muss er mit der Saat aufs Feld.“ Selten dürfte sich Gregor so deutlich gestellt habe. In Ermangelung eines Ackers zieht es mich in den Wald (die Harzer Wandernadel ist immer noch nicht komplett erwandert) und später in den Garten – auch wenn die Aussaat da eindeutig die Sache meiner Frau ist.

Eine Saat, die unglaublich aufgegangen ist, hat am 12. März 1989 in der Nähe von Genf in der Forschungseinrichtung CERN ein Wissenschafteler namens Tim Berners-Lee gelegt. Der gute Mann wollte eigentlich „nur“ Forschungsergebnisse auf einfache Art und Weise mit Kollegen auszutauschen. An dieser Idee tüftelte er zusammen mit Robert Cailliau. Zusammen entwickelten sie die Methode, wissenschaftliche Artikel miteinander zu „verflechten“, bis daraus ein Netz entstand. Geboren war das World Wide Web. In Tim Berners-Lees Worten: „Das World Wide Web ist eine großräumige Hypermedia-Initiative zur Informationsbeschaffung mit dem Ziel, den allgemeinen Zugang zu einer großen Sammlung von Dokumenten zu erlauben.“

Ähnlich kompliziert wie diese Beschreibung war die Namensfindung. Zunächst hieß das Web noch Mesh (Geflecht). Was einige Wissenschaftler an Mess (Unordnung) gemahnte und verworfen wurde. „Mine of Information“ (MOI = franz.: ich) und „The Information Mine“ (TIM, Die Informationsmine) erschienen Berners-Lee selbst zu egozentrisch. Schließlich legte Berners-Lee sich auf Web und World Wide Web fest.  Ein Name, der sich ohne Frage durchgesetzt hat, obwohl die Abkürzung WWW für Engländer und Franzosen schon fast zungenbrecherisch ist.

Aber die Zeit ist schnelllebig, heute verschlägt einem eher die Sprache, was im World Wide Web so alles herumposaunt werden kann und scheinbar auch darf. Schon vor Jahren hatte der verstorbene Herausgeber der „FAZ“, Frank Schirrmacher, fast resignierend festgestellt: „Das Internet vermanscht unser Hirn“. Und er warnte vor dem „Informationsmüll“ des Internet-Zeitalters. Die Warnung verhallte offenkundig ungehört.

Mit der schnelllebigen Zeit (ich muss mich allerdings immer noch zu den 3 „l“ überwinden), hatten auch die Mannschaften der 10. Fernschach-Olympiade zu kämpfen. Fernschach wird gespielt, indem die Züge dem Gegner postalisch oder elektronisch übermittelt werden. Das kann dauern. Was bei der 1987 gestarteten Olympiade nicht ohne Folgen blieb. Erst acht Jahre später, am 12. März 1995, wurden im Magdeburger Hotel „Ratswaage“ die Medaillen übergeben. Gold ging an die Mannschaft der inzwischen untergegangenen Sowjetunion, Silber an das Team aus England, Bronze sicherte sich die Mannschaft der Deutschen Demokratischen Republik – die da auch bereits seit fünf Jahren nicht mehr existierte. Knapp an den Medaillenrängen vorbei schrammte die Mannschaft der ČSSR, die es in dieser Form ebenfalls schon nicht mehr gab. Beim Blitzschach wäre das nicht passiert…



Die Mitternachtsbibliothek

Die Mitternachtsbibliothek

Matt Haig:

The Midnight Library | Die Mitternachtsbibliothek

Nora Seed verliert ihren Job, fühlt sich von allen geliebten Menschen verlassen, und dann wird auch noch ihre Katze überfahren. Sie hält sich für überflüssig und beschließt in ihrer Verzweiflung, sich das Leben zu nehmen. Aber nicht einmal das gelingt ihr. Stattdessen findet sie sich in einer Bibliothek wieder. Die Bücher in den Regalen enthalten ihre Geschichten und erzählen, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie zu bestimmten Zeitpunkten beruflich und privat andere Entscheidungen getroffen hätte. Mit jedem Buch, das sie öffnet, bekommt sie die Möglichkeit, in dieses Leben einzutauchen und zu entscheiden, ob dieses Leben ein besseres, lebenswerteres gewesen wäre. Nora öffnet sehr viele Bücher, und wir dürfen an diesen anderen Leben teilhaben.

