Für immer zuckerfrei

Anastasia Zampounidis: Für immer zuckerfrei: Schlank, gesund und glücklich ohne das süße Gift

Anastasia Zampounidis: Für immer zuckerfrei: Schlank, gesund und glücklich ohne das süße Gift

Anastasia Zampounidis:

Für immer zuckerfrei

Schlank, gesund und glücklich ohne das süße Gift

„Bist du sicher, dass du das lesen willst? Dann gibt es vielleicht kein zurück mehr. Denk nur an Schokolade, an Eiscreme, an Prali- Ja, ich denke ich sollte das lesen.“

Das waren meine ersten Gedanken, als ich das Ratgeber-kein-Ratgeber-Erfahrungsbuch von Anastasia Zampounidis im Bücherregal sah. Zuckerfrei leben. Ein Thema, auf das meine Gedanken schon öfter stießen, wenn ich ihnen freien Lauf ließ. Natürlich finde ich immer eine Ausrede, dann doch in den Schokoriegel zu beißen.

Nun, jetzt hatte ich mir das Buch aber doch gekauft und siehe da: Ich liebe es. Anastasia (ich bin so frei) beschreibt offen, ehrlich und unglaublich sympathisch, wie sie ihren Weg in die Zuckerfreiheit gefunden hat. Ich gebe zu, dass ich an der ein oder anderen Stelle dachte: „Ist diese Info jetzt wirklich wichtig für mich?“ Aber letztendlich spricht der Erfolg für sich, denn je mehr ich laß, desto mehr wollte auch ich diesen Weg gehen.

Obwohl mein Zucker-Konsum sicher nicht so beträchtlich ist wie der, den die Autorin sich selbst zuschreibt, wollte auch ich mich von dieser Sucht, der Abhängigkeit, dem Heißhunger, lossagen können. Anastasia hat mich auf diesen Weg geführt und meine Hand gehalten, während die Idee in meinen Gedanken weiter und weiter reifte. Durch reichlich Hinweise, wo versteckter Zucker zu finden ist, wie ich Heißhunger umgehen kann und welche kleinen Köstlichkeiten ich mir alternativ zubereiten kann, fühlte ich mich immer von einer erfahrenen Freundin umgeben. Danke! Der Anhang (der selbst einen recht großen Anteil an der Gesamtseitenzahl ausmacht) beinhaltet weiteres Material: Rezepte! Leckeres, zuckerfreies Futter.

Mein persönlicher Hit sind die Dattel-Walnuss-Snacks… wirklich himmlisch und Schokolade jederzeit vorzuziehen. Ich kann kaum glauben, dass ich das sage, aber so ist es.

Fazit: Was kann ich also abschließend sagen? Ein tolles Buch. Stück für Stück hinterfrage ich mein eigenes Handeln und meine eigenen Einstellungen und habe etwas für mein Leben und über mich selbst gelernt. Absolut zu empfehlen für all diejenigen, die mal etwas Neues probieren wollen.

Anastasia Zampounidis , “ Für immer zuckerfrei. Schlank, gesund und glücklich ohne das süße Gift „, Bastei Lübbe, 224 Seiten, ISBN 978-3431039979, Preis: 16,00 Euro.


Das Duell

Volker Weidermann: Das Duell

Volker Weidermann:  Das Duell

Volker Weidermann:

Das Duell

Ich habe Volker Weidermanns „Das Duell“ gelesen und möchte es weiterempfehlen, weil ich es sehr spannend fand, diese Lebensgeschichten in dieser Form beieinander zu finden.  Volker Weidermann zeichnet die Lebenslinien von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki von der der Geburt bis zum Tod auf, die persönlichen Entwicklungen und Entscheidungen dieser beiden Protagonisten der deutschen Nachkriegsliteratur. Diese Linien treffen dann 1958 zusammen in der Gruppe 47. Es war zwar das zweite Zusammentreffen, aber erst von diesem Zeitpunkt an nahm man sich gegenseitig wirklich wahr. Und für beide wurde es eine Zeit der Auseinandersetzungen, Romane und Verrisse, Liebeserklärungen und Wut. Gleichzeitig ist die Beschreibung dieser beider Leben eine Spiegelung der Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts.“

Volker Weidermann: „Das Duell“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, ISBN 978-3-462-05109-4, Preis: 22,00 Euro.


