Kurz mal mit dem Universum plaudern

Kurz mal mit dem Universum plaudern

Preston Norton:

Kurz mal mit dem Universum plaudern

„In diesem Moment wurde mir etwas über uns Menschen klar: Wie hören nie auf, uns zu bemühen. Auch wenn es nicht so wirkt oder wir es gar nicht wollen oder dermaßen am Boden sind, dass uns alles egal sein müsste… Wir können es nicht abstellen. Es ist unser hervorstechendster Charakterzug.“

Um ganz ehrlich zu sein, habe ich dieses Buch nur aus zwei Gründen gelesen: 1. Weil ich gerade kein anderes gefunden habe und 2. Weil ich den Titel ganz ansprechend fand.

Der Klappentext verrät zum Inhalt so ungefähr gar nichts – was sich aber als glücklicher Zufall herausstellt. Denn sicher hätte ich es sonst nicht gelesen.

Preston Norton schreibt wirklich unterhaltsam und leicht. Es lassen sich zahlreiche wunderschöne „popkulturelle Anspielungen“ finden, wie Publishers Weekly es nennt und Charaktere, die man einfach mögen muss. Sie sind nicht wahnsinnig tiefsinnig, aber die Geschichte hat Charme – wenn sie zuweilen auch vorhersehbar ist.

Im Fokus steht Cliff. Ein Junge, der von der Familie vernachlässigt, von der Schule gequält und von der Welt verletzt ist. Allein, nach dem Tod seines besten Freunds und Bruders, Shane.

Eigentlich passt dieses Buch nämlich so gar nicht in die erlesene Sammlung meines Bücherschranks. Aber was soll ich sagen: Es hat sich gelohnt. Das obenstehende Zitat gibt im Grunde einen sehr guten Überblick über den roten Faden dieses Buches: Hoffen, sich bemühen und nicht aufgeben.

Preston Norton: „Kurz mal mit dem Universum plaudern“, Carl Hanser Verlag, 448 Seiten, ISBN 978-3-446-27237-8, Preis: 18,00 Euro.


Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Susan Abulhawa:

Mornings in Jenin | Während die Welt schlief

Die fiktive Geschichte der Familie Abulheja erstreckt sich über vier Generationen und steht beispielhaft für viele menschliche Schicksale im Nahost-Konflikt. Mit der Staatsgründung Israels 1948 werden die Bewohner des Dorfes Ein Hod von ihren Grundstücken vertrieben und in das Flüchtlingslager in Jenin umgesiedelt, welches bis zum heutigen Tage noch existiert. Hier wird 1955 auch Amal, die Enkeltochter des Familienoberhauptes, geboren. Sie ist der zentrale Charakter, aus deren Perspektive der überwiegende Teil des Romans erzählt wird. Durch sie erfahren wir nicht nur von ihrem Leben, das sie vom Flüchtlingslager in ein Waisenhaus in Jerusalem und später auch nach Amerika führt, sondern  auch vom Leben ihrer beiden Brüder. Dabei sind die im Laufe der Jahre immer wieder auftretenden Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina stets präsent.

Mir hat der Roman vor allem deshalb gefallen, weil der Nahost-Konflikt aus der Perspektive der Palästinenser dargestellt wird, was bei mir zu vielen neuen Erkenntnissen geführt hat. Eine seiner Stärken ist neben der Sprache, die sich vielfach der arabischen Poesie bedient, die Mischung aus Fiktion und Dokumentation.

Die Sunday Times sagt sehr treffend:  “Mornings in Jenin is the first English language novel to express fully the human dimension of the Palestinian tragedy.”  

Susan Abulhawa: „Während die Welt schlief“ (OT: „Mornings in Jenin“), Diana Verlag (OT: Bloomsbury Publishing), 448 Seiten, ISBN 978-3-453-35662-7, Preis: 11,00 Euro


Sie kam aus Mariupol

Sie kam aus Mariupol

Sie kam aus Mariupol

Natascha Wodin:

Sie kam aus Mariupol

Mariupol – eine Stadt, die beim Hören und Sehen der vielen Schreckensnachrichten aus dem gegenwärtigen Krieg gegen die Ukraine immer wieder begegnet. So kam mir wieder ein großartiges Buch in den Sinn, das ich vor einigen Jahren gelesen habe: „Sie kam aus Mariupol“ von Natascha Wodin. Das 2017 erschienene und vielfach preisgekrönte Buch, inzwischen als Taschenbuch verfügbar, beschreibt eindrücklich die Suche der Autorin nach ihrer Mutter und deren Familiengeschichte.

