Heike Zumbruch über „Unter uns die Nacht“


Becky Chambers:

Unter uns die Nacht

Im dritten Band ihrer vierteiligen „Wayfarer“-Reihe stellt Becky Chambers ihre Vorstellung von der Zukunft der Menschheit vor. Anhand verschiedener Charaktere schildert sie das Leben in der „Exodus-Flotte“. Ein Leben, in dem die Gemeinschaft über allem steht, denn nur gemeinsam konnten die Vorfahren der Protagonisten diese Flotte von Wohnschiffen planen und bauen – aus den Trümmern von Hochhäusern, Brücken und Industrieanlagen; aus den Trümmern der Welt, wie wir sie heute kennen.

In einer ersten Fluchtwelle flohen die Menschen, die es sich leisten konnten, von der Erde auf den Mars, um in künstlichen Habitaten als Kolonisten so weiterzuleben wie zuvor auf der Erde.

Erst als die Erde kurz vor dem Kollaps stand, haben sich die letzten Menschen zusammengetan, um mit Wohnschiffen ins Weltall zu fliehen – ohne Ziel, ohne Perspektive! Der Erstkontakt mit anderen intelligenten Spezies hatte noch nicht stattgefunden.

Diese Raumschiffe wurden nicht rein zweckmäßig gebaut, auch das Wohlbefinden seiner Bewohner wurde bedacht. Für die Bedürfnisse des Körpers und der Seele waren sie ebenso ausgelegt wie für die Funktionalität und die Sicherheit. Niemand sollte sich benachteiligt fühlen, keine*r einen Grund für Neid oder Überheblichkeit haben, niemand allein leben, niemand hungern oder dürsten oder frieren. Jede*r sollte sich wohl und sicher fühlen. Friedlich, ohne Gewalt, ohne Waffen, ohne Geld – mit viel Toleranz und Verständnis.

Auch viele Generationen später wird noch immer Tauschhandel betrieben und werden Traditionen gepflegt. Die Exodaner feiern und trauern in Gemeinschaft und fühlen sich füreinander verantwortlich. Ungeliebte Aufgaben werden in einer Lotterie verteilt und jede und jeder muss hin und wieder Reinigungsarbeiten verrichten, gärtnern oder in der Kanalisation arbeiten – und jede*r fügt sich, wenn das Los auf ihn/sie fällt.

Aber natürlich ist es nicht die pure Harmonie, die unter den mehreren Zehntausend Menschen auf einem Schiff, von denen es 37 gibt, herrscht. Die Schilderung des familiären und gesellschaftlichen Alltags ähnelt der heutigen Realität auf verblüffende Art und Weise, von den technischen Möglichkeiten einmal abgesehen. In einer fesselnden Geschichte verwebt die Autorin das Leben vieler Personen miteinander und schafft ein Bild von einer in Veränderung befindlichen Gemeinschaft.

Becky Chambers gelingt wieder eine sehr positive Perspektive für alle Bewohner der GU, auch für die menschlichen. Sehr klug verknüpft sie die heutige reale Gegenwart mit einer fiktiven Zukunft, in der es zumindest einem Teil der Menschheit, ebenso wie vielen anderen intelligenten Spezies, gelungen ist, Egoismus zu überwinden, Konflikte (beinahe) streitfrei zu lösen und die Freiheit des Einzelnen zu gewähren, obwohl oder gerade, weil die Gemeinschaft über allem steht.

Becky Chambers: „Unter uns die Nacht“, Fischer Tor, 464 Seiten, ISBN 9783596702626, Preis: 9,99 Euro.


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