Susanne Abel:
Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe
Dieser spannende und irgendwie leider auch aktuelle Roman hat mich beschämt zurückgelassen!
Tom, ein gefragter, perfekt aufgestellter und erfolgreicher Fernsehjournalist und Nachrichtensprecher arbeitet viel, zu viel. Er hat keine Zeit für ernsthafte Beziehungen, fordert von seinen MitarbeiterInnen absolute Ergebenheit, und Loyalität. Alles steht im Zeichen der persönlichen Karriere, er liebt den Stress internationaler Recherchen, die ihm viel Anerkennung bringen. Toms Mutter GRETA ist eine verwitwete Seniorin, die ihre Sohn nur noch im täglichen Fernsehen begleitet, ihn dort bewundert, sich mehr Nähe wünscht, dies aber niemals offen aussprechen würde. GRETA/Gretchen wirkt nach außen sehr taff, eloquent und selbstständig. Sie hat es scheinbar nach allen Kriegswirren geschafft, ist beruflich und sozial aufgestiegen, hat eine vorteilhafte Ehe geschlossen und eben diesen wunderbaren TOM, ihren Sohn. TOM weiß und spürte wohl immer, dass seine Mutter emotional unerreichbar schien, sich depressiv verschlossen hielt. Lange und häufige Klinikaufenthalte der Mutter sind die Folge. Dass Kriegstraumata hierfür verantwortlich sein könnten, erscheinen ihm der nachvollziehbare Grund. Nie aber wurde gesprochen, nie wurden Details bekannt.
Dann erkrankt GRETA an Alzheimer Demenz und die Vergangenheit bricht auf. „Sie hat vergessen, dass sie vergessen wollte“, sagt TOM. Zunächst ist er extrem genervt und sieht sich außer Stande GRETA und Job zu vereinbaren. Dann wächst sein Interesse an der eigenen Familiengeschichte zunehmend und als er erfährt, dass er eine farbige Halbschwester hat, erwacht seine Neugier und er beginnt professionell zu recherchieren. Gretas Lebensgeschichte und Toms Gegenwart bewegen sich im Roman heilsam aufeinander zu.
Am Ende berührt eines in diesem Roman zutiefst: Es gibt sie, die wirkliche, tiefe und „grenzenlose“ Liebe!! Die emotional ehrliche Liebe und Treue, zwischen Liebespaaren, zwischen Generationen, die mutige Liebe von Eltern zu ihren Kindern. Liebe ist langmütig, sie besteht und übersteht viele Krisen, Liebe ist aber auch verletzlich. Wird sie aggressiv zerstört, verstummen Menschen und verdrängen – vergessen um zu überleben.
Darum bin ich beschämt: Ich gehöre einer durchaus interessierten Nachkriegsgeneration an und der Begriff der TRANSGENERATIONALEN WEITERGABE VON TRAUMATA im Zusammenhang mit den zumeist sprachlosen Kriegs- und Fluchterlebnissen auch meiner Eltern ist mir nicht fremd. Aber welches Leid in der Nachkriegszeit auch noch den farbigen afroamerikanischen GIs im eigenen Land und in dem fremden Besatzungsland (hier Deutschland) zugemutet wurde… welche Dramen sich innerhalb von Beziehungswirklichkeiten abspielten, wenn ihre verbotene Liebe zu weißen deutschen „Gretchens“ lebendige Folgen hatte und welches Leben diese BROWN BABIES erwartete … Ich hatte dies in d e r dramatischen Dimension bisher nicht wirklich als Thema im Blick.
Eben diese Unwissenheit beschämt mich heute, denn die Dramen spielten sich natürlich auch im Umfeld meiner Kindheit ab … Rassismus und Diskriminierung von „Fremden“, Verleumdung, Unterstellung Verachtung von Menschenrechten in furchtbarsten Sanktionen, sowie staatlich legitimierter Adoptionshandel („Deportation“!) von dunkelhäutigen Kindern in das „Land ihrer Vorfahren“, das ihnen scheinbar die Integration „unter Gleichen“ erleichtern sollte…?! Ungerechtfertigte Entziehung von Sorgerecht, Zwangstrennungen, Sprengung intakter Familiensysteme, weil diese Menschen nicht ins Bild von der heilen Familie der 50/60er Jahre passten. Grausamkeiten, die den ohnehin schon von Krieg, Flucht und Ausgrenzung gezeichneten Opfern ein weiteres Trauma zumuteten.
Unerträgliche Zumutung auch für mich als Leserin? Ja und Nein, denn Susanne Abels Roman liest sich wie die literarische Verfilmung einer Familiensaga, die fasziniert und dank der exzellenten Recherche – bei aller Fiktion – wahre Fakten über die jeweiligen politisch und sozial relevanten historischen Ereignisse liefert. Und so bekomme ich als Leserin der ersten Nachkriegsgeneration immer wieder neue Einsichten in vergleichbare Familiengeschichten. Warum waren die Eltern so, wie sie waren, warum bin ich die, die ich bin… Und es bleibt viel Bewunderung ob der Stärke und Kraft, mit der unsere (Groß)Elterngeneration so viele Beschädigungen aber auch meisterten. Danke, Susanne Abel!
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