Unverfügbarkeit

Unverfügbarkeit

Hartmut Rosa:

Unverfügbarkeit

Gelegentlich lasse ich mich gerne anregen, um über grundlegende Fragen menschlichen Lebens nachzudenken. Der Soziologe Hartmut Rosa hat es mit seinem kleinen Buch „Unverfügbarkeit“ geschafft, mir solche Anregungen zu geben. Für ihn gehört es zum individuellen und gesellschaftlichen Leben, dass Wesentliches der Verfügbarkeit entzogen ist und um der Lebendigkeit willen auch bleiben muss. An Alltagserfahrungen wie dem Schneefall oder dem Fußballspiel zeigt er das auf: „Eine Welt, die vollständig gewusst, und beherrscht wäre, wäre eine tote Welt.“

In der europäischen Moderne aber sieht er ein Projekt, das den Versuch unternimmt, die gesamte Welt – Mensch und Natur – verfügbar zu machen, zu kontrollieren und nutzbar zu machen. Von der Geburt bis zum Tod soll alles planbar und beherrschbar werden. Das führt jedoch in seinen Augen gerade nicht zu einem besseren Leben, sondern zu neuen Bedrohungen und nicht beherrschbaren Situationen, wie an Naturkatastrophen als Folge menschlicher Eingriffe oder der Unbeherrschbarkeit der Atomkraft ablesbar ist.

Neben der begrifflichen Anstrengung , die das Buch zuweilen verlangt, gibt Rosa schöne Beispiele, wo uns die Unverfügbarkeit begegnen kann und die Faszination für verschiedene Dinge wichtig bleibt – im Hören von Musik, im Lesen eines Buches, im Blick in ein menschliches Antlitz – , sofern wir dafür offen bleiben.

Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit, Suhrkamp Taschenbuch 2020, 130 Seiten, ISBN 978-3518471005, Preis: 10,00 Euro

Hush – Verbotene Worte

Hush – Verbotene Worte

Dylan Farrow:

Hush – Verbotene Worte

Shae lebt in einem Land, in dem das geschriebene Wort gefährlich werden kann, denn die Tinte kann zu einer todbringenden Krankheit führen. Nur die Barden können diese Macht kontrollieren. Seit ihr Bruder an der Krankheit gestorben ist, merkt Shae, das mit ihr etwas nicht stimmt, und hat die Befürchtung, selber von der Krankheit befallen worden zu sein. Als eines Tages die Barden in ihr Dorf kommen, passiert etwas, was ihr ganzes Leben verändert und sie macht sich auf die Suche nach Antworten…

Hush ist ein toller Fantasyroman, womit man viele schöne Lesestunden verbringen kann. Die Protagonistin entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einer starken, jungen Frau, die bereit ist für sich und ihre Freunde zu kämpfen. Das Ende ist offen und macht Lust auf den zweiten Band, den ich auf jeden Fall auch lesen werde.

„Hush – Verbotene Worte“ ist der erste Band einer Dilogie, der zweite Band „Hush – Ende des Schweigens“ erscheint am 09. März. Ein toller Fantasyroman für Jugendliche ab 14 Jahren!

Dylan Farrow: „Hush – Verbotene Worte“, Loewe-Verlag, 416 Seiten, ISBN: 978-3-7432-0516-1, Preis: 19,95 Euro.
Dylan Farrow: „Hush – Ende des Schweigens“, Loewe-Verlag, 400 Seiten, ISBN 978-3-7432-0644-1 , Preis: 19,95 Euro.

Dylan Farrow:

Hush – Ende des Schweigens



Kirchenrebellen

Kirchenrebellen

Christopher Schlicht & Maximilian Bode:

Kirchenrebellen

Wir bringen Leben in die Bude

Es kommt nicht oft vor, dass ich persönlich bekannte Personen im Fernsehen sehe. Schon in den ersten Minuten des Auftritts der beiden Pastoren / Autoren Christopher Schlicht und Maximilian Bode in der NDR-Talkshow war klar: das Buch muss ich lesen.

Die beiden gehen der Frage nach: „Wie müsste sie aussehen – eine Kirche, in der sich möglichst viele Menschen wirklich wohlfühlen?“. Und sie beschreiben in ihrer „Biografie“, wie durch Willenskraft („Aber Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg, sondern gehört zum Prozess dazu. Nur weil etwas neu ist, ist es nicht automatisch gut. Das gilt umgekehrt genauso.“), Überzeugung („Denn wenn du begeistert bist, wirst du andere begeistern.“), Glauben („Manchmal haben Engel keine Flügel, sondern einen Latte macchiato in der Hand.“)  und Mut („Ein liebevoller Rat kann gleichzeitig aufdecken, was schiefläuft, und anspornen, es künftig besser zu machen.“) aus ihren Träumen und Wünschen Wirklichkeit wird: „Wir erleben, dass unserer Träume funktionieren können.“

Das Buch hat mir gefallen, weil es kurzweilig, unterhaltsam und einfühlsam geschrieben ist und zum Nach- und Überdenken alter Strukturen und neuer Möglichkeiten anregt.

Christopher Schlicht & Maximilian Bode: „Kirchenrebellen – Wir bringen Leben in die Bude“, Verlag: bene! 192 Seiten, ISBN: 978-3-96340-194-7, Preis: 18,00 Euro.


Ich habe einen Namen

Ich habe einen Namen


Lawrence Hill:

The Book of Negroes | Ich habe einen Namen

Basierend auf historischen Fakten erzählt der Roman die fiktive Lebensgeschichte von Aminata Diallo, später im Buch meist Meena genannt. Obwohl in Afrika in Freiheit geboren, wird sie nach Amerika verschleppt und als Sklavin verkauft. Vor allem durch ihren starken Willen gelingt es ihr, ihre Freiheit zurückzugewinnen. Die verschiedenen Stationen ihres Lebens, und davon gibt es sehr viele, werden eindrucksvoll geschildert. Aminata ist nicht nur zielstrebig, sondern auch klug. Sie spricht verschiedene afrikanische Sprachen und lernt Lesen und Schreiben. All dies hilft ihr auf ihrem beeindruckenden Weg in die Freiheit, auch weil sie zunehmend den Respekt weißer Amerikaner und Briten gewinnt.

Das Buch ist berührend aufschlussreich, denn es vermittelt auch weniger bekannte Fakten über die Sklaverei. Es besticht durch seine historische Präzision, die aber auch dazu führt, dass die Unmenschlichkeit mit der die Sklaven behandelt wurden, zum Teil sehr detailliert beschrieben werden.

Die Tatsache, dass eine Geschichte, die im 18. Jahrhundert spielt, aus einer weiblichen Perspektive erzählt wird, hat zudem einen besonderen Reiz, zumal der Autor männlich ist.

Lawrence Hill: „Ich habe einen Namen“ (OT: „The Book of Negroes“), DUMONT Verlag (OT: Transworld Publishers), 576 Seiten, ISBN 978-3-8321-6205-4, Preis: 12 Euro


Die Mitternachtsbibliothek

Die Mitternachtsbibliothek

Matt Haig:

The Midnight Library | Die Mitternachtsbibliothek

Nora Seed verliert ihren Job, fühlt sich von allen geliebten Menschen verlassen, und dann wird auch noch ihre Katze überfahren. Sie hält sich für überflüssig und beschließt in ihrer Verzweiflung, sich das Leben zu nehmen. Aber nicht einmal das gelingt ihr. Stattdessen findet sie sich in einer Bibliothek wieder. Die Bücher in den Regalen enthalten ihre Geschichten und erzählen, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie zu bestimmten Zeitpunkten beruflich und privat andere Entscheidungen getroffen hätte. Mit jedem Buch, das sie öffnet, bekommt sie die Möglichkeit, in dieses Leben einzutauchen und zu entscheiden, ob dieses Leben ein besseres, lebenswerteres gewesen wäre. Nora öffnet sehr viele Bücher, und wir dürfen an diesen anderen Leben teilhaben.

Der Roman ist äußerst unterhaltsam geschrieben, so dass man ihn nur schwer aus der Hand legen kann. Er macht aber auch nachdenklich, denn man stellt sich während des Lesens  natürlich auch immer die Frage: „Was wäre, wenn….“

Matt Haig: „Die Mitternachtsbibliothek“ (OT: „The Midnight Library“), Droemer Verlag (OT: Canongate Books), 320 Seiten, ISBN 978-3-426-28256-4, Preis: 20 Euro


Erschütterung

Erschütterungen

Erschütterungen

Percival Everett:

Erschütterung

Zach Wells, zynisch, Haut dunkel, Professor für Geologie/Paläobiologie an einer Universität in Kalifornien, ist in seinen Grundfesten erschüttert, als er erfährt, dass seine Tochter als Teenager an Demenz sterben wird. Ursache: Ein Gendefekt. Wie er und seine Frau mit dem körperlichen und geistigen Verfall ihrer Tochter umgehen, wird auf der einen Seite in dem Buch beschrieben.  Daneben noch ein Kriminalfall: Zacharias Wells erhält bei Lieferung bestellter Kleidung – darin eingenäht – Hilferufe. Die beschäftigen ihn und er geht ihnen nach. Sehr eindringliche Lektüre.

Percival Everett: „Erschütterung“, Carl Hanser Verlag, 288 Seiten, ISBN 978-3446272668, Preis: 23,00 Euro.


Farbenblind

Farbenblind

Trevor Noah:

Born a Crime | Farbenblind

Trevor Noah wird als Sohn eines Schweizers und einer Xhosa zur Zeit der Apartheid im Township Soweto geboren. Da in diesem System solch eine Beziehung illegal war, galt er in den Augen des Staates als Verbrechen.

In seinem Buch erzählt der Autor episodenhaft, wie er während und nach der Apartheid aufwuchs. Seine persönlichen Erfahrungen vermitteln einen Eindruck, welche Herausforderungen an die Gesellschaft in Südafrika gestellt wurden und immer noch werden, zeigen Ursachen auf, warum die schwarze und weiße Bevölkerung so schwer zueinander findet und wie stark Armut das Leben bestimmen. Viele seiner Schilderungen machen betroffen, aber Trevor Noah erzählt seine Geschichten feinfühlig und mit viel Humor, so dass man schmunzeln oder manchmal sogar laut lachen muss.

Eine Empfehlung für alle, die nicht nur die Schönheit Südafrikas kennenlernen möchten, sondern auch mehr über seine Geschichte, seine Politik und seine Menschen erfahren wollen.

Trevor Noah lebt seit 2011 in den USA, ist ein erfolgreicher Kabarettist und Schauspieler und moderiert die „Daily Show.

Trevor Noah: „Farbenblind“ (OT: „Born a Crime“), Blessing-Verlag (OT: Spiegel & Grau), 336 Seiten, ISBN: 978-3-89667-590-3, Preis: 19,99 Euro (HC).


Der Junge , der den Wind einfing

Der Junge , der den Wind einfing

William Kwamkwamb & Bryan Mealer:

The Boy who harnessed the Wind

Der Junge , der den Wind einfing

Dies ist die wahre Geschichte eines Jungen, der in Malawi aufwächst, wo Hunger und Wasserknappheit das Leben der Menschen bestimmen. Als in 2002 eine Dürre die gesamte Ernte in seinem Heimatdorf vernichtet, kann William nicht weiter die Schule besuchen, da seine Eltern das jährliche Schulgeld von $80 nicht mehr aufbringen können. Doch der 14-jährige hat in der Bücherei ein Buch über Energiegewinnung gefunden, und er entwickelt einen Traum. Er möchte ein Windrad bauen, um das Leben seiner Familie zu erleichtern. Und gegen alle Widrigkeit gelingt es ihm. Ihr Haus bekommt Strom und später auch fließendes Wasser

William Kwamkwamba hat in einem Interview zwei Dinge gesagt, die mich nicht nur berührt haben, sondern auch seinen Mut und seine Zielstrebigkeit unterstreichen:

„Ich habe dieses Buch geschrieben, um den Menschen zu erzählen, dass sie alles schaffen können, wenn sie es nur wollen.“

„Die meisten Geschichten über Afrika sind negativ. Ich möchte eine Geschichte voller Hoffnung erzählen. Ich habe aus meiner Geschichte gelernt, dass man es nur versuchen muss.“

William Kwamkwamb & Bryan Mealer: „Der Junge , der den Wind einfing“ (OT: „The Boy who harnessed the Wind“), Verlag Diederichs (HarperCollins), 384 Seiten, ISBN: 978-3-424-35111-8, Preis: 12,00 Euro (dt. Ausgabe Tb).


Die unglaubliche Reise der Pflanzen

Die unglaubliche Reise der Pflanzen


Stefano Mancuso:

Die unglaubliche Reise der Pflanzen

Die Trauerweide, ursprünglich aus China, das Lampenputzergras aus Afrika, jetzt in Europa wachsend und Samen, die auch nach Jahrtausenden wieder austreiben können… sie und viele andere pflanzliche Überlebenskünstler sind die eigentlichen Pioniere der Erde!

 Der italienische Botaniker Stefano Mancuso (geb. 1965) beschreibt auf sehr unterhaltsame Weise die „Tricks“, mit denen sich scheinbar unbewegliche Pflanzen über die ganze Welt ausbreiten. Ergänzt mit wunderschönen Aquarellen von Grisha Fischer vermittelt das feinfühlig aufgemachte Buch einen kurzweiligen Einblick in die Welt der größten Gruppe von Lebewesen.

Faszinierende Informationen zur „unglaublichen Reise der Pflanzen“ lassen staunen – der Blick wird achtsamer…!

Stefano Mancuso: „Die unglaubliche Reise der Pflanzen“ Verlag Klett-Cotta, 154 Seiten, ISBN: 978-3-608-98192-6, Preis: 22,00 Euro.

Dankbarkeiten

Dankbarkeiten


Dankbarkeiten

Delphine de Vigan:

Dankbarkeiten

Delphine de Vigan, eine französische Schriftstellerin, hat mich mit diesem kleinen Buch über ein schweres Thema, begeistert.

Mischka, eine alte, selbständig lebende Dame spürt, dass sie nicht mehr allein in ihrer Wohnung leben kann und findet einen Platz im Altersheim. Dort wird sie weiterhin von Marie, einer jungen Freundin, und auch von Jerome, dem Logopäden der Einrichtung, besucht und betreut und darf erfahren, dass es für nichts zu spät ist, vor allem nicht für die Antwort auf eine sie quälende Frage.

Mit viel Zuneigung und Mitgefühl gehen Jung und Alt achtsam miteinander um. So gelingt eine feinfühlige Geschichte über das Alter. „Nach einer gewissen Weile kann es nicht mehr weitergehen. Es beginnt sogar gutzutun. Es ist nicht traurig, aber es macht Angst“.

Delphine de Vigan: „Dankbarkeiten“, DuMont-Buchverlag, 176 Seiten, ISBN 978-3-8321-8112-3, Preis: 20,00 Euro (HC), 10,00 Euro (Tb).