Das verlorene Paradies

Abdulzarak Gurnah: „Das verlorene Paradies“

Abdulzarak Gurnah: „Das verlorene Paradies“

Abdulzarak Gurnah:

Das verlorene Paradies

Abdulrazak Gurnah erzählt in seinem Roman, der bereits 1994 auf Deutsch erschienen war und jetzt anlässlich der Verleihung des Literaturnobelpreises neu aufgelegt wurde, die Geschichte des Erwachsenenwerdens von Yusuf. Historischer Hintergrund der Geschichte, die an der Küste Ostafrikas spielt, ist die beginnende deutsche Kolonialherrschaft, die erst nach und nach wahrnehmbar wird. Während die Menschen in der alten Welt konkret wahrnehmbar sind, anschaulich gezeichnet werden und alle einen Namen tragen, bleibt die Kolonialherrschaft zunächst abstrakt, die Europäer und Deutschen haben keine Namen. Nur die Gewaltförmigkeit lässt sich erahnen.

Ohne Chance auf eine Rückkehr

Yusuf ist zwölf Jahre alt, als er von seinen Eltern seinem vermeintlichen Onkel Aziz, der ein reicher Karawanenhändler ist, mitgegeben wird in eine fremde Stadt, wo er für den „Onkel“ in seinem Geschäft arbeiten muss. Nach und nach wird Yusuf deutlich, dass Aziz kein Onkel ist, sondern dass er von seinen Eltern verpfändet wurde, um ihre Schulden zu begleichen – letztlich ohne Chance auf eine Rückkehr. Die Welt Ostafrikas ist eine der Vielfalt von Ethnien und Religionen, in der aber die Anderen zumeist als unzivilisiert gesehen und als „Wilde“ bezeichnet werden – übrigens auch die deutschen Kolonialherren.

Der Untergang der bisherigen Welt wird deutlich bei einer langen Handelsreise, die Yusuf ins Landesinnere führt, die auch die Unerbittlichkeit von Natur und Machtverhältnissen vor Augen führt.

Kein Paradies

Gurnah erzählt mit leichter Hand und schildert das Zusammenleben der Menschen, aber lässt auch die Landschaften und die Natur anschaulich und erlebbar werden. Eine Welt mit der ihr eigenen Kultur – besser Kulturen – ging verloren, wurde zerstört – ein Paradies aber war auch diese Welt nicht.

Abdulrazak Gurnah: „Das verlorene Paradies“, Penguin Verlag 2021, 336 Seiten, ISBN 978-3328602583, Preis: 25,00 Euro

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Von hier bis zum Anfang

Chris Whitaker: Von hier bis zum Anfang

Chris Whitaker: Von hier bis zum Anfang

Chris Whitaker:

Von hier bis zum Anfang

Dieses Buch ist spannend und sehr berührend geschrieben. Selten habe ich ein so gut ausbalanciertes Buch gelesen, welches mich oft auch an den Gesang der Flusskrebse erinnert hat.

In einer idyllischen Kleinstadt in Kalifornien kümmert sich die 13-jährige Duchess um ihren kleinen Bruder und ihre depressive Mutter, welche die Ermordung ihrer Schwester vor 30 Jahren nicht verkraftet hat. Als der vermeintliche Mörder aus der Haft entlassen wird, droht das fragile Gefüge, welches Duchess aufgebaut hat, zusammenzubrechen. Eine Kette von tragischen Ereignissen wird in Gang gesetzt und bleibt bis zum Schluss unter einem großen Bogen spannend, einfühlsam, bewegend, berührend und überraschend. Chris Withaker hat mit diesem Buch einen außerordentlichen Roman geschrieben, den man nicht  verschlingt aus Sorge, dass er aufhören könnte und den man nicht aus der Hand legen möchte, weil er so spannend ist. Hier empfiehlt es sich mit Genuss zu lesen und sich verzaubern zu lassen von der einfühlsamen Erzählkraft dieses sensationellen Autors. Großes Kino!

Chris Whitacker: „Von hier bis zum Anfang“, Piper-Verlag, 448 Seiten, ISBN 978-3-492-07129-1, Preis: 22,00 Euro.


Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Alice Hasters:

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten

Die Journalistin Alice Hasters, 1989 in Köln geboren, beschreibt im Buch ihre vielfältigen Erfahrungen von Rassismus in verschiedensten Lebensbereichen. Auch harmlos klingende Fragen – „Darf ich mal deine Haare anfassen“ – oder als Kompliment gemeinte Äußerungen – „Du hast einen richtig schönen N**erpopo“ – sind Ausdruck rassistischer Einstellungen, so ihre Grundthese. In den Bereichen Alltag, Schule, Körper, Liebe und Familie wird diese durchbuchstabiert. Dabei belässt Hasters es nicht bei der Beschreibung eigener Erfahrungen, sondern sie bezieht auch wissenschaftliche Erkenntnisse und Literatur kenntnisreich mit ein, um ihre Position zu untermauern. Dabei bleibt der Text immer gut lesbar. Mich hat das Buch an vielen Stellen angestoßen, noch einmal vertieft nachzudenken. Zum Beispiel, ob wir die Tradition der europäischen Aufklärung – ohne die hohe und bleibende Bedeutung von Vernunft, Menschenrechten und Toleranz infrage zu stellen – nicht doch neu erzählen müssten, wenn es von ihren prominenten Vertretern rassistische Äußerungen gibt. Auch wenn ich am Ende nicht allen Wertungen der Autorin zustimme, so habe ich das Buch trotzdem mit Gewinn gelesen.

Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten, hanserblau 2019, 224 Seiten, ISBN  978-3446264250, Preis: 17,00 Euro.

Aufbrechen

Tsitsi Daganrembga: Aufbrechen

Tsitsi Daganrembga: Aufbrechen

Tsitsi Dangarembga:

Aufbrechen

„Ich war nicht traurig, als mein Bruder starb.“ Dieser erste Satz des Romans hat mich gleich in die Geschichte des jungen Mädchens Tambu hineingezogen. Die Geschichte spielt in den 1960er und 70er Jahren in Simbabwe – bis 1965 noch britische Kolonie und noch bis 1980 Rhodesien genannt. Sehr anschaulich wird der Kampf Tambus um Bildung, Anerkennung und Gleichberechtigung geschildert – ihre Herkunft aus Armut und Kinderarbeit im Dorf, der neidische Blick auf den Bruder, der die Missionsschule in der Stadt besuchen darf, die patriarchalen Strukturen in ihrer Familie und der Gesellschaft. Als Tambu schließlich selbst städtische Schulen besuchen darf, erfährt sie auch die koloniale Bevormundung im Land am eigenen Leib. Die Teilhabe an der britisch geprägten Bildung stellt sie vor die Frage der eigenen Zugehörigkeit: „Sag mir Tochter, was werde ich, deine Mutter, dir zu sagen haben, wenn du nach Hause kommst, eine Fremde voller weißer Gewohnheiten und Ideen?“ – so formuliert es Tambus Mutter bei ihrem Fortgang in die Stadt.

Der Roman ist im Original bereits 1988 erschienen; doch auch heute ist das Buch der Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels von 2021 immer noch lohnend und trägt zum besseren Verständnis Afrikas bei. Gewünscht hätte ich mir ein erweitertes Glossar, um leichter in die afrikanischen Begriffe und Vorstellungswelten hineinzukommen.

Tsitsi Dangarembga: Aufbrechen, Orlanda Verlag 2019, 280 Seiten, ISBN 978-3-944666600 Preis: 22,00 Euro.