Leonie Schüller:
Beklaute Frauen
Vorab gesagt, ich lese auch sehr gerne Bücher männlicher Autoren! Mir war aber v o r der Lektüre BEKLAUTE FRAUEN von LEONIE SCHÖLLER (Jg 93) nicht so wirklich bewusst, wie viele Schriftstellerinnen tatsächlich ihre Werke größtenteils oder ausschließlich unter männlichem Pseudonym oder anonym erschienen ließen (oder noch lassen?)!
So steckt bekanntermaßen hinter dem Pseudonym George Eliot (Middlemarch 1874) die Schriftstellerin Mary Anne Evans und hinter Henri Lou (Im Kampf um Gott 1885) verbarg sich Lou Andreas-Salomé. Gründe hierfür „sind und waren schon immer individuell und vielseitig, haben aber auch einen historischen Hintergrund.“, sagt Schöller.
Zensur und gesellschaftliche Vorstellungen von Frauen als kreative Denkerinnen taten und tun bis heute ihr Übriges. Übrigens bedien(t)en sich auch Männer dieser Kreativität, sofern die in den Romanen behandelten Themen ihnen zu brisant, zu lasziv oder peinlich selbst entlarvend waren oder sind. Ich wusste nicht, dass einer Studie von 2018 zufolge, „…Bücher von Männern doppelt so häufig und ausführlicher rezensiert werden als die von Frauen. Literaturkritikerinnen besprechen zu 52% die Werke von männlichen Autoren, Literaturkritiker zu 75%.“ (Schöller)
Überhaupt belegt eine Studie aus 2018, dass zwei Drittel aller Literaturkritiker männlich sind. Schöller legt auch offen, dass sich dieses Missverhältnis bis in die Zeitungsredaktionen und Verlage/Lektorate fortsetzt. „GOETHE, LESSING, BRECHT und Co: BILDUNG IST WEISS UND MÄNNLICH“ , so Schöller. Auch hier ein Teufelskreis…
In Niedersachsen zur Schule gegangen, erinnert sie „…den Themenschwerpunkt Frauenbilder von Effi Briest bis Else. Die vorgeschlagenen Autoren? …“ Fontane, Schnitzler, Roth, Heinrich Mann und doch immerhin eine Frau: Irmgard Keun! Überwiegend also Frauenthemen aus Männersicht in Männerhand…
Leonie Schöller ist Journalistin, aber eben auch eine professionelle Historikerin, die ihr wissenschaftliches Handwerk versteht: 30 Seiten Literatur- und Quellenangaben, ein ausführliches Personenregister, Bildnachweise und Literaturempfehlungen überzeugen: Hier weiß eine Frau, wovon sie spricht, scheut keinen Faktencheck und bleibt nie oberflächlich.
Erstaunlich, wie viele Themen sie in gut gegliederten überschaubaren Kapiteln stilistisch wunderbar leicht und durch autobiografische Details anregend beleuchtet: (K)EINE BÜRGERIN, ENDSTATION: EHE; KÜNSTLER WIRD MIT ER GESCHRIEBEN, OHNE AUSZEICHNUNG, WIDERSTAND, VERGESSEN UND AUSGELÖSCHT. So viele Biographien von DENKERINNEN, FORSCHERINNEN, PIONIERINNEN: DIE UNSICHTBAREN HELDINNEN DER GESCHICHTE.
Es gibt sicher schon einige entsprechend wertschätzende Literatur zu diesem wichtigen Thema, aber dieses Buch ist glaubhaft belegt, aktuell – und bunt erfrischend anders!