Der Roman ist äußerst unterhaltsam geschrieben, so dass man ihn nur schwer aus der Hand legen kann. Er macht aber auch nachdenklich, denn man stellt sich während des Lesens  natürlich auch immer die Frage: „Was wäre, wenn….“

Matt Haig: „Die Mitternachtsbibliothek“ (OT: „The Midnight Library“), Droemer Verlag (OT: Canongate Books), 320 Seiten, ISBN 978-3-426-28256-4, Preis: 20 Euro


71/72 – Die Saison der Träumer

Bernd M. Beyer: 71/72 – Die Saison der Träumer

Bernd M. Beyer: 71/72 – Die Saison der Träumer

Bernd M. Beyer:

71/72 – Die Saison der Träumer

Bernd-M. Beyer hat ein wunderbares Fußball-Buch geschrieben, das nicht nur für eingefleischte Fußballfans spannend zu lesen ist, sondern auch für alle, die an der Zeitgeschichte interessiert sind. Das Fußballgeschehen in der Bundesliga und rund um die Europameisterschaft 1972 lebt zwar auf und die Größen der damaligen Zeit wie Franz Beckenbauer, Uwe Seeler, Stan Libuda, Günter Netzer & Co werden entsprechend gewürdigt, aber vor allem wird der Fußball gekonnt eingebettet in das politisch-gesellschaftliche Geschehen Anfang der 1970er Jahre.

Es ist eine Zeit des Aufbruchs und der Veränderung. Im Fußball sind Bestechungsskandale an der Tagesordnung, Geld und Fußball verbinden sich immer mehr. Rio Reiser und seine Band Ton, Steine, Scherben geben sich revolutionär und Willi Brandts Politik verspricht neue Beziehungen mit Osteuropa und die Demokratisierung der Gesellschaft. Die RAF terrorisiert Deutschland. All das und noch mehr wird, gegliedert durch die Bundesliga-Spieltage, miteinander verbunden. So entsteht ein buntes Bild der frühen 70er, das man genussvoll lesen kann.

Bernd-M. Beyer: 71/72 – Die Saison der Träumer, Verlag Die Werkstatt 2021, 352 Seiten, ISBN 978-3730705407, Preis: 22,00 Euro

Das verlorene Paradies

Abdulzarak Gurnah: „Das verlorene Paradies“

Abdulzarak Gurnah: „Das verlorene Paradies“

Abdulzarak Gurnah:

Das verlorene Paradies

Abdulrazak Gurnah erzählt in seinem Roman, der bereits 1994 auf Deutsch erschienen war und jetzt anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises neu aufgelegt wurde, die Geschichte des Erwachsenenwerdens von Yusuf. Historischer Hintergrund der Geschichte, die an der Küste Ostafrikas spielt, ist die beginnende deutsche Kolonialherrschaft, die erst nach und nach wahrnehmbar wird. Während die Menschen in der alten Welt konkret wahrnehmbar sind, anschaulich gezeichnet werden und alle einen Namen tragen, bleibt die Kolonialherrschaft zunächst abstrakt, die Europäer und Deutschen haben keine Namen. Nur die Gewaltförmigkeit lässt sich erahnen.

Ohne Chance auf eine Rückkehr

Yusuf ist zwölf Jahre alt, als er von seinen Eltern seinem vermeintlichen Onkel Aziz, der ein reicher Karawanenhändler ist, mitgegeben wird in eine fremde Stadt, wo er für den „Onkel“ in seinem Geschäft arbeiten muss. Nach und nach wird Yusuf deutlich, dass Aziz kein Onkel ist, sondern dass er von seinen Eltern verpfändet wurde, um ihre Schulden zu begleichen – letztlich ohne Chance auf eine Rückkehr. Die Welt Ostafrikas ist eine der Vielfalt von Ethnien und Religionen, in der aber die Anderen zumeist als unzivilisiert gesehen und als „Wilde“ bezeichnet werden – übrigens auch die deutschen Kolonialherren.

Der Untergang der bisherigen Welt wird deutlich bei einer langen Handelsreise, die Yusuf ins Landesinnere führt, die auch die Unerbittlichkeit von Natur und Machtverhältnissen vor Augen führt.

Kein Paradies

Gurnah erzählt mit leichter Hand und schildert das Zusammenleben der Menschen, aber lässt auch die Landschaften und die Natur anschaulich und erlebbar werden. Eine Welt mit der ihr eigenen Kultur – besser Kulturen – ging verloren, wurde zerstört – ein Paradies aber war auch diese Welt nicht.

Abdulrazak Gurnah: „Das verlorene Paradies“, Penguin Verlag 2021, 336 Seiten, ISBN 978-3328602583, Preis: 25,00 Euro

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