Ich habe gerade das Buch „KEINE REGELN warum Netflix so erfolgreich ist“ aus der Hand gelegt. Literatur über Unternehmensführung gibt es reichlich. Die Grundregel zwischen Highperformern und Selbstdarstellern zu unterscheiden ist nicht neu, wird aber bei Netflix konsequent durchgeführt. Die Netflixleute sind auf der Suche nach einer sehr hohen Talentdichte. Diese Talente erhalten sehr viele Freiheiten, zum Beispiel die Eigenentscheidung über die Häufigkeit und Dauer des Urlaubs. Dafür wird eine sehr hohe Verantwortung erwartet. Die Erkenntnis das gute Leute in einem Unternehmen von schlechten Kollegen und untalentierten Vorgesetzten genervt sind, wird in diesem Buch besonders breit dargestellt. Der Erfolg von Netflix scheint dem CEO und Gründer Reed Hastings Recht zu geben. Das Buch gehört in die Hände von Menschen die sich mit Führung beschäftigen. Das Buch hat mich inspiriert.
Dieses Buch zieht einen vom ersten Moment an soghaft in den Rausch der Ereignisse. Ein Paar ist unterwegs durch die nächtliche Marokkanische Wüste. Begleitet von ihren jeweils eigenen Dämonen und unzufrieden mit dem Lebenswandel des Anderen, sind sie auf dem Weg zu einer glamourösen Party. Was suchen sie? Was werden sie finden? Als Leser*in kann man sich dem schicksalshaften Geschehen bald nicht mehr entziehen, steht erstaunt neben den Protagonisten, ist selbst zutiefst in die Sache verstrickt und sieht das Ende doch nicht kommen. Neben dem spannenden Handlungsstrang besticht Osborne mit seiner Sprache und der allgegenwärtigen Frage, wie und ob das eigene Handeln das Schicksal bestimmt. Das exotische Setting verstärkt die Intension auf ganz subtile Art. Ein süßer Pfefferminztee und ein paar Datteln machen die Lektüre perfekt.
Colson Whitehead erzählt auf packende Weise die Geschichte von Elwood, der Anfang der 1960er Jahre in Florida im Ghetto der Schwarzen bei seiner Großmutter aufwächst. Mit Martin Luther King und seinen Reden, die er wieder und wieder von der Platte hört, träumt Elwood von der Befreiung und Gleichberechtigung der Schwarzen, die so anders sein wird als die erlebte Gegenwart der Diskriminierung und Ausgrenzung. Sein persönlicher Traum, aus dem Ghetto herauszukommen, scheint in Erfüllung zu gehen, als er einen Platz am College erhält. Stattdessen gerät Elwood in eine Erziehungsanstalt voller Brutalität und Willkür. Die Ohnmacht angesichts der gewaltvollen Strukturen wird erlebbar. Eine Flucht aus der Anstalt ist aussichtslos, auch wenn der Traum von Martin Luther King lebendig bleibt. Am Ende hält der Roman eine überraschende Wendung bereit.
Offenbar muss man – wie Whiteheads Roman zeigt – selbst kein Schwarzer sein, um klar und unmissverständlich den Rassismus der US-Gesellschaft darzustellen und die Leserinnen einfühlsam mitzunehmen in diese Geschichte. Aber Achtung: Man muss sich darauf gefasst machen, dass die rassistische Sprache der Zeit im Text ohne Warnung benutzt wird, man also auch das N**-Wort zu lesen bekommt. Wie sonst sollte es gehen, diese Zeit verständlich zu machen und den Rassismus, der ja bis heute nicht vorüber ist, aufzuzeigen?
„Deutsches Haus“ ist der erste Roman der Drehbuchautorin Annette Hess. Der Roman nimmt uns mit ins Jahr 1963 nach Frankfurt, wo der Auschwitzprozess stattfand, der die bundesdeutsche Wohlstandsgesellschaft zum ersten Mal mit den nationalsozialistischen Verbrechen konfrontierte, auch wenn viele damals lieber nichts davon und von eigenen Verstrickungen wissen wollten.
Die junge und recht unbedarfte Eva wird zunächst vertretungsweise als Dolmetscherin für Polnisch in den Prozess hineingezogen. Ihre Familie und der Verlobte lehnen dies ab; aber auch gegen deren Willen nimmt sie die Arbeit an und erfährt immer mehr, wie bedeutend es ist, dass die Opfer zu Wort kommen und sie ihnen ihre Stimme gibt. Die Grauen im Vernichtungslager werden deutlich, ohne den Leser übermächtig zu erdrücken und hilflos zu machen. Mehr Raum im Roman nehmen ohnehin die Geschichten außerhalb des Gerichts ein, wobei nach und nach deutlich wird, welche Erinnerungen die verschiedenen Personen mit sich schleppen.
Nach meiner Einschätzung könnte man auf einige der Seitengeschichten im Roman verzichten – warum z.B. vom Zahnarztbesuch der Mutter von Eva erzählt werden muss, erschließt sich mir nicht. Dennoch: Auch wenn es keine große Literatur ist, gelingt es dem Buch recht anschaulich und bildhaft die Atmosphäre in Deutschland Mitte der 1960er Jahre – auch die Bevormundung der Frauen, die Ankunft der „Gastarbeiter – mit unterschiedlichen und widersprüchlichen Charakteren und Interessen einzufangen, was wohl auch den Vorerfahrungen von Annette Hess als Drehbuchautorin zu verdanken ist. So steht „Deutsches Haus“ nicht nur für die Gaststätte, die von Evas Eltern betrieben wird, sondern für die deutsche Gesellschaft in der Mitte der 1960er Jahre.