Bella Germania & Piccola Sicilia

Bella Germania & Piccola Sicilia

Daniel Speck: Bella Germania & Piccola Sicilia

Daniel Speck:

Bella Germania & Piccola Sicilia

Die beiden Bücher von Daniel Speck haben mich sehr begeistert, weil es der Autor meiner Meinung nach gut versteht, historische Zusammenhänge in die jeweilige Geschichte zu integrieren. Mir als Leserin wurde vieles verständlicher und nachvollziehbarer. Trotz einer sehr unterschiedlichen Thematik beider Bücher geht es jeweils um Identitätssuche, die letztlich erst in den nächsten Generationen aufgelöst werden kann.

Bella Germania

In Bella Germania geht es im weitesten Sinne um die Situation italienischer „Gastarbeiter“ in Deutschland in den 1960er Jahren. Was bedeutete es für die Menschen, ihre Familien zu verlassen und ins Ungewisse zu gehen? Sie wurden nicht immer gut aufgenommen, sondern kritisch beäugt. Wir erleben das im Roman an Giovanni, den es auf der Suche nach Arbeit nach München verschlägt. Aber auch der deutsche Ingenieur Vincent, der nach Italien reiste, um die Zusammenarbeit mit dem Isettawerk aufzubauen, hatte so seine Schwierigkeiten. Beide Schicksale und die ihrer Familien sind über die Generationen hinweg miteinander verwoben. So geht es insgesamt um Identitätsfindung unter der neuen Situation sowie die Auswirkungen auf die nächste und übernächste Generation.

Piccola Sicilia

Auch im zweiten Buch, Piccola Sicilia, ist die Identitätssuche im weitesten Sinne zentral.  Das Buch spielt im Zweiten Weltkrieg: Ein junger deutscher Soldat, Moritz, kommt in seiner Funktion als Fotograf für die NS-Propagandamaschinierie im Zusammenhang des Rommelfeldzuges nach Tunesien, dort schließlich an einen Ort, der Piccola Sicilia heißt. Wegen der schwierigen Umstände setzt er sich von der Truppe ab und verhilft einem gefangenen Juden zur Flucht. Nach Ende der deutschen Besatzung Tunesiens wird der Fotograf von dessen Familie versteckt. Seine Familie in Deutschland, auch seine schwangere Freundin, erfahren nur, dass er angeblich mit einem mit einem der letzten Flugzeuge der Luftwaffe abgestürzt ist. Aber der Lebensweg von Moritz, in einem neuen Leben Maurice genannt, erfährt ungeahnte Wendungen. Es bleibt ein dunkles Geheimnis in der Familie. Erst die Enkelin erfährt die andere Seite der Geschichte bei einer ungewöhnlichen Begegnung.

Daniel Speck: „Bella Germania“, Fischer Taschenbuch 2017, 624 Seiten, ISBN 978-3596295975, Preis: 12,00 Euro.
Daniel Speck: „Piccola Sicilia“, Fischer Taschenbuch 2018, 624 Seiten, ISBN 978-3596701629, Preis: 16,99 Euro.


Von hier bis zum Anfang

Chris Whitaker: Von hier bis zum Anfang

Chris Whitaker: Von hier bis zum Anfang

Chris Whitaker:

Von hier bis zum Anfang

Dieses Buch ist spannend und sehr berührend geschrieben. Selten habe ich ein so gut ausbalanciertes Buch gelesen, welches mich oft auch an den Gesang der Flusskrebse erinnert hat.

In einer idyllischen Kleinstadt in Kalifornien kümmert sich die 13-jährige Duchess um ihren kleinen Bruder und ihre depressive Mutter, welche die Ermordung ihrer Schwester vor 30 Jahren nicht verkraftet hat. Als der vermeintliche Mörder aus der Haft entlassen wird, droht das fragile Gefüge, welches Duchess aufgebaut hat, zusammenzubrechen. Eine Kette von tragischen Ereignissen wird in Gang gesetzt und bleibt bis zum Schluss unter einem großen Bogen spannend, einfühlsam, bewegend, berührend und überraschend. Chris Withaker hat mit diesem Buch einen außerordentlichen Roman geschrieben, den man nicht  verschlingt aus Sorge, dass er aufhören könnte und den man nicht aus der Hand legen möchte, weil er so spannend ist. Hier empfiehlt es sich mit Genuss zu lesen und sich verzaubern zu lassen von der einfühlsamen Erzählkraft dieses sensationellen Autors. Großes Kino!

Chris Whitacker: „Von hier bis zum Anfang“, Piper-Verlag, 448 Seiten, ISBN 978-3-492-07129-1, Preis: 22,00 Euro.


