Charlotte Wiedemann:
Den Schmerz der Anderen begreifen
Holocaust und Weltgedächtnis
Die Journalistin Charlotte Wiedemann hat ein engagiertes und gut lesbares Buch über neue Dimensionen der Erinnerungskultur vorgelegt. Sie spannt einen weiten Bogen von der Shoah über afrikanische Menschen, die gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben, aber nie gesehen wurden, über vergessene Völkermorde und verdrängte Kolonialkriege in Asien und Afrika bis hinein in unsere Migrationsgesellschaft und zur Zukunft der Erinnerung. Das mag sich zunächst abstrakt anhören, wird aber durchgehend sehr anschaulich und immer an konkreten Menschen und Beispielen erzählt. An viele Orte, über die sie berichtet, ist sie selbst gereist und lässt uns daran teilhaben.
So gibt die Autorin Denkanstöße, die auch dann nachdenkenswert sind, wenn man ihr an der ein oder anderen Stelle nicht zustimmt. Streitbar sind sicher die Ausführungen zum Holocaust im Zusammenhang mit dem Israel-Palästina-Konflikt, zu Antisemitismus und Israelkritik oder zur Frage der Einzigartigkeit des Holocausts. Aber es sind notwendige Themen, die diskutiert werden müssen und denen man auch in Deutschland nicht ausweichen sollte.
Wichtig ist es Charlotte Wiedemann, Geschichten der Opfer zu recherchieren und deren Namen zu erinnern: „Mit einem Namen angesprochen zu werden, ist eine Grundform der Anerkennung eines Menschen“. Dabei ist es ihr Anliegen, den westlichen Eurozentrismus in der Gedenkkultur aufbrechen und unseren Blick weiten. Ihr Ziel ist Empathie für alle Opfer von Gewaltherrschaften und Völkermorden, auch für Opfer außerhalb unseres Kulturkreises. Eine so verstandene Erinnerungsarbeit ist ein wichtiger Beitrag für eine Kultur der Solidarität. In diesem Sinn gibt es keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit, sondern die Notwendigkeit, sich selbst neu infrage zu stellen.
Wer sich für Erinnerungskultur und deren Bedeutung interessiert, erhält mit diesem Buch herausfordernde Anregungen.
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