Markus Weber über „Das Haus“

Markus Weber über „Das Haus“

Monika Maron:

Das Haus

Was tun, wenn das Erwerbsleben hinter einem liegt und sich neue Horizonte eröffnen? Wie soll es nun weitergehen, was liegt noch vor einem? Da eröffnen sich grundsätzliche Fragen nach dem Leben, nach neuen Möglichkeiten, aber auch nach Krankheit und Tod. Aber das sind ja auch Fragen, die schon in früheren Lebensphasen gelegentlich aufkommen.

Katharina hat ein Gutshaus hundert Kilometer nördlich von Berlin in einem kleinen Dorf geerbt. Sie plant eine Alters-Wohngemeinschaft – ein Besucher spricht spöttisch vom Gnadenhof. Ganz unterschiedliche Menschen treffen hier aufeinander, manche begeistert und voller Enthusiasmus, andere skeptisch und mit dem Ziel, bald wieder weg zu sein.

In der Gestaltung dieses neuen Lebensabschnitts erleben diese Menschen aus der Distanz, dennoch mitbangend die Ereignisse des Jahres 2020. In ihren Gesprächen nähern sie sich den großen und den alltäglichen Herausforderungen und einander. Sie tauschen sich aus, diskutieren und streiten über Persönliches wie Liebe, Glück und Schmerz, aber auch über die globalen Herausforderungen wie den Klimawandel, der durch einen Waldbrand in der Nähe des Dorfes, in dem sie leben, nahekommt.

Monika Maron erzählt die Geschichte gekonnt und mit großer Leichtigkeit, dennoch vermag sie es, den Themen eine Tiefe zu geben, die anregend ist.

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Monika Maron: Das Haus. Roman, Verlag Hoffmann und Campe 2023, ISBN 978-3455016420, 240 Seiten, 25,00 Euro.

Markus Weber über „Zwischen Welten“

Markus Weber über „Zwischen Welten“

Juli Zeh / Simon Urban:

Zwischen Welten

Schon in ihren vorhergehenden Romanen hat Julie Zeh hintersinnige Titel gefunden, was ihr auch mit dem neuen, Anfang 2023 erschienenen Roman „Zwischen Welten“ gelungen ist, den sie gemeinsam mit Simon Urban verfasst hat. Zwei Autoren (oder müsste ich Autor*innen schreiben?), das passt zur Form des Romans, der an die klassische Form des Briefromans anknüpft, aber sich heutiger Medien bedient.

Eine schwierige Ausgangsposition: Stefan und Theresa hatten zwanzig Jahre zuvor in Münster studiert und in einer Wohngemeinschaft gelebt, nach langen Jahren ohne Kontakt wurde ein zufälliges Treffen zum Desaster, doch nun nehmen sie erneut freundschaftlich Kontakt auf, ohne sich gegenseitig zu schonen. E-Mails und WhatsApp-Nachrichten gehen hin und her.

Der Ton wird immer wieder schärfer, wie häufig in den „sozialen“ Medien“. Völlig unterschiedliche Lebenswelten prallen aufeinander. Da ist der erfolgreiche Journalist in Hamburg, der sich an vorderster Front des Fortschritts wähnt, auf der einen Seite und die Chefin eines landwirtschaftlichen Betriebes in Brandenburg, um dessen Überleben sie kämpft, auf der anderen Seite.

Beide ringen in ihren Nachrichten um gegenseitiges Verständnis. In einigen Kritiken zum Roman wurde moniert, die Protagonisten seien nur Pappkameraden ohne Leben. Ich habe das nicht so erlebt. Ich habe mich angesichts der Auseinandersetzungen der beiden immer wieder gefragt, wie das Gespräch und die Beziehung weitergehen könnte – und ob es überhaupt weitergehen kann angesichts der Themen, um die gestritten wird: Klimakatastrophe, fake news, Verschwörungserzählungen, Diffamierung von Gegnern – über den Zustand der Welt insgesamt. Um all das also, worum es auch in den gesellschaftlichen Debatten geht, bei denen die unterschiedlichen Meinungen sich verfeinden und abkapseln, statt in Dialog miteinander zu treten.