Natascha Wodin wurde 1945 in einem DP-Lager (Displaced Persons) als Kind sowjetischer Zwangsarbeiter geboren. Die Mutter nahm sich früh das Leben, weil sie das entwürdigende Leben in Deutschland nicht ertragen konnte. Natascha, die anschließend in einem Kinderheim aufwuchs, blieben nur einige Fotos und eine Ikone von ihrer Mutter. Natascha Wodin nimmt die Leser*innen mit auf eine lange Suche nach ihrer Mutter und der Familie.

Dabei begegnet man einem bewegenden menschlichen Schicksal und den vielen Wendungen europäischer Geschichte im 20. Jahrhundert: Verfolgung unter dem Stalinismus, dem Krieg der Deutschen gegen die Sowjetunion in der Ukraine, Zwangsarbeit in Deutschland, Demütigungen in der Nachkriegszeit. Und als Leser*in kommen wir auch nach Mariupol, der Stadt am Asowschen Meer, die vor dem Ersten Weltkrieg eine multikulturelle Stadt war – Ukrainer, Russen, Griechen, Italiener, Franzosen, Deutsche, Türken, Polen, Juden lebten hier zusammen. Und fassungslos werden wir auch  mit der Zerstörung durch die Deutschen konfrontiert: „Ganz Mariupol verbrannt, gesprengt …“ Wie sich die Bilder gleichen.

Natascha Wodin: Sie kam aus Mariupol, Rowohlt Taschenbuch 2018, 368 Seiten, ISBN 978-3499290657, Preis: 12,00 Euro.

Zwei alte Frauen

Zwei alte Frauen

Velma Wallis: Two Old Women

Zwei alte Frauen

Velma Wallis schreibt in diesem Büchlein eine Legende nieder, die bislang von ihrem in Alaska beheimateten Stamm ausschließlich mündlich weitergegeben wurde. Die Gwich’in sind ein Nomadenvolk und während eines besonders harten Winters können sie kaum noch Nahrung finden. Es droht die  Gefahr, dass sie alle verhungern. Den Stammesgesetzen entsprechend entschließen sie sich, die beiden ältesten, sehr betagten Frauen in der Wildnis zurückzulassen, da sie nur noch eine Bürde sind. Nach dem ersten Schrecken entscheiden die beiden, sich nicht ihrem Schicksal zu ergeben und besinnen sich auf Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie seit ihrer Jugend gelernt haben…

Die Geschichte ist geradlinig und fesselnd erzählt. Durch die detailgetreuen Naturbeschreibungen wird eine Landschaft lebendig, die sich viele von uns in ihrer Schönheit aber auch Grausamkeit nicht vorstellen können. Legenden und Sagen vermitteln auch immer eine Botschaft. In diesem Fall geht es um Gemeinschaft, Respekt, aber auch soziale Verantwortung. Themen, die auch in unserer modernen Zeit eine Bedeutung haben.

Velma Wallis: „Zwei alte Frauen“ (OT: „Two Old Women“), Verlag Piper Taschenbuch, 128 Seiten, ISBN 978-3492240345, Preis: 10,00 Euro.


Unverfügbarkeit

Unverfügbarkeit

Hartmut Rosa:

Unverfügbarkeit

Gelegentlich lasse ich mich gerne anregen, um über grundlegende Fragen menschlichen Lebens nachzudenken. Der Soziologe Hartmut Rosa hat es mit seinem kleinen Buch „Unverfügbarkeit“ geschafft, mir solche Anregungen zu geben. Für ihn gehört es zum individuellen und gesellschaftlichen Leben, dass Wesentliches der Verfügbarkeit entzogen ist und um der Lebendigkeit willen auch bleiben muss. An Alltagserfahrungen wie dem Schneefall oder dem Fußballspiel zeigt er das auf: „Eine Welt, die vollständig gewusst, und beherrscht wäre, wäre eine tote Welt.“

In der europäischen Moderne aber sieht er ein Projekt, das den Versuch unternimmt, die gesamte Welt – Mensch und Natur – verfügbar zu machen, zu kontrollieren und nutzbar zu machen. Von der Geburt bis zum Tod soll alles planbar und beherrschbar werden. Das führt jedoch in seinen Augen gerade nicht zu einem besseren Leben, sondern zu neuen Bedrohungen und nicht beherrschbaren Situationen, wie an Naturkatastrophen als Folge menschlicher Eingriffe oder der Unbeherrschbarkeit der Atomkraft ablesbar ist.