Klub Druschba

Rebecca Maria Salentin: Klub Druschba

Rebecca Maria Salentin: Klub Druschba

Rebecca Maria Salentin:

Klub Druschba

“Ich bin weder mutig noch trainiert. Ich ächze und schnaufe bei jeder Treppenstufe, breche bei der kleinsten Anstrengung in Schweiß aus, werde beim Radfahren von Rentnern überholt, habe Angst vor Spinnen, Hunden, vor Gewitter, tiefen Seen und steilen Höhen, ich fürchte mich im Wald …“ Derart (un)vorbereitet tritt die Autorin Rebecca Maria Salentin die 2.700 km lange Wegstrecke zu Fuß auf dem EB, dem Weg von Eisenach nach Budapest, an. Zudem reißt sie alle Brücken in Leipzig ab. Sie kündigt ihre Wohnung und will erst auf dem Weg überlegen, wie es hinterher weitergehen wird.

Schwerfälliger Start

Diese Ausgangssituation hat mich fasziniert. Dennoch habe ich kurz überlegt, ob ich dieses Buch empfehlen soll. Denn, ehrlich gesagt, kam das Buch zu Beginn für mein Empfinden ein wenig schwerfällig in Gang, zu viel Ballast, z.B. den Bruch einer langen Beziehung, schleppt sie anfangs noch mit sich und erzählt davon. So brauchte ich ein wenig Geduld, bis ich wirklich auf dem Weg angekommen war. Doch mit jedem Kilometer fand ich die Erzählung über diese ungewöhnliche Reise lohnender. Sie beschreibt Begegnungen mit unbekannten Menschen, neue Beziehungen entstehen. Alte Freunde begleiten sie wechselnd für ein paar Tage. Es finden sich schöne Schilderungen von Fremdem und Vertrautem, Land und Leuten, die sie neu kennenlernt in Deutschland, Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. Und natürlich begegnet sie all dem, wovor die Angst hat(te): heftigen Gewittern, dunklen Wäldern, Bärenspuren, steilen Bergen …

Sich selbst begegnen

So begegnet Rebecca Salentin nicht nur unbekannten Landschaften und Menschen, sondern auch sich selbst neu – das ist ja bei jedem wirklichen Weg so. Und die Erkenntnis: Aus einer verrückten Idee „wurde eine der schönsten Zeiten meines Lebens. Trotzdem freue ich mich auf zu Hause. Ich würde den Satz, dass es zu Hause am schönsten ist, nicht unterschreiben. Aber ich würde sagen, dass es unglaublich schön ist, wenn man ein Zuhause hat …“

Ich selbst werde diese 2.700 km in meinem Leben sicher nicht gehen; dennoch war es gut, mich mit Rebecca Salentin auf den Weg zu begeben. Und wer weiß, vielleicht besuche ich ja den ein oder anderen Ort, den sie beschreibt.

Rebecca Maria Salentin: Klub Druschba. 2700 km zu Fuß auf dem Weg der Freundschaft von Eisenach bis Budapest, Verlag Voland & Quist 2021, 320 Seiten, ISBN 978-3863912970, Preis: 20,00 Euro.

Nachruf auf mich selbst

Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens

Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens

Harald Welzer:

Nachruf auf mich selbst.

Harald Welzer, einer der anregenden und streitbaren Intellektuellen der Bundesrepublik, legt mit seinem neuen Buch eine schonungslose Analyse der Irrwege in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft vor, die uns schließlich in die Klimakrise und vor die Klimakatastrophe geführt haben. Dabei ist dieses Buch sehr persönlich motiviert durch die Erfahrung, bei einem Herzinfarkt mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert worden zu sein.

Auf Wachstum angelegt

Im ersten Teil des Buches führt Welzer die Widersinnigkeit vieler Entscheidungen vor Augen, die nur vorgeben, Lösungen aus der Krise anzubieten, denen es aber nicht gelingt, die Probleme an der Wurzel zu fassen. Die Wurzel sieht Welzer in der Anlage der europäischen Moderne selbst, die nicht in der Lage war, eine „Kultur des Aufhörens“ zu entwickeln, sondern immer auf das Mehr, das Höher, Weiter, Schneller, auf Wachstum angelegt ist. Immer wieder scheint Welzers Empörung über diese Situation und deren Konsequenzen auf, auch über die Lebenslügen der Wachstumsgesellschaft, was sich an einigen Stellen auch sprachlich an für ihn ungewohnt derben Begriffen zeigt.