Dagegen schreibt Theresa an: „Ich finde es großartig, dass wir gelernt haben, über empfindliche Themen zu sprechen, ohne uns digital anzuschreien.“ Und so hofft man bis zum Schluss, dass Stefan und Theresa dieser Dialog gelingt. Und natürlich, dass er uns allen gelingt.

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Juli Zeh / Simon Urban: „Zwischen Welten“, Luchterhand 2023, 448 Seiten, ISBN 978-3630877419, Preis 24,00 Euro.

Markus Weber über „Asterix – Die weisse Iris“

Markus Weber über „Asterix – Die weisse Iris“

Fabcaro/Conrad:

Die weisse Iris

(Asterix Band 40)

Einen Literaturtipp für ein Comic-Heft? Selbstverständlich, denn inzwischen gehören die Asterix-Hefte, seit sie 1959 in Frankreich zuerst erschienen sind, zum festen Kanon. In vielen Sprachen sind sie erschienen. Sogar im Lateinunterricht werden sie gelesen. In diesem Jahr in der 40. Band erschienen. Und auch auf den Feuilleton-Seiten der ZEIT oder der Süddeutschen Zeitung finden sich Besprechungen.

In meiner Jugendzeit gehörten die jeweils neuen Hefte zum Pflichtprogramm. Manche Sprüche aus den Heften gehörten zum guten Ton unserer Unterhaltungen. Inzwischen war meine Begeisterung ein wenig erlahmt. Nach verschiedenen positiven Hinweisen habe ich mir den neuesten Band gekauft und mal wieder mit Freude gelesen.

Wie immer bestehen die alten Konstellationen zwischen Römern und dem widerständigen gallischen Dorf, das sich der römischen Herrschaft nicht beugen will. Doch Visusversus, der Leibarzt von Cäsar, bringt auf beiden Seiten einiges durcheinander. Positives Denken, Achtsamkeit und gesunde Ernährung werden als Waffen eingesetzt, um die Römer zu stärken und die Gallier zu besiegen. Die neue Strategie scheint aufzugehen …

Vielleicht bleibt nach der Lektüre der ein oder andere Spruch, um ihn bei passender Gelegenheit einzusetzen. Wie wäre es mit „Die Blüte einer einzigen Iris erleuchtet den Wald“ – oder „Kanalisiere deine Emotionen und verwandle sie in eine konstruktive Kraft“?

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Fabcaro (Zeichnungen: Diedier Conrad): Die weisse Iris (Asterix Band 40), Egmont Verlag 2023, 48 Seiten, ISBN 978-3770424405, Preis: 13,50 Euro.

Markus Weber über „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“

Markus Weber über „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“

Rafik Schami:

Wenn du erzählst, erblüht die Wüste

„Erzählen ist Leben, und Schweigen gleicht dem Tod“, schreibt Rafik Schami am Ende seines neuen Buchs. So wunderbar wie der Autor erzählt, glaubt man ihm das gerne – ebenso wie man ihm glaubt, dass Geschichten heilen helfen oder die Wüste erblühen lassen. Der in Damaskus geborene Autor, der seit mehr als 50 Jahren in Deutschland lebt, hat alte orientalische Geschichten neu für westliche Leser*innen erzählt und im Roman zu einem stimmigen Ganzen gefügt.

Der Kaffeehauserzähler Karam musste vor der Verfolgung aus seiner Heimat fliehen, weil er den dortigen Herrscher kritisiert hatte, und kommt in das Land Sitt Hudud, wo der gerechte König Salih regiert. Hier können alle Menschen frei leben und reden. Doch ist Jasmin, die Tochter des Königs, krank. Kein Arzt kann helfen. Karam spürt, dass ihr Geschichten helfen können, wieder ihre Sprache und zu sich selbst zu finden.

