Markus Weber über „Hindenburg auf dem Kyffhäuser“

Markus Weber über „Hindenburg auf dem Kyffhäuser“

Matthias Steinbach:

Hindenburg auf dem Kyffhäuser

Wie wollen und können wir mit Hinterlassenschaften der deutschen Vergangenheit, die nicht ins demokratische Wertesystem zu passen scheinen, umgehen? Dieser Frage geht Matthias Steinbach, Professor für Geschichte in Braunschweig, am Beispiel des Kyffhäuser-Denkmals und speziell des dort 1939 von den Nazis aufgestellten Hindenburg-Denkmals nach. Zwischenzeitlich war das Denkmal von den Sowjets gestürzt und vergraben worden, heute liegt die wieder freigelegte Statue im Graben der Kyffhäuser-Anlage – quasi wie Schneewittchen im gläsernen Sarg.

Steinbach geht der Geschichte Hindenburgs intensiv und detailliert nach, behandelt seine wechselvollen Rollen im Ersten Weltkrieg als „Sieger von Tannenberg“, als schillernde Identifikationsfigur in der Weimarer Republik und zuletzt als „Steigbügelhalter Hitlers“. Immer waren Tatsachen mit Mythen verbunden. Steinbach verfolgt Tatsachen und Mythen kreuz und quer durch die Geschichte.

Selbstverständlich bezieht er Erkenntnisse und Kontroversen der Geschichtswissenschaften in seine Darstellung ein. Ungewöhnlich ist die Darstellung dagegen in anderer Hinsicht. So reflektiert er seine eigenen Erfahrungen als Schüler, Student und NVA-Soldat in der DDR und bezieht diese ebenso ein wie die Befragung unterschiedlichster Personen wie etwa des Kiosk-Betreibers auf der Kyffhäuser-Anlage, wobei auch Anekdotisches Bedeutung bekommt. Dabei zeigt sich, wie die Person Hindenburgs ebenso wie das Denkmal und deren Wahrnehmung von den unterschiedlichsten Interessen benutzt wurde.

Gerade das Sperrige dieser Vorgehensweise ist spannend. Nichts wird letztlich geglättet. Hinzu kommt immer wieder die Einbeziehung grundlegender Einsichten von Dichtern und Philosophen, die auf den konkreten Fall bezogen werden. Nicht allem muss man dabei zustimmen – etwa: Führen Utopien immer zu Gewalt? – aber immer sind die Aussagen anregend und nachdenkenswert, gerade weil unterschiedlichste und subjektive Perspektiven zur Sprache kommen.

Steinbach erinnert daran, „dass immer die jeweilige Gegenwart der Ort ist, wo die Irrtümer beginnen“. Wer zu solchen Gedankengängen und auch Wortspielen Lust hat und sich für Geschichte interessiert, dem sei das unterhaltsame Buch empfohlen.

Matthias Steinbach: Hindenburg auf dem Kyffhäuser oder Wie entsorgt man deutsche Geschichte?, Mitteldeutscher Verlag Halle (Saale) 2024, 220 Seiten, ISBN 978-3963119224, Preis: 20,00 Euro.

Ein Nachsatz zu Bad Harzburg:

Vielleicht kann ja das Buch auch Anregung sein, über die Umbenennung des Westrings 1933 unmittelbar nach der „Machtergreifung“ in Hindenburgring nachzudenken. Der Verfasser der Stadtchronik, Kurt Neumann, hatte seit vielen Jahren immer wieder eine offene Debatte darüber gefordert und eine Umbenennung der Straße in den Raum gestellt. Bisher war das nie zustande gekommen.

Autorenduo lädt zu modernen „Eulenspiegeleien“ ein

Bäckerklint in Braunschweig 1906 mit Eulenspiegelbrunnen, Mummehaus und Eulenspiegelhaus. Ausschnitt aus einem Aquarell von Emil Limmer. Foto: Wikipedia (gemeinfrei)

„Eulenspiegels Rückkehr“ führt auch nach Bad Harzburg

Einem Narren, der gewitzt gerade auch die Region um Braunschweig und Schöppenstedt zum Narren hielt, widmen sich der Sprachwissenschaftler Prof. Alexander Schwarz und der Braunschweiger Historiker Prof. Matthias Steinbach bei einer Lesung am Mittwoch, 13. November 2024, in der BÜCHER-HEIMAT in Bad Harzburg. Das Autorenduo widmet sich in dem im Herbst erscheinenden Buch „Eulenspiegels Rückkehr – ungefähr 96 Seiltänze“.

Worum es im Buch und an dem Abend in der BÜCHER-HEIMAT geht, beschreiben die Eulenspiegel-Experten in der „Vorrede“ zu ihrem Werk, dem sie ein Karl Valentin-Zitat voran stellen: „Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische“:

„Eigentlich wollten wir Eulenspiegel zu neuem Leben erwecken. Doch hat sich der Narr, man hätte es wissen können, diesem Anliegen durch strikte Verweigerung entzogen. Er verwandelte sich, wie er wollte. Entstanden ist so eine Anthologie, die aus heutiger Sicht Gestalten, Bilder, Texte und Orte eulenspiegelesker Formen und Praktiken präsentiert. Die Widersprüchlichkeit zwischen den einzelnen Kapiteln soll jeden Eindruck des sich Festlegens oder Sagenwollens, wie es wirklich gewesen ist, verhindern. Eulenspiegel gibt es nicht, aber er hat viele Kinder. So zumindest sagen es die Möllner. Er und seinesgleichen existieren eher im Status des Wahrscheinlichen. Sie leben mehr im Geist als in der Wirklichkeit. Nur so erklärt sich ihre Unsterblichkeit, nur so wird ihr immer neues, anderes Auftreten angesichts fragwürdiger Zustände verständlich.

Das Ursprungsmotiv ist ein Buch, das zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Straßburg erscheint: Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel geboren vß dem land zů Brunßwick. Wie er sein leben volbracht hatt. 96 seiner geschichten. Verfasst „nur allein, um ein fröhlich Gemüt zu machen in schweren Zeiten“, wird es rasch zum internationalen Erfolg, der bis heute anhält. Sicher haben mindestens 96 Schriftsteller, Zeichner, Maler, Bildhauer, Komponisten, Tänzer und Forscher jeglichen Geschlechtes Eulenspiegel als Inkarnation sozialer wie methaphysischer Clownerie und Narretei weitergegeben und mit immer neuen Deutungen ausgestattet. Diese sagen viel über die Interpreten selbst und spiegeln den jeweiligen Zeitgeist. Oft knüpfen sie an die alten Historien an, an Orte, wo Till immer schon sein Unwesen getrieben hat und die bis heute sein Andenken pflegen. Selbstverständlich ist Eulenspiegel nicht der einzige Vertreter seiner Art oder Unart: In vielen Gegenden der Welt und zu allen Zeiten gab es reale oder erfundene menschliche, tierische und dämonische Verwandte archetypischen Andersseins – freche Geister, die der großen Geschichte mit subtiler Geringschätzung und feiner Ironie begegneten.

Aus alledem ist die Idee entstanden, ungefähr 96 Personen zu einem kurzen Beitrag – das war die einzige Bedingung – über eine derartige Verkörperung einzuladen. Wir haben uns über jeden Text gefreut und nichts wegzensiert. Denn stellen Sie sich vor, Eulenspiegel selbst hätte offen oder versteckt an diesem Unternehmen teilgenommen? Wie bei dessen unsichtbarem Gemälde bleiben einige mögliche Kapitel leer. Nur wo wir ein Fehlen gar nicht aushalten konnten, haben wir das Eine oder Andere selbst nachgeliefert, bitten Eulenspiegel dafür um Entschuldigung und hoffen jetzt heimlich auf seine Rache.“

Bis zu ihrer Lesung in der BÜCHER-HEIMAT jedoch mögen Alexander Schwarz und Matthias Steinbach von allen Rachegelüsten verschont bleiben.

Mittwoch, 13. November 2024, 19.00 Uhr, BÜCHER-HEIMAT
Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten
Anmeldung in der BÜCHER-HEIMAT,
Telefon  (05322) 9059599 | Mail: info@die-buecherheimat.de

Neues zur BÜCHER-HEIMAT on Tour

Neues zur BÜCHER-HEIMAT on Tour

Begeisterter Rückblick und gute Aussichten

Die „BÜCHER-HEIMAT on Tour“ hat sich etabliert – so viel kann man schon nach der ersten Projektfahrt in die Grimm-Welt in Kassel feststellen. Bei einer Nachbesprechung der von Petra Nietsch und Dr. Jutta Nowack organisierten Tour schwelgten die Teilnehmer nicht allein in Erinnerungen, es sprudelten auch Ideen für die nächsten literarischen Reisen.

Im Rückblick auf die Grimm-Welt reichte die Begeisterung von der Architektur des Gebäudes bis zur multimedialen Darstellung der so weiten Welten der Brüder Grimm. Für etliche Teilnehmer*innen war das Wirken der Grimms rund um das Deutsche Wörterbuch und die Germanistik eine (Wieder-) Entdeckung, denn im allgemeinen Bewusstsein dominieren eindeutig die Märchen…

So weit gefächert wie das Angebot der Grimm-Welt waren dann auch die „Lieblingsstücke“ der Mitreisenden aus Bad Harzburg: Ai Weiweis Kunstwerk, das die Wurzeln der Sprache symbolisiert, stand da neben den beeindruckenden Dioramen oder auch den Schriftstücken, die die Grimms zur Paulskirchen-Verfassung 1848 beisteuerten.

Vor allem aber dankten alle Kassel-Fahrer*innen den Organisatorinnen dafür, dass die Tour mehr als nur „hinfahren, ansehen, wegfahren“ war. Sowohl die stressfreie und informative Tour selbst gehörte wie die gemeinsame Nachbesprechung zum hoch gelobten Gesamtpaket.

Und an solchen Paketen für die „BÜCHER-HEIMAT on Tour“ wird nach der Runde in Bad Harzburg bereits wieder gebastelt. So soll es am 31. Mai eine literarische Führung durch Wolfenbüttel auf den Spuren der Dichter und Denker geben, die in dieser Stadt lebten. Inklusive eines Abstechers in das Lessing-Haus.

Zusammen mit Prof. Matthias Steinbach, der am 5. Juli bereits zum zweiten Mal zu einer Lesung in der BÜCHER-HEIMAT zu Gast sein wird, ist eine weitere Reise in Vorbereitung. Dabei kann dem „Fall Hodler“, einem der größten Kunstskandale des deutschen Kaiserreichs, in Jena nachgespürt werden. Die Fahrt schließt damit inhaltlich unmittelbar an die Steinbach-Lesung an und soll Ende Juli oder im August realisiert werden.