Im Pflegeheim in Altenburg proben „die Alten“ den Aufstand angesichts von Zuständen (nicht nur) beim Essen, die sie als unzumutbar empfinden, wobei auch das Pflegepersonal angegriffen wird. Das mag ein wenig konstruiert sein, ist aber Ausgangspunkt einer informativen und unterhaltsamen Einführung in die Theorie und Praxis gewaltlosen Widerstands. Eine Familie vor dem Fernseher diskutiert über die Legitimation und Wirksamkeit von widerständigen Aktionen. Die Grundthese des Buches besagt, dass das Prinzip der Gewaltlosigkeit zu erfolgreicheren Protesten führt als der Einsatz von Gewalt.
Im Laufe des Comics bekommt die Familie Besuch von internationalen wissenschaftlichen Expert*innen, die sich mit der Geschichte der Gewaltlosigkeit beschäftigt haben und ihre Erkenntnisse über die Bedingungen der Wirksamkeit des Handelns kurz und bündig vorstellen. Eingestreut sind dort knappe lexikalische Einträge zu führenden Gewaltfreien – nicht nur Gandhi und Martin Luther King. Der Comic mag anregend sein für eigene Überlegungen, für Diskussionen, vielleicht auch zur vertieften Beschäftigung mit dieser Materie.
Ich liebe meine Frau, meine Kinder, Borussia Mönchengladbach und Rex Stout. In der Reihenfolge. Doch während das Gefühl zu Frau und Kindern dauerhaft ist, gibt es in meiner Beziehung zu den Fußballern und zum US-Krimi-Autor Rex Stout Höhen und Tiefen. Die neu aufgelegte Erzählung „Zyankali vom Weihnachtsmann“ gehört eher zu den weniger guten Tagen meiner Liebesbeziehung zum wohlbeleibten Detektiv Nero Wolfe und dessen Adlatus Archie Goodwin.
Immerhin, die Geschichte passt vom Titel her unter den Weihnachtsbaum. Sonst aber passt wenig, wenn man die Nero-Wolfe-Romane und damit die Marotten des Detektivs mit der Leidenschaft für Orchideen und Gourmetküche kennt. Aber sei’s drum: Die Dialoge sind wie immer spannend und köstlich, brillant geschrieben. Sie kennzeichnen die Reihe der zwischen 1934 und 1975 erschienenen Romane und Erzählungen, in denen Action eine untergeordnete Rolle spielt. Zum Einstieg in die Nero-Wolfe-Romane sollten Krimi-Fans ein früheres Werk wählen, zum Beispiel die in neuen Übersetzungen bei Klett-Cotta vorliegenden Romane „Zu viele Köche“ und „Die goldenen Spinnen“.
Das 2020 mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnete Buch hat einen ganz besonderen Rhythmus, der mich mitgenommen hat in die Geschichte der Anne Beaumanoir. Schon zu Beginn wird klar, dass es keine glatte Heldinnengeschichte ist, sondern eine voller Widersprüche: „Sie glaubt nicht an Gott, aber er an sie. Falls es ihn gibt, so hat er sie gemacht.“
Anne hat sich als junges Mädchen dem kommunistischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg angeschlossen. Man (frau hoffentlich auch) wird mitgenommen in die Gedankenwelt der widerständigen Frau, in ihr Ringen um das, was sie antreibt und zweifeln lässt in ihrem Handeln. Gegen die Anweisungen der kommunistischen Zentrale rettet sie zwei jüdische Kinder – „ohne Grund oder nur aus dem einen, dass sie ein Mensch ist und sie auch Menschen sind“. Nach dem Krieg könnte das Leben in ruhige Bahnen kommen, Anne wird Ärztin, heiratet, hat Kinder. Doch sie engagiert sich für die Befreiung Algeriens von französischer Kolonialherrschaft. Sie muss schließlich vor Strafverfolgung nach Nordafrika fliehen und ihre Kinder zurücklassen. Immer will Anne streiten für eine bessere Welt, auf der richtigen Seite stehen – aber wo diese ist, ist nicht immer klar. So wird das Bild der Heldin vielfach gebrochen, was dieses Buch lesenswert macht. Dennoch: Am Ende ihres Lebens ist Anne zwar klein und krumm – aber „auch nur von außen; im Innern ist sie gerade.“
Ich habe mir viele schöne und nachdenkenswerte Sätze im Buch markiert.
Zunächst war ich durchaus skeptisch: Schon wieder ein Schauspieler, der meint schreiben zu müssen? Doch Edgar Selge hat mich mit seiner Kindheits- und Familiengeschichte um 1960 völlig überzeugt. Er gibt ohne sentimental zu werden fesselnde Einblicke in seine zerrissene Kindheit.
Sein Vater war Gefängnisdirektor in der ostwestfälischen Provinz, geprägt von der noch nicht lange zurückliegenden NS-Zeit; doch seine Leidenschaft galt der Musik. Die Corona-Zeit hat Selge Räume gegeben, die Kindheit neu zu durchdringen. Im Traum erscheint seine Mutter, daher der Titel: „Hast du uns endlich gefunden“. So lebt die Kindheit wieder auf: die erfahrene Gewalt und die Angst davor, seine Fluchten in Lügen und ins Kino, die Begegnungen mit der Gefängniswelt, die Auseinandersetzungen seiner älteren Brüder mit dem autoritären Vater … Und sein Wille zu überleben: „Ich will nicht einer sein, der den liebt, der ihn schlägt.“
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