In seiner Analyse und Suche nach Gründen für die Unfähigkeit unserer Kultur, die eigenen Grenzen und die Endlichkeit anzuerkennen, verknüpft Welzer kenntnisreich die unterschiedlichsten Wissenschaftsbereiche. So wird auch deutlich, dass die Entwicklungen seit der Zeit der Aufklärung mit ihren Säkularisierungstendenzen zu einer Unsterblichkeitsillusion geführt haben. Es ist klar, dass im Zusammenhang mit Themen wie Tod und Sterblichkeit auch die religiöse Dimension gestreift wird, wobei ich persönlich mir da ein wenig mehr Kenntnis „aufgeklärter“ Theologie gewünscht hätte. Andererseits ist es für mich beim Lesen beeindruckend gewesen, wie es gelingt, so etwas wie eine säkulare Frömmigkeitshaltung zu entwickeln.

Perspektivwechsel nach Herzinfarkt

Das ist wohl vor allem ausgelöst durch die Erfahrung seines Herzinfarkts, der ihn zu einem Perspektivwechsel veranlasst hat. Nach seiner Einschätzung sollten nicht nur die Individuen ihr Leben vom Ende her denken, sondern auch der Gesellschaft täte es gut, einen Nachruf auf sich selbst zu verfassen, um Leitlinien und Maßstäbe für ein gutes Leben zu verfassen. In diesem Sinne erzählt Welzer recht breit biografische Beispiele des Aufhörens (z.B. im Gespräch mit Reinhold Messner), die er verallgemeinert, um so dessen Wert und Gewinn zu verdeutlichen: als Chance des wirklichen Neubeginns und „Feier des Lebens“.

Schließlich formuliert Welzer 15 Sätze, die er – durchaus auch selbstkritisch – im Nachruf auf sich selbst lesen möchte. Das geht von „Er konnte gut Zeit verschwenden“ bis hin zur – für mich – zentralen Formulierung „Er hat keine Entscheidungen getroffen oder mitgetragen, die zukünftige Menschen in ihrer Entfaltung beeinträchtigen.“ Bei allen Sätzen stehen immer die Menschen im Mittelpunkt und die Überzeugung, dass jeder Mensch Handlungsspielräume hat und den „Unterschied machen“ kann für eine lebenswerte Zukunft auch der künftigen Generationen.

Anregungen für eigene Überlegungen

Am Ende bietet Welzer nicht – wie ich noch zu Beginn meiner Lektüre gedacht und erwartet hatte – „die Lösung“ für die politische Dimension zur Abwendung der Klimakatastrophe, aber viele Anregungen für eigene Überlegungen und hoffentlich Anstöße für die gesellschaftliche Debatte. Und das ist ja schon viel.

Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens, S. Fischer 2021, 288 Seiten, ISBN 978-3103971033, Preis: 22,00 Euro.

Thalamus

Ursula Poznanski: Thalamus

Ursula Poznanski: Thalamus

Ursula Poznanski:

Thalamus

Ich habe meinen 13-jährigen Enkel Juan Felipe gefragt, welches Buch er empfehlen möchte. Er hat mir geantwortet:

„Wenn ich gefragt werden würde, welches  Buch ich empfehlen könnte, so ist „Thalamus“ von Ursula Poznanski  das erste Buch, an das ich denke. Das verdanke ich dem extrem spannenden Schreibstil, der in allen mir bekannten Thrillern von Ursula Poznanski vorhanden ist. Das Buch handelt von einem Jugendlichen, der aufgrund eines Motorradunfalls in eine Reha-Klinik muss, er ist anfangs sehr eingeschränkt und kann nicht mal laufen und auch von reden ist er noch weit entfernt. Eine nächtliche Erfahrung mit seinem Zimmerpartner, der untertags nicht laufen kann, scheint unmöglich zu sein: Da sieht er ihn mehrfach laufen und von eben diesem Bettnachbarn wird ihm der Tod angedroht. Spätestens da wird ihm klar, dass in der abgeschiedenen Rehaklinik, genannt Marktwaldhof, einige merkwürdige Sachen geschehen.

Das Buch ist bis zum Ende spannend und man kann sich die merkwürdigen Taten mancher Insassen und Insassinnen bis zu den letzten Seiten nicht erklären.

Die Lektüre ist geeignet für die Altersklasse 13 bis 99 Jahre.“

Ursula Poznanski: „Thalamus“, Loewe Verlag 2018, 448 Seiten, ISBN 978-3785586143, Preis: 16,95 Euro.


Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Alice Hasters:

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Die Journalistin Alice Hasters, 1989 in Köln geboren, beschreibt im Buch ihre vielfältigen Erfahrungen von Rassismus in verschiedensten Lebensbereichen. Auch harmlos klingende Fragen – „Darf ich mal deine Haare anfassen“ – oder als Kompliment gemeinte Äußerungen – „Du hast einen richtig schönen N**erpopo“ – sind Ausdruck rassistischer Einstellungen, so ihre Grundthese. In den Bereichen Alltag, Schule, Körper, Liebe und Familie wird diese durchbuchstabiert. Dabei belässt Hasters es nicht bei der Beschreibung eigener Erfahrungen, sondern sie bezieht auch wissenschaftliche Erkenntnisse und Literatur kenntnisreich mit ein, um ihre Position zu untermauern. Dabei bleibt der Text immer gut lesbar. Mich hat das Buch an vielen Stellen angestoßen, noch einmal vertieft nachzudenken. Zum Beispiel, ob wir die Tradition der europäischen Aufklärung – ohne die hohe und bleibende Bedeutung von Vernunft, Menschenrechten und Toleranz infrage zu stellen – nicht doch neu erzählen müssten, wenn es von ihren prominenten Vertretern rassistische Äußerungen gibt. Auch wenn ich am Ende nicht allen Wertungen der Autorin zustimme, so habe ich das Buch trotzdem mit Gewinn gelesen.

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten, hanserblau 2019, 224 Seiten, ISBN  978-3446264250, Preis: 17,00 Euro.

Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

Andre Heller: Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

Andre Heller: Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

André Heller:

Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

Der vielseitig begabte und engagierte Wiener Multimediakünstler, Poet, Liedermacher, Kulturmanager und Schauspieler André Heller verwebt in dieser Erzählung eigene Kindheitserinnerungen kreativ mit phantasievollen Einfällen zu dieser Erzählung um den Jungen Paul. Paul besucht auf Geheiß des Vaters ein erzkatholisches Internat: „Am falschen Ort und bei den falschen Leuten … Künftige Kirchenfürsten und Minister der christlichen Volkspartei, Generaldirektoren bürgerlicher Großbanken und Universitätsprofessoren züchtete man dort. Aber ich hatte anderes mit mir vor.“ Weltmeister im Unsichtbarsein oder Taucher im Inneren des Vesuvs wollte Paul werden und entwickelt Gegenstrategien. Zur Bestattung des Vaters reisen Pauls Onkel aus Übersee an und geben Anekdoten aus dem schillernden Leben der Silbersteins, einer jüdischen Wiener Großindustriellenfamilie, zum Besten. Onkel York hat auch einen Ratschlag für Paul: „Hör zu: Geboren wird man als Entwurf zu einem Menschen, und dann muss man Zeit seines Lebens aus sich einen wirklichen Menschen machen.“

Eine unterhaltsame und wunderbar zu lesende Erzählung voller Phantasie und Poesie!

André Heller: Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein, S. Fischer 2008, 144 Seiten, ISBN 978-3100302090, Preis: 16,90 Euro.

Aufbrechen

Tsitsi Daganrembga: Aufbrechen

Tsitsi Daganrembga: Aufbrechen

Tsitsi Dangarembga:

Aufbrechen

„Ich war nicht traurig, als mein Bruder starb.“ Dieser erste Satz des Romans hat mich gleich in die Geschichte des jungen Mädchens Tambu hineingezogen. Die Geschichte spielt in den 1960er und 70er Jahren in Simbabwe – bis 1965 noch britische Kolonie und noch bis 1980 Rhodesien genannt. Sehr anschaulich wird der Kampf Tambus um Bildung, Anerkennung und Gleichberechtigung geschildert – ihre Herkunft aus Armut und Kinderarbeit im Dorf, der neidische Blick auf den Bruder, der die Missionsschule in der Stadt besuchen darf, die patriarchalen Strukturen in ihrer Familie und der Gesellschaft. Als Tambu schließlich selbst städtische Schulen besuchen darf, erfährt sie auch die koloniale Bevormundung im Land am eigenen Leib. Die Teilhabe an der britisch geprägten Bildung stellt sie vor die Frage der eigenen Zugehörigkeit: „Sag mir Tochter, was werde ich, deine Mutter, dir zu sagen haben, wenn du nach Hause kommst, eine Fremde voller weißer Gewohnheiten und Ideen?“ – so formuliert es Tambus Mutter bei ihrem Fortgang in die Stadt.

Der Roman ist im Original bereits 1988 erschienen; doch auch heute ist das Buch der Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels von 2021 immer noch lohnend und trägt zum besseren Verständnis Afrikas bei. Gewünscht hätte ich mir ein erweitertes Glossar, um leichter in die afrikanischen Begriffe und Vorstellungswelten hineinzukommen.

Tsitsi Dangarembga: Aufbrechen, Orlanda Verlag 2019, 280 Seiten, ISBN 978-3-944666600 Preis: 22,00 Euro.