So organisiert er mit Zustimmung des Königs zehn Abende im Schloss, an denen das Volk zusammenkommt und Geschichten hört und erzählt. Es kommen ganz unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Schichten zu Wort: Männer und Frauen, Muslime, Christen und Juden erzählen frei und gleichberechtigt ihre Geschichten. Jeder Abend steht unter einem anderen Motto: Von Gaunern, Lügnern und deren Widersachern – Von Mut und Feigheit – Von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit – Von der Liebe und der blühenden Wüste …

Ungerechte Herrscher und Gewalt werden kritisiert, die klugen und menschenfreundlichen Kräfte können letztlich siegen. Denn: „Die List, Tochter der Vernunft, besiegt die Gewalt, Tochter der Dummheit“. So spricht Rafik Schami mit seinen orientalischen Geschichten mitten hinein in unsere Zeit.

Rafik Schami: „Wenn du erzählst, erblüht die Wüste“, Hanser-Verlag 2023, 476 Seiten, ISBN 9783446277465, Preis: 26,00 Euro

Markus Weber über „Gewässer im Ziplock“

Markus Weber über „Gewässer im Ziplock“

Dana Vowinckel:

Gewässer im Ziplock

Dana Vowinckel, 1996 geboren, ist eine wunderbare Erzählerin. Ihr erster Roman „Gewässer im Ziplock“ lässt uns an der Geschichte des Erwachsenwerdens der 15-jährigen Margarita teilhaben. Die Sommerferien verbringt sie in Chicago bei den Eltern ihrer amerikanischen Mutter, die sie und ihren Vater früh verlassen hat und die sie nun nach Jerusalem einlädt, um gemeinsam Israel zu bereisen, während ihr Vater in Berlin geblieben ist.

Die Erzählung wechselt zwischen den Perspektiven Margaritas, die in Berlin ein jüdisches Gymnasium besucht, und ihres Vaters Avi, der als Kantor in einer jüdischen Gemeinde arbeitet. Es ist eine Geschichte über die Suche der 15-jährigen nach ihrer eigenen Identität, der Entdeckung ihrer Sexualität, der Enttäuschungen und des Liebeskummers.

Vor allem aber ist es eine Geschichte der Zerrissenheit zwischen den Elternteilen, Ländern, Kulturen, Sprachen und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit innerhalb der verschiedenen Welten. Am Beispiel von Avi, der in seinem Gesang gläubig ist, ohne frömmlerisch zu sein, wird auch der kulturelle und religiöse Reichtum deutlich – an Margarita ist es eine Einladung ohne Zwang.

Nur am Rande wird auch deutlich, wie zwiespältig die deutsche Mehrheitsgesellschaft jüdischen Menschen und Israel gegenübersteht. Die ungewohnte Erzählperspektive stellt unsere Sicht – ohne zu moralisieren – infrage. Letztlich ist es auch eine Einladung zu neuen Sichtweisen ohne Voyeurismus.

Man „muss wirklich nicht neidisch auf die großen amerikanischen Familienromane schielen, wenn es eine solche Erzählerin in deutscher Sprache gibt“, schreibt Marie Schmitt zurecht in ihrer Rezension in der Süddeutschen Zeitung.

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Dana Vowinckel: „Gewässer im Ziplock“, suhrkamp nova 2023, 362 Seiten, ISBN 978-3518473603, Preis: 23,00 Euro.

Markus Weber über „Der 9. November“

Markus Weber über „Der 9. November“

Bernhard Kellermann:

Der 9. November

Mit seinem Roman „Der 9. November“ landete der Schriftsteller Bernhard Kellermann 1920 den ersten Bestseller der jungen Weimarer Republik. Und völlig zurecht ist er in diesem Jahr wieder neu aufgelegt worden. Der 9. November, den wir inzwischen zumeist mit anderen Ereignissen des 20. Jahrhunderts assoziieren, ist der Tag der Revolution 1918, an dem der Kaiser als abgedankt erklärt wurde und die Republik ausgerufen wurde.

