Deutsches Haus


Annette Hess: Deutsches Haus

Annette Hess:

Deutsches Haus

„Deutsches Haus“ ist der erste Roman der Drehbuchautorin Annette Hess. Der Roman nimmt uns mit ins Jahr 1963 nach Frankfurt, wo der Auschwitzprozess stattfand, der die bundesdeutsche Wohlstandsgesellschaft zum ersten Mal mit den nationalsozialistischen Verbrechen konfrontierte, auch wenn viele damals lieber nichts davon und von eigenen Verstrickungen wissen wollten.

Die junge und recht unbedarfte Eva wird zunächst vertretungsweise als Dolmetscherin für Polnisch in den Prozess hineingezogen. Ihre Familie und der Verlobte lehnen dies ab; aber auch gegen deren Willen nimmt sie die Arbeit an und erfährt immer mehr, wie bedeutend es ist, dass die Opfer zu Wort kommen und sie ihnen ihre Stimme gibt. Die Grauen im Vernichtungslager werden deutlich, ohne den Leser übermächtig zu erdrücken und hilflos zu machen. Mehr Raum im Roman nehmen ohnehin die Geschichten außerhalb des Gerichts ein, wobei nach und nach deutlich wird, welche Erinnerungen die verschiedenen Personen mit sich schleppen.

Nach meiner Einschätzung könnte man auf einige der Seitengeschichten im Roman verzichten – warum z.B. vom Zahnarztbesuch der Mutter von Eva erzählt werden muss, erschließt sich mir nicht. Dennoch: Auch wenn es keine große Literatur ist, gelingt es dem Buch recht anschaulich und bildhaft die Atmosphäre in Deutschland Mitte der 1960er Jahre – auch die Bevormundung der Frauen, die Ankunft der „Gastarbeiter – mit unterschiedlichen und widersprüchlichen Charakteren und Interessen einzufangen, was wohl auch den Vorerfahrungen von Annette Hess als Drehbuchautorin zu verdanken ist. So steht „Deutsches Haus“ nicht nur für die Gaststätte, die von Evas Eltern betrieben wird, sondern für die deutsche Gesellschaft in der Mitte der 1960er Jahre.

Annette Hess, Deutsches Haus, Ullstein 2018, 368 Seiten, ISBN 978-3550050244, Preis: 20,00 Euro.

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