Markus Weber über „Unerwünscht“

Markus Weber über „Unerwünscht“

Stefanie Schüler-Springorum: Unerwünscht

Immer noch geistert in vielen Köpfen der Begriff „Stunde Null“ herum, als sei mit dem Kriegsende gleich alles neu geworden und auf die Erfolgsgeschichte der westdeutschen Demokratie zugelaufen. Dass das nicht der Fall ist, ist vielfach belegt. Die Historikerin Schüler-Springorum, Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, hat nun aus einer besonderen Perspektive die Nachkriegsgeschichte beleuchtet.

Sie widmet sich der Frage, wie die deutsche Nachkriegsgesellschaft mit den millionenfachen Opfern umgegangen ist, wie es jüdischen Überlebenden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, ehemaligen Zwangsarbeitern, Homosexuellen und Opfern von Zwangssterilisation ergangen ist. Das Urteil ist auf der Grundlage vieler anschaulicher Quellen erschreckend. Es zeigt sich, dass Hass und Vorurteile im Denken der Menschen nach wie vor tief verwurzelt waren.

Während viele NS-Täter – bis auf Ausnahmen – straffrei ausgingen, recht schnell wieder Fuß fassen konnten und in ihre alten Positionen zurückkehrten – euphemistisch als „Elitenkontinuität“ bezeichnet – blieben die meisten Opfer entwurzelt. Mit großen Schwierigkeiten mussten sie um die Anerkennung als Opfer der Verfolgung ebenso kämpfen wie um die Zahlung von Entschädigungs- und Wiedergutmachungsleistungen angesichts zerstörter Existenzen.

Besonders schlecht erging es den Zwangsarbeitern, die als Displaced People nicht zurück in ihre osteuropäische Heimat gehen konnten, weil ihnen dort auch Verfolgung drohte, und sie in Deutschland nach wie vor als „Fremde“ ausgeschlossen blieben. Die 400.000 zwangssterilisierten Männer und Frauen hatten keinen Anspruch auf Entschädigung, galten doch die Zwangssterilisationen nicht als spezifisches NS-Unrecht. Homosexuelle wurden nach wie vor auf der Grundlage des von den Nazis verschärften § 175 im Strafgesetzbuch Ziele polizeilicher Verfolgung. Der Widerstand der Kommunisten gegen die NS-Herrschaft wurde angesichts des wachsenden Ost-West-Konflikts disqualifiziert. Und die Massendeportationen von Sinti und Roma wurden nicht als rassistische Verfolgung angesehen, sondern als sicherheitspolitische und militärische Maßnahme, wurden sie doch als Spione verdächtigt und weiterhin kriminalisiert.

Von dem aus dem Exil zurückgekehrten Fritz Bauer, der immerhin in Braunschweig, dann in Frankfurt als Staatsanwalt tätig war, ist ein berühmter Satz überliefert: „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“ Welche Erinnerungen leben da wieder auf, war er doch vor der Verfolgung als Jude aus Deutschland geflohen?

Das Buch mutet den Leser*innen einiges zu, aber es bietet einen erhellenden Blick auf die deutsche Nachkriegsgeschichte. Neben der – sicher auch berechtigten – Erzählung einer Erfolgsgeschichte, sollte dieser Blick auf die Opfer nicht vergessen werden. Und als Teil der deutschen Geschichte wahrgenommen werden.

Stefanie Schüler-Springorum: Unerwünscht. Die westdeutsche Demokratie und die Verfolgten des NS-Regimes, S. Fischer, 256 Seiten, ISBN 978-3103976649, 25,00 Euro.