Gabriele Tergit:
Der erste Zug nach Berlin
„Als das Flugzeug sich in Bewegung setzte und ich den guten alten friedlichen Kontinent verließ, um ins wilde, unkultivierte Europa zu fahren, da war mir doch sehr anders…“ Mit dieser Einstellung bricht die junge US-Amerikanerin Maud aus der High Society nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Kommission nach Deutschland auf.
Gabriele Tergit beschreibt die Erkundung Deutschlands in ihrem Roman sprachlich leichtfüßig, aber mit einem scharfen Blick für die historische Wirklichkeit noch vor der Gründung der beiden deutschen Staaten. Gerade die Naivität ihrer Protagonistin, aber auch deren Abenteuerlust und offene Augen, entlarven die Sichtweisen sowohl der Sieger als auch der Besiegten.
So werden die Gegensätze zwischen dem Reichtum weniger und dem Elend der Massen ebenso deutlich wie der Wiederaufstieg ehemaliger Nazis und der Profiteure der Nazi-Herrschaft. Letztlich wird ein sehr skeptisches Bild der deutschen Nachkriegsgesellschaft gezeichnet, in dem nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Denken unausrottbar zu sein scheint.
Der einzige deutsche Journalist, dem Maud begegnet und der wegen seiner Widerständigkeit viele Jahre im KZ verbrachte, lebt und stirbt in menschenunwürdigen Verhältnissen. Dabei kommt der Text nicht bitter daher, sondern in einer gekonnten „Mischung aus Satire, schwarzem Humor und aufgeregten, oft heftigen Gesprächen“, wie Nicole Henneberg in ihrem erläuternden Nachwort schreibt.
Ein auffälliges Stilmittel des Romans ist, dass in den Dialogen einzelne Wörter, Sätze oder kleinere Absätze auf Englisch geschrieben sind, so wie es im Originalmanuskript der Autorin vorgesehen ist. So wird die Fremdheit der Erkundungskommission verdeutlicht, zudem spiegelt sich die Wirklichkeit der im Exil lebenden Deutschen, zu denen Gabriele Tergit ja seit 1933 gehörte. Im Anhang kann man bei Bedarf die deutsche Übersetzung nachlesen.
Die Romane der Journalistin und Schriftstellerin Gabriele Tergit (1894 – 1984) sind immer wieder neu entdeckt und aufgelegt worden. Völlig zu Recht, wie auch dieses Buch beweist.
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