Neben der begrifflichen Anstrengung , die das Buch zuweilen verlangt, gibt Rosa schöne Beispiele, wo uns die Unverfügbarkeit begegnen kann und die Faszination für verschiedene Dinge wichtig bleibt – im Hören von Musik, im Lesen eines Buches, im Blick in ein menschliches Antlitz – , sofern wir dafür offen bleiben.

Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit, Suhrkamp Taschenbuch 2020, 130 Seiten, ISBN 978-3518471005, Preis: 10,00 Euro

Hush – Verbotene Worte

Hush – Verbotene Worte

Dylan Farrow:

Hush – Verbotene Worte

Shae lebt in einem Land, in dem das geschriebene Wort gefährlich werden kann, denn die Tinte kann zu einer todbringenden Krankheit führen. Nur die Barden können diese Macht kontrollieren. Seit ihr Bruder an der Krankheit gestorben ist, merkt Shae, das mit ihr etwas nicht stimmt, und hat die Befürchtung, selber von der Krankheit befallen worden zu sein. Als eines Tages die Barden in ihr Dorf kommen, passiert etwas, was ihr ganzes Leben verändert und sie macht sich auf die Suche nach Antworten…

Hush ist ein toller Fantasyroman, womit man viele schöne Lesestunden verbringen kann. Die Protagonistin entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einer starken, jungen Frau, die bereit ist für sich und ihre Freunde zu kämpfen. Das Ende ist offen und macht Lust auf den zweiten Band, den ich auf jeden Fall auch lesen werde.

„Hush – Verbotene Worte“ ist der erste Band einer Dilogie, der zweite Band „Hush – Ende des Schweigens“ erscheint am 09. März. Ein toller Fantasyroman für Jugendliche ab 14 Jahren!

Dylan Farrow: „Hush – Verbotene Worte“, Loewe-Verlag, 416 Seiten, ISBN: 978-3-7432-0516-1, Preis: 19,95 Euro.
Dylan Farrow: „Hush – Ende des Schweigens“, Loewe-Verlag, 400 Seiten, ISBN 978-3-7432-0644-1 , Preis: 19,95 Euro.

Dylan Farrow:

Hush – Ende des Schweigens



Kirchenrebellen

Kirchenrebellen

Christopher Schlicht & Maximilian Bode:

Kirchenrebellen

Wir bringen Leben in die Bude

Es kommt nicht oft vor, dass ich persönlich bekannte Personen im Fernsehen sehe. Schon in den ersten Minuten des Auftritts der beiden Pastoren / Autoren Christopher Schlicht und Maximilian Bode in der NDR-Talkshow war klar: das Buch muss ich lesen.

Die beiden gehen der Frage nach: „Wie müsste sie aussehen – eine Kirche, in der sich möglichst viele Menschen wirklich wohlfühlen?“. Und sie beschreiben in ihrer „Biografie“, wie durch Willenskraft („Aber Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg, sondern gehört zum Prozess dazu. Nur weil etwas neu ist, ist es nicht automatisch gut. Das gilt umgekehrt genauso.“), Überzeugung („Denn wenn du begeistert bist, wirst du andere begeistern.“), Glauben („Manchmal haben Engel keine Flügel, sondern einen Latte macchiato in der Hand.“)  und Mut („Ein liebevoller Rat kann gleichzeitig aufdecken, was schiefläuft, und anspornen, es künftig besser zu machen.“) aus ihren Träumen und Wünschen Wirklichkeit wird: „Wir erleben, dass unserer Träume funktionieren können.“

Das Buch hat mir gefallen, weil es kurzweilig, unterhaltsam und einfühlsam geschrieben ist und zum Nach- und Überdenken alter Strukturen und neuer Möglichkeiten anregt.

