Das Damengambit


Walter Tevis: Das Damengambit

Walter Tevis:

Das Damengambit

Lohnt es sich heutzutage noch, ein Buch von 1983 zu besprechen, das bereits in einer Netflixserie Ausdruck gefunden hat? JA, unbedingt! Ich scheue Klassiker grundsätzlich nicht, wenn sie inhaltlich und sprachlich über sich selbst, Zeit und Raum hinausweisen. Und Walter Tevis (1928-1984) schaffte mit dem Roman „Das Damengambit“ genau dies: Er führte mich mitten hinein in den fulminanten Aufstieg des hochbegabten Mädchens Beth, in höchste, von Männern besetzte, internationale Schach-Welten.

Schmerzhafter Spagat

Es hätte ein wunderbares Märchen werden können. Es hätte eine gelungene Emanzipationsgeschichte werden können. Es wurde ein ur-menschliches, tragisch-schönes Psychogramm eines Entwicklungsprozesses, in dem ein Mädchen einerseits großartig werden darf und andererseits klein und gefangen bleibt in sich selbst, in seiner aufgezwungenen Einsamkeit, nur in der Schachwelt scheinbar mit sich im Reinen. Beth erträgt diesen schmerzhaften „Spagat“ nur mithilfe von „kleinen grünen Pillen“ und Alkohol.

(Eliza)Beth Harmon wächst als Waise in einem autoritär und gefühlskalt geführten Kinderheim auf, wie alle dort medikamentös „ruhiggestellt“. Ein Licht im Dunklen wird der Hausmeister, der im Keller einsam Schach mit sich selber spielt, ihr dann aber die Grundlagen dieses Spiels beibringt und schnell Beths außergewöhnliche Begabung erkennt und fördert, bis ihr das Schachspiel von der Heimleitung offiziell untersagt wird. In ihrer Gedankenwelt entwickelt sie die Begabung in den Folgejahren aber weiter, spielt genial Schachpartien mit und gegen sich selbst im Kopf, verkopft zunehmend.

Steter Kampf gegen Angst und Ohnmacht

Zwischenmenschliche Beziehungen verarmen, bleiben oberflächlich, können nicht wirklich als heilsam integriert wahrgenommen werden. Gelingendes Leben heißt für Beth: Jede Schachpartie muss gewonnen werden! Nur dann spürt sie Genugtuung, nur dann ist sie wer. Ein steter Kampf gegen Angst und Ohnmacht, ein steter Kampf gegen die betäubende Sucht. Ihre reale Schachkarriere ist ein „Damengambit“ – e i n möglicher Weg (nicht nur) der Schachspiel-Eröffnung. Ob Beth ihn letztlich auch im übertragenen Sinne für sich als Frau, als Mensch erkennt/geht …

Fazit

Ich kenne Ziel und ein paar Grundregeln des Schachspiels. Das reichte aber vollkommen, um mich auch symbolsprachlich von der Spannung jeder detailliert beschriebenen Schachpartie fesseln zu lassen. Damit steht fest, dieses Buch mag nicht nur einmal gelesen werden – dafür ist die Vielschichtigkeit von möglichen Schach-Zügen der verschiedenen Schachfiguren, dafür sind Menschen und ihre individuellen Entwicklungswege, viel zu komplex, viel zu überraschend. Eben oft nur s c h e i n b a r ausweglos, weil, bei genauerem Hinsehen, dann doch möglich!

Walter Tevis, „Das Damengambit“, Diogenes-Verlag, 416 Seiten, ISBN 978-3-257-07161-0, Preis: 24,00 Euro.


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