Rita Süßmuth:
Über Mut
Um es gleich vorweg zu sagen: Nicht allen Aussagen von Rita Süßmuth stimme ich zu; und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – habe ich das Buch mit Gewinn gelesen. Denn zur lebendigen Demokratie gehört die Debatte mit Argumenten. Und der Autorin geht es vor allem um Grundhaltungen im eigenen Leben und in der Politik. Und die wichtigste Haltung ist für sie der Mut, zu eigenen Überzeugungen zu stehen, auch wenn das nicht immer auf Beifall stößt.
Für diesen Mut steht Rita Süßmuth mit ihrem Lebenswerk und so ist das kleine Buch eine Art Lebensbilanz. Als Ministerin und Bundestagspräsidentin hat sie glaubwürdig gezeigt, wie man mutig für das eintritt, was einem wichtig ist. Sie hat sich weder von Niederlagen noch von Bösartigkeiten mächtiger Männer entmutigen lassen, sondern ist ihren Weg gegangen, etwa für eine Stärkung der Rolle der Frauen in der Politik, in ihrem Einsatz für eine liberalere Abtreibungspolitik, in ihrem Aufklärungskurs in der Anti-Aids-Kampagne oder für eine liberale Einwanderungspolitik.
Süßmuth erzählt in ihrem Buch Geschichten über solche Erfolge und über schwierige Zeiten. Und für sie ist klar, dass es sich immer wieder lohnt, das anzupacken, was an Herausforderungen vor einem liegt. Sie zeigt großes Vertrauen in das, was Menschen schaffen können: Nach dem Scheitern kommt der Neubeginn.
Und die Autorin möchte uns heute ermutigen, das anzugehen, was nötig ist. Dabei wird sie konkret, kritisiert die derzeitige Regierungspolitik, die die großen Herausforderungen unserer Zeit – Klimawandel und Energiepolitik, Bedrohung der Demokratie im Inneren und von außen, Bildungspolitik, Fremdenhass – oft nur halbherzig angeht. Sie spart aber bei ihrer Kritik die Opposition nicht aus, die oft nur auf Wahlerfolge schielt, statt das inhaltlich Richtige zu tun.
Das Zupacken ist aber nur eine Seite des Handelns. Genauso viel Mut gehört zum Loslassen. Am Ende weiß Rita Süßmuth, dass sie mit ihren 87 Jahren nicht mehr die Politik der Zukunft bestimmen wird, sondern diese vertrauensvoll Jüngeren überlassen muss und kann. So wird das Buch im Epilog auch sehr persönlich, wenn sie über ihr eigenes Lebensende und ihre Endlichkeit nachdenkt. Ihr Glaube lässt sie getrost auf das zugehen, was mit dem Tod kommt – und vielleicht auch danach.