Anders als ich erwartet hatte, schildert Kellermann in seinem Roman nun nicht die Ereignisse des Revolutionstages und seiner Folgen. Vielmehr zeigt er beginnend mit dem Anfang des Jahres 1918 vor allem auf, wie dringend erforderlich Veränderungen in Deutschland und Europa waren. Wie dringend der Krieg angesichts der Leiden der Soldaten und der Not der Zivilbevölkerung beendet werden musste. Und wie dringend die alte monarchische Ordnung durch eine neue demokratische Ordnung ersetzt werden musste.

Für all das findet Kellermann sehr eindringliche Bilder, wobei historische Realität und Traumbilder, die aus dem Schrecken geboren werden, nicht immer unterscheidbar sind. Die Geschichte rankt sich insbesondere um die Figur des Generals von Hecht-Babenberg. Für ihn war die Welt „bevölkert von Wesen, die in Uniformen gekleidet waren und mit einer Salve ins Grab gelegt wurden. … Sie waren mit einem Wort Soldaten, Werkzeug in der Hand der Starken dieser Erde …“ Alle anderen Figuren sind auf die ein oder andere Weise mit dem General verbunden.

Für mich war es kein Buch, das ich in einem Rutsch und ohne Unterbrechung durchlesen konnte. Zum Teil habe ich mir nur kleine Stücke zugemutet. Dennoch oder gerade deshalb ist es ein lohnenswertes Buch, zumal die Institution des Krieges auch mehr als hundert Jahre später nicht abgeschafft wurde. Das Buch ist vor allem ein „beschwörender Aufruf zu Humanität und Völkerverständigung“, wie es auf dem Klappentext heißt.

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Bernhard Kellermann: Der 9. November. Roman, wbg Theiss 2023, ISBN 978-3806246179, 448 Seiten, Preis: 28,00 Euro

Markus Weber über „Blaupause“

Markus Weber über „Blaupause“

Theresia Enzensberger:

Blaupause

Voller Hoffnungen und Träume geht Luise Schilling 1921 ans Bauhaus in Weimar, um Architektin zu werden. „Ich will die Zukunft bauen und die Vergangenheit abreißen“ – so lautet ihr Lebensmotto. In Weimar begegnet sie den berühmten Künstlern, die das Bauhaus prägen: Gropius, Itten, Kandinsky, Klee. Schwärmerisch schließt sie sich der esoterisch angehauchten Studentengruppe um den Farbtheoretiker Johannes Itten an, die sich mit eigenen Regeln und Riten von anderen abgrenzen.

Doch sie merkt bald, dass sie mit ihren Vorstellungen an Grenzen stößt. Selbst am fortschrittlichen Bauhaus ist es für sie als Frau eigentlich nicht vorgesehen, die Holzwerkstatt und die Architektenklasse zu besuchen. Auch am Bauhaus herrschen die gesellschaftlichen Vorurteile gegen Frauen vor. So muss sie für ihre Vorstellungen kämpfen. Die Eltern beordern sie zurück nach Berlin. Erst nach einem Bruch mit der Familie kann Luise ihr Studium schließlich am Bauhaus in Dessau fortsetzen und das Diplom in Architektur machen.

Nicht nur die künstlerischen Ambitionen des Bauhauses und dessen Beschränkungen werden deutlich, auch grundsätzliche Fragen stellen sich: „Ein neuer Mensch, das war das Ziel. Bewegt und geprägt durch die neuen Formen, die ihm umgeben. Aber wie soll das möglich sein, wenn diese Formen doch immer nur von alten Menschen mit all ihren Fehlern und Mängeln geschaffen werden können?“ Das Zusammenleben der Studierenden ist zudem beeinflusst durch die Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik und die Skepsis der Gesellschaft gegen die Moderne: Freigeister, Kommunisten und Nationalsozialisten treffen aufeinander.

So ist Theresia Enzensberger mit ihrem Debut ein toller Roman gelungen, der nicht nur das Bauhaus in all seiner Vielschichtigkeit und die Leichtigkeit studentischen Lebens zeigt, sondern auch die politisch-gesellschaftliche Atmosphäre der Weimarer Republik mit ihren Widersprüchen lebendig werden lässt.

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Theresia Enzensberger, Blaupause. Roman, dtv Verlagsgesellschaft 2019, 256 Seiten, ISBN 978-3423146715, Preis: 12,00 Euro.

Eine kleine Zugabe für Bad Harzburger: Auf dem Cover-Foto aus dem Jahr 1927, das für das Buch koloriert wurde, ist in der oberen Reihe links Georg Gross, Bruder des Harzburger Textilhändlers Felix Gross, zu sehen, der am Bauhaus studierte und sich nach seiner Auswanderung nach Palästina Schlomo Ben-David nannte. Ein ausführlicher Text zur Familiengeschichte findet sich im Uhlenklippen-Spiegel Nr. 137 / Mai – August 2023.

Markus Weber über „Das Schloss der Schriftsteller“

Markus Weber über „Das Schloss der Schriftsteller“

Uwe Neumahr:

Das Schloss der Schriftsteller

Von November 1945 bis Oktober 1946 fand in Nürnberg gegen führende Repräsentanten des NS-Staates der Hauptkriegsverbrecherprozess statt. Die drei Siegermächte USA, Sowjetunion und Großbritannien wollten gemeinsam mit Frankreich diejenigen öffentlich anklagen und zur Verantwortung ziehen, die für den Weltkrieg und Verbrechen gegen die Menschheit verantwortlich waren.

Dieser Prozess wird aus einer interessanten Perspektive betrachtet, nämlich aus derjenigen der Journalisten, Reporterinnen und Schriftsteller, die hier zusammengekommen waren, um zu berichten. Untergebracht waren sie im Schloss der Schreibwarenfabrikanten Faber-Castell, das als „Press Center“ eingerichtet war. So kam hier eine illustre Schar auch international bekannter Persönlichkeiten zusammen – u.a. von Erika Mann über Erich Kästner, Alfred Döblin, John Don Passos, Martha Gelhorn bis hin zu Willy Brandt und Markus Wolf. Sehr einfühlsam ist der Wahrnehmung dieser Persönlichkeiten jeweils ein Kapitel gewidmet, wobei jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden.

So kommt ein sehr vielfältiges Bild zustande, das nicht nur von den jeweiligen politischen Standorten, sondern auch den nationalen Haltungen und Vorgaben geprägt ist. Man bekommt einen Eindruck von den beginnenden Spannungen zwischen den Siegermächten und dem Kalten Krieg.

Leider kommt die sowjetische Sicht nur recht kurz zum Tragen. Dennoch wird nicht nur der Prozess in aller widersprüchlichen Bewertung beleuchtet, sondern auch die Persönlichkeiten der Angeklagten – von Faszination bis Abscheu.

Und das Buch bietet ebenso einen Blick auf das zerstörte Nürnberg und auf Nachkriegsdeutschland. Die Kontroversen sind eindrücklich aufgezeigt, beispielhaft an den Geschwistern Mann: Während Erika nach der Exilszeit den Deutschen unversöhnlich gegenübersteht, setzt sich ihr Bruder Golo in den 80er Jahren für die Freilassung von Rudolf Hess, dem Stellvertreter Adolf Hitlers, ein.

Ein sehr lesenswertes Buch!

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Uwe Neumahr: Das Schloss der Schriftsteller. Nürnberg ’46. Treffen am Abgrund, Verlag C.H. Beck 2023, 304 Seiten, ISBN 9783406791451, Preis: 26,00 Euro.

Markus Weber über „Erwarte von mir keine frommen Sprüche“

Markus Weber über „Erwarte von mir keine frommen Sprüche“

Stephan Wahl:

Erwarte von mir keine frommen Sprüche

Stephan Wahl, katholischer Geistlicher, der heute in Jerusalem lebt, legt mit diesem Buch kraftvolle Gebetstexte vor. Sie sind entstanden in Auseinandersetzung mit Themen und Problemen, die uns heutige Menschen bewegen oder auch quälen. Geschult sind die Texte an den biblischen Psalmen, der „Ur-Gattung der hebräischen Poesie“ (Wilhelm Bruners im Vorwort des Buches).

Oft sind konkrete Ereignisse wie die Flut im Ahrtal 2021 oder der Krieg in der Ukraine Ausgangspunkt der Texte. Nichts wird beschwichtigt oder verharmlost. Schmerz, Wut, Trauer, Klage und Anklage werden unbeschönigt zum Ausdruck gebracht. So sind die Gebete eine Auseinandersetzung mit Gott, der herausgefordert wird, und mit grundsätzlichen Menschheitsfragen, vor allem der großen, unlösbaren Frage nach dem „Warum“.

Gerade weil der Autor den schweren Fragen nicht ausweicht und keine vorschnellen Antworten gibt, können die Texte auch glaubwürdig Lob und Dank in Worte fassen. Auf diese Weise können sie Hilfen für den Leser sein, das zur Sprache zu bringen, was ihn existentiell betrifft. Wer Gott und unsere Welt mit all den Schwierigkeiten ins Gespräch miteinander bringen möchte, findet hier viele Anregungen. In diesem Sinne sind die Texte Ermutigung zum Leben.

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Stephan Wahl: „Erwarte von mir keine frommen Sprüche. Ungeschminkte Psalmen“, Echter Verlag 2022, 112 Seiten, ISBN 978-3429058012, Preis: 14,90 Euro.

Markus Weber über „Susanna“

Markus Weber über „Susanna“

Alex Capus:

Susanna

„Da war dieses Mädchen. Ich wünschte, ich wäre schon auf der Welt gewesen, als sie dem Pferdeknecht Anton Morgenthaler, der doppelt so groß, dreimal so breit und fünfmal so schwer war wie sie, in einem Akt entschlossener Notwehr mit dem rechten Zeigefinger das linke Auge ausstach.“ So beginnt der wunderbar erzählte Roman über Susanna Faesch, der uns mit vielen Überraschungen an unterschiedliche Orte und zu verschiedenen Ereignissen im 19. Jahrhundert führt.

Schon die Beschreibung Basels, in dessen calvinistischer Enge und Strenge Susanna aufwächst, zeigt anschaulich, warum sie zusammen mit ihrer Mutter ausbrechen muss, um nicht dem von Traditionen und Pflichten geprägten Alltag, in dem nichts Neues zu erwarten ist, zu erstarren. Auch jenseits des Atlantiks bleibt Susanna offen für neue Erfahrungen, es gelingt ihr selbstbestimmt zu leben, was auch hier für Frauen nicht selbstverständlich ist.

So erleben wir mit Susanna, wie technische Erneuerungen das Leben verändern und revolutionieren und Fluch und Segen dicht beieinander liegen. Die Leser*innen können das zum Beispiel hautnah miterleben bei der Eröffnung der Brooklyn Bridge am 24. Mai 1883. Während der Osten der USA industrialisiert und elektrifiziert wird, kämpfen die Ureinwohner des Kontinents ums Überleben. Auch in deren Territorium führt uns der Weg Susannas. So wird das Buch zum Erlebnis.

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Alex Capus: Susanna, Hanser, 288 Seiten, ISBN 9783446273962, Preis: 25,00 Euro.