Christopher Schlicht & Maximilian Bode: „Kirchenrebellen – Wir bringen Leben in die Bude“, Verlag: bene! 192 Seiten, ISBN: 978-3-96340-194-7, Preis: 18,00 Euro.


Ich habe einen Namen

Ich habe einen Namen


Lawrence Hill:

The Book of Negroes | Ich habe einen Namen

Basierend auf historischen Fakten erzählt der Roman die fiktive Lebensgeschichte von Aminata Diallo, später im Buch meist Meena genannt. Obwohl in Afrika in Freiheit geboren, wird sie nach Amerika verschleppt und als Sklavin verkauft. Vor allem durch ihren starken Willen gelingt es ihr, ihre Freiheit zurückzugewinnen. Die verschiedenen Stationen ihres Lebens, und davon gibt es sehr viele, werden eindrucksvoll geschildert. Aminata ist nicht nur zielstrebig, sondern auch klug. Sie spricht verschiedene afrikanische Sprachen und lernt Lesen und Schreiben. All dies hilft ihr auf ihrem beeindruckenden Weg in die Freiheit, auch weil sie zunehmend den Respekt weißer Amerikaner und Briten gewinnt.

Das Buch ist berührend aufschlussreich, denn es vermittelt auch weniger bekannte Fakten über die Sklaverei. Es besticht durch seine historische Präzision, die aber auch dazu führt, dass die Unmenschlichkeit mit der die Sklaven behandelt wurden, zum Teil sehr detailliert beschrieben werden.

Die Tatsache, dass eine Geschichte, die im 18. Jahrhundert spielt, aus einer weiblichen Perspektive erzählt wird, hat zudem einen besonderen Reiz, zumal der Autor männlich ist.

Lawrence Hill: „Ich habe einen Namen“ (OT: „The Book of Negroes“), DUMONT Verlag (OT: Transworld Publishers), 576 Seiten, ISBN 978-3-8321-6205-4, Preis: 12 Euro


Die Mitternachtsbibliothek

Die Mitternachtsbibliothek

Matt Haig:

The Midnight Library | Die Mitternachtsbibliothek

Nora Seed verliert ihren Job, fühlt sich von allen geliebten Menschen verlassen, und dann wird auch noch ihre Katze überfahren. Sie hält sich für überflüssig und beschließt in ihrer Verzweiflung, sich das Leben zu nehmen. Aber nicht einmal das gelingt ihr. Stattdessen findet sie sich in einer Bibliothek wieder. Die Bücher in den Regalen enthalten ihre Geschichten und erzählen, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie zu bestimmten Zeitpunkten beruflich und privat andere Entscheidungen getroffen hätte. Mit jedem Buch, das sie öffnet, bekommt sie die Möglichkeit, in dieses Leben einzutauchen und zu entscheiden, ob dieses Leben ein besseres, lebenswerteres gewesen wäre. Nora öffnet sehr viele Bücher, und wir dürfen an diesen anderen Leben teilhaben.

Der Roman ist äußerst unterhaltsam geschrieben, so dass man ihn nur schwer aus der Hand legen kann. Er macht aber auch nachdenklich, denn man stellt sich während des Lesens  natürlich auch immer die Frage: „Was wäre, wenn….“

Matt Haig: „Die Mitternachtsbibliothek“ (OT: „The Midnight Library“), Droemer Verlag (OT: Canongate Books), 320 Seiten, ISBN 978-3-426-28256-4, Preis: 20 Euro


Erschütterung

Erschütterungen

Erschütterungen

Percival Everett:

Erschütterung

Zach Wells, zynisch, Haut dunkel, Professor für Geologie/Paläobiologie an einer Universität in Kalifornien, ist in seinen Grundfesten erschüttert, als er erfährt, dass seine Tochter als Teenager an Demenz sterben wird. Ursache: Ein Gendefekt. Wie er und seine Frau mit dem körperlichen und geistigen Verfall ihrer Tochter umgehen, wird auf der einen Seite in dem Buch beschrieben.  Daneben noch ein Kriminalfall: Zacharias Wells erhält bei Lieferung bestellter Kleidung – darin eingenäht – Hilferufe. Die beschäftigen ihn und er geht ihnen nach. Sehr eindringliche Lektüre.

Percival Everett: „Erschütterung“, Carl Hanser Verlag, 288 Seiten, ISBN 978-3446272668, Preis: 23